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Bundesjustizministerin: Keine Sonderrechte für ausländische Nachrichtendienste

Wenn ein ausländischer Geheimdienst wie NSA auf deutschem Boden eine Niederlassung habe und hier arbeite, müsse ausschließlich deutsches Recht eingehalten werde, sagt Sabine-Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Die Bundesjustizministerin fordert auch einen kritischen Umgang mit den USA in Sachen Spähaffäre.

Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 19.07.2013
    Christoph Heinemann: Selten erlebt man es, dass Eltern ihren zwei Kindern denselben Namen geben. Das wäre im Alltag ausgesprochen unpraktisch und öffnete Verwechslungen Tür und Tor. Glaubt man der Bundesregierung, so gibt es zwei US-Datensysteme, die beide "Prism" heißen: eines der nationalen Sammelagentur NSA und eines der internationalen Schutztruppe ISAF in Afghanistan. Bei der Namensgleichheit drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass die beiden Prisms miteinander verwandt sind. Dass die Bundeswehr seit 2011 von diesem ISAF-System gewusst haben soll, berichtete in dieser Woche die "Bild"-Zeitung.

    Dann hätte die Bundesregierung früher von Prism gewusst, als sie bisher behauptete. Um die US-amerikanische Datensammelei geht es heute unter anderem übrigens auch in Vilnius, wenn sich die Justizminister der Europäischen Union treffen. Die EU plant eine Reform der Datenschutzregeln von 1995.
    Vor dieser Sendung haben wir mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gesprochen und ich habe die Bundesjustizministerin von der FDP gefragt, ob die Regierung in Berlin durch die Kontakte der Bundeswehr zu Prism nicht doch schon viel früher von dem Spähprogramm gewusst hat.

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es muss ja ganz unmissverständlich geklärt werden: Ist das dasselbe Programm Prism, ist es möglicherweise ein anderes. Wenn es da offene Fragen gibt, wie es im Moment scheint, dann gehören die geklärt. Von daher kann man daraus jetzt nicht die Bewertung ableiten, das Programm Prism, über das wir jetzt seit mehreren Wochen reden, sei in jedem Fall dasselbe, das was auch die Bundeswehr an Informationen hatte.

    Heinemann: Die "Bild"-Zeitung berichtet, dass es da Schnittstellen gab, dass also Prism Afghanistan auf Prism-NSA zurückgegriffen hat. Wieso weiß das die "Bild"-Zeitung und nicht die Bundesregierung?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist die Aufgabe der zuständigen Institutionen in Deutschland, das auch genau aufzuklären. Ich selbst …

    Heinemann: Das ist noch nicht geschehen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich selbst verfüge da über keine eigenen Erkenntnisse, weil das auch nicht in meine Ressortzuständigkeit fällt. Aber alles, was da an offenen Fragen ist, und die "Bild"-Zeitung behauptet hier etwas, das muss natürlich geklärt werden: Gibt es ein oder zwei Prism-Programme und in welcher Verbindung stehen sie möglicherweise zueinander.

    Heinemann: Wie lange dauert das noch?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich hoffe, das geht ganz schnell.

    Heinemann: In welchem Zeitraum rechnen Sie?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich gebe hier keine Zeitvorgaben. Aber das Thema ist hochaktuell. Es wird ja einfach sein, ohne Geheimhaltungsaspekte verletzen zu müssen, deutlich zu machen, was für Programme es sind, ob es dieselben oder unterschiedliche sind. Das, denke ich, kann ja in wirklich kurzer Zeit passieren.

    Heinemann: Ist aber doch erstaunlich, dass die Presse schneller ist als die Regierung.

    Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich ist es für die Presse interessant, und wenn sie dazu Informationen haben, ist es die Aufgabe der Presse, das auch zu thematisieren. Aufgabe der zuständigen Institutionen in Deutschland ist es, Sachverhalte so klarzustellen, dass die Bürger richtig informiert sind, und in dem Prozess sind sie.

    Heinemann: E-Mails, die hier verschickt werden, werden unter Umständen über die USA geleitet, bleiben nicht unbedingt in Deutschland. Ändert das etwas an der Bewertung der Spähpraxis, wenn solche Daten quasi durch die USA durchfließen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist der entscheidende Punkt: Wie kommen möglicherweise Dienste in den Vereinigten Staaten an Kommunikation mit Deutschen. Wenn das auf amerikanischem Boden passieren sollte und dort zugegriffen wird, dann ist zu allererst amerikanisches Recht die Grundlage für die Bewertung und nicht das deutsche Recht.
    Von daher ändert sich das dann vonseiten der rechtlichen Bewertung. Politisch ist es natürlich das Thema, das sehr wohl auch deutsche Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, dass nicht alle ihre Kommunikation dann auf anderem Boden auch durchforstet, durchsucht und möglicherweise dann auch gespeichert wird.

    Heinemann: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, der US-Inlandsgeheimdienst NSA baut in Wiesbaden ein neues Abhörzentrum. Ist garantiert, dass dort im hierzulande üblichen Rahmen Daten gesammelt werden?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Es muss garantiert sein, dass dann, wenn ein ausländischer Dienst auf deutschem Boden eine Niederlassung hat und hier arbeitet, ausschließlich das deutsche Recht mit unseren parlamentarischen Kontrollgremien eingehalten wird. Da kann es keine andere Praxis geben. Deutsches Recht muss eingehalten werden und Sonderrechte gibt es nicht.

    Heinemann: Und wer kontrolliert das?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das kontrollieren natürlich einmal unsere Gremien, die wir zur Kontrolle eingerichtet haben. Das heißt: Jetzt, wo bekannt ist, dass dort etwas vielleicht Neues oder anderes entsteht – wir wissen ja nicht, was dort gemacht werden soll; vielleicht sind es auch nur Informationen, die dort von woanders her kommen und verarbeitet werden, aber das bedarf der Klärung.
    Ich denke, dass natürlich gerade auch unsere Dienste ganz klar wissen müssen, ein absolutes Interesse daran haben, dass das, was auf deutschem Boden passiert, woran sie sich an die Rechtsordnung halten, die anderen auch tun und auch dort ein Klärungsprozess notwendig ist.

    Heinemann: Entschuldigung! Sie sagten gerade, wir wissen nicht, was die aufbauen dort. Aber das, was Sie nicht wissen, kontrollieren Sie?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist im Bau befindlich eine NSA-Niederlassung, wie jetzt der Präsident des Bundesnachrichtendienstes gesagt hat. Als Regierung, als Mitglied einer Regierung, als Ministerin, die keine Zuständigkeit in den Fragen hat, kann ich nicht wissen, welche Aufgaben dort wahrgenommen werden. Aber natürlich wird das geklärt.

    Das muss ja ganz deutlich auf den Tisch. Und eines ist – und davon gehe ich aus -, dass wenn ausländische Behörden in Deutschland unmittelbar hier arbeiten, sie sich auch voll umfänglich an deutsches Recht halten, und genau das müssen wir von NSA erfahren.

    Heinemann: Wird die Europäische Union, werden die Partnerstaaten gemeinsam der Datensammelwut der Amerikaner Paroli bieten?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt jetzt auf der europäischen Ebene eine Expertengruppe, die vor dem Hintergrund von Prism, Tempora, anderen Berichten eingerichtet worden ist. Die verhandelt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, was einmal zur Sachverhaltsaufklärung beitragen muss, zweitens aber auch, dass die EU-Datenschutzverhandlungen mit den Amerikanern über ein wichtiges Datenschutzabkommen, was bisher sehr stockt, jetzt auch vorangetrieben wird:
    Jawohl, wir brauchen Regelungen, was die Übermittlung von Daten aus der Europäischen Union in die Staaten angeht. Wir werden uns heute in Vilnius damit befassen, dass in die Beratungen des EU-Datenschutzabkommens und der Verordnung, die vorgelegt worden ist von der Europäischen Union, aufgenommen wird eine Regelung, die dezidiert Anforderungen stellt an Übermittlung von Daten aus der EU an Drittstaaten, damit auch an die Vereinigten Staaten von Amerika. Bisher ist in dem vorliegenden Entwurf so eine Regelung nicht enthalten.

    Heinemann: Gibt es da konkrete Initiativen mit Partnerländern oder einem Partnerland?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Einmal haben wir das in der Bundesregierung ganz klar als Vorschlag so verabredet. Ich habe mit meiner französischen Kollegin darüber im Vorfeld Gespräche geführt und Frankreich unterstützt das und wir werden mit Frankreich an der Seite das ganz klar auch jetzt im Rat dann einfordern.

    Heinemann: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wie kann man der US-Regierung vermitteln, wir wollen von euren Daten profitieren, ihr müsst sie aber nach unseren Spielregeln erfassen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir können sehr wohl den Amerikanern vermitteln, dass in Deutschland die Anforderung an Datenschutz, an Schutz der Privatsphäre eine andere ist, als sie in der Rechtsordnung auch in den Vereinigten Staaten verankert ist. Natürlich gibt es da auch den Schutz auf Privatheit.
    Es findet ein Informationsaustausch der Dienste untereinander statt, ohne dass da immer über die Quellen und die Art und Weise der Gewinnung gesprochen wird. Aber es ist jetzt die Debatte in Gang gekommen, denke ich, richtigerweise, dass auch darüber geredet wird, in welchem Umfang verwenden wir Daten, die möglicherweise auf eine Art und Weise gewonnen werden, in den Staaten, nicht in Deutschland, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Aber es kommen hier eben unterschiedliche kulturelle und Wertaspekte zusammen oder stoßen aufeinander, und ich finde, es ist gut, wenn jetzt, nachdem ja über viele Jahre nach 9/11 hinweg gerade auch von den damaligen verantwortlichen Innenministern, Außenministern, Kanzleramtsministern auch der Sozialdemokraten eine engste Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten bei der Terrorbekämpfung gepflegt wurde, dass wir jetzt doch dort auch mit einer kritischeren Stimme herangehen.

    Heinemann: Zuständig für die Koordinierung der Geheimdienste ist der Kanzleramtsminister, das ist Ronald Pofalla, von dem ist nichts zu sehen oder zu hören. Will der nichts sagen, oder weiß der nichts?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist die Verantwortung im Kanzleramt und ich denke, er wird auch zum richtigen Zeitpunkt sich dann in der Sache äußern. Aber ich denke, es ist jetzt genau auch natürlich einmal das, was gerade die Dienste selbst machen, zu allererst das, was auch das Parlamentarische Kontrollgremium interessiert, und deshalb haben sie sie auch gebeten zu informieren und erneut vorgeladen im August.

    Heinemann: Wann ist der richtige Zeitpunkt, wenn nicht jetzt?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich denke, Herr Pofalla wird sich im Rahmen seiner Verantwortung auch richtig einbringen und er braucht keinen Zuruf von mir.

    Heinemann: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wie schützen Sie Ihre Kommunikation?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich muss ich meine Kommunikation schützen. Gerade wenn ich dienstlich kommuniziere, habe ich natürlich besondere Verschlüsselungsprogramme und anderes mehr. Aber das ist das eine, was ja jeder Bürger sich sowieso schon seit Jahren überlegt. Allein wenn er sieht, was er für Spam bekommt, überlegt er sich, wie kann ich eine andere Firewall errichten. Aber das ist das eine.
    Das ersetzt aber auf gar keinen Fall das, was jetzt im Zusammenhang mit Prism, mit anderen möglichen Programmen debattiert wird. Da kann ich nicht sagen, lieber Bürger, schütze dich mal, und dann haben wir das Problem nicht mehr.

    Heinemann: Sollten wir im übertragenen Sinne digital nur noch flüstern, also Kommunikation stattfinden lassen wie in totalitären Regimen üblich?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir wollen ja gerade, dass es eine unbefangene Kommunikation gibt, und deshalb wird jetzt national, europäisch, international von der Bundesregierung aus aktiv gehandelt, werden auch Vorstöße unternommen. Denn wenn es am Ende nur noch so wäre, dass immer Big Brother zuhört, bei jeder Gelegenheit, bei jeder Kommunikation dabei ist und alle meine Verbindungsdaten anlasslos auch noch immer vorhält, dann kriegen wir ein echtes Demokratieproblem.

    Heinemann: Dieses Gespräch war ganz offen, da kann jeder mithören und man kann es sogar nachhören und nachlesen unter dradio.de. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Bundesjustizministerin von der FDP, danke schön für das Gespräch.

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bedanke mich, Herr Heinemann.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.