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Bundeskanzlerin startet Informationsoffensive

Pünktlich zur Eröffnung der Fußball-WM lanciert Angela Merkel ihre erste Videobotschaft im Internet. Nach Ansicht des Politik- und Kommunikationswissenschaftlers an der Universität Hamburg, Hans Kleinsteuber, stellt dieses neue PR-Instrument den Versuch dar, direkteren Zugang zur Bevölkerung zu gewinnen. Sie versuche damit auch, bestimmte Themen selbst auf die Tagesordnung zu setzen.

08.06.2006
    Breker: Die Medienlandschaft verändert sich. Sie entwickelt sich weiter und die Politik lernt daraus und tut das, wozu sie die Medien für sinnvoll hält. Sie nutzt sie. Andere könnten auch sagen, sie benutzt sie. Bundeskanzlerin Angela Merkel will künftig regelmäßig per Internet-Videos der Bevölkerung ihre Politik erläutern. Heute gibt es das erste Video außer der Reihe wegen der Fußballweltmeisterschaft. Unter www.bundeskanzlerin.de wird Angela Merkels erste Botschaft heute ins Netz gestellt. Angeblich ist sie damit die erste Regierungschefin mit regelmäßigen Netzauftritten. Am Telefon bin ich nun verbunden mit Hans Kleinsteuber, Politik- und Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hamburg. Guten Tag Herr Kleinsteuber!

    Kleinsteuber: Einen schönen guten Tag Herr Breker!

    Breker: Eigentlich eine tolle Sache. Ein Internet-Auftritt, das ist doch ein Ausdruck des Zeitgeistes. Das belegt doch, wir haben eine ganz moderne Kanzlerin.

    Kleinsteuber: Ja, das könnte man so sehen. In Wirklichkeit ist das alles nicht so neu. Es ist von deutscher Seite her besehen einfach ein neues PR-Instrument, indem man den Bürgern direkt die Möglichkeit gibt, die Kanzlerin zu sehen und ihre wöchentlichen Statements entgegenzunehmen. Ich möchte Sie allerdings daran erinnern: wer immer das in die Welt gesetzt hat, dass sie damit die erste sei, der amerikanische Präsident adressiert seit Jahrzehnten wöchentlich das amerikanische Publikum in Radio-Talks und inzwischen wird das natürlich auch als Podcast auf der Seite des Weißen Hauses zur Verfügung gestellt. Also so neu ist das alles nicht.

    Breker: In Amerika ist es beim US-Präsidenten allerdings zu Beginn eine Radioansprache gewesen, die dann auch im Internet nachzulesen ist. – Eine wöchentliche Botschaft, Herr Kleinsteuber, das heißt doch, man will da etwas vermitteln, und zwar ungefiltert vermitteln. Man möchte direkt an die Mitbürger heran und nicht die lästigen Journalisten dazwischen haben.

    Kleinsteuber: Das denke ich auch. Politiker und Journalisten – das ist ja eine immer währende Story, auch von Spannungen und Missverständnissen. Die Kanzlerin denkt sich, dass sie hier mit den Bürgerinnen und Bürgern direkt ins Gespräch kommt. Ob die wirklich ein Interesse haben, jede Woche ihre Video-Podcasts abzurufen, ist eine ganz andere Frage. Ich denke mal da gibt es so viele andere Angebote, wenn man surfen geht. Da muss man nicht unbedingt Frau Merkel hören und sehen wollen.

    Breker: Kann man, Herr Kleinsteuber, von einer neuen Qualität von Öffentlichkeitsarbeit, von PR-Arbeit sprechen, wenn man die Kritik von Vornherein vermeidet, wenn man die Journalistenschar umgeht?

    Kleinsteuber: Ich denke die Kanzlerin hat ein Recht zu versuchen, direkt an die Bürger zu kommen mit ihren Botschaften. Die neue Qualität sehe ich nicht ganz, weil ich davon ausgehe, dass sehr wenige tatsächlich sich die Mühe machen, ihr Video-on-Demand wöchentlich abzurufen, anzuhören und anzuschauen. Da müssen Sie sich als Journalist wirklich keine Sorgen machen.

    Breker: muss man nicht davon ausgehen, dass die Kanzlerin versucht, Agenda-Setting zu betreiben, sprich ein Thema herauszuarbeiten, an das sich dann auch der Journalismus abarbeiten soll?

    Kleinsteuber: Das ist sicherlich auch der Job der Bundeskanzlerin. Die wird versuchen, ihre Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Sie weiß aber, dass letztlich Pressekonferenzen oder Auftritte in den Nachrichtensendungen des Fernsehens weitaus wirkungsvoller sein werden als Video-Podcasts, die sie unter ihrem Portal anbietet.

    Breker: Haben wir, Herr Kleinsteuber, nicht ohnehin den Trend, dass immer ein Spitzenthema gesucht wird, ein Topthema, das dann von allen Seiten beleuchtet wird und jede Nachrichtensendung dominiert, ja auch die Gespräche dominiert? Geht die Kanzlerin nicht mit diesem Trend, ein Topthema zu suchen und das so breit werden zu lassen, dass andere Themen daneben ganz klein wirken?

    Kleinsteuber: Ich denke die Kanzlerin wird das versuchen. Sie wird natürlich immer wieder Medien einsetzen, um sozusagen die Hoheit im politischen Diskurs zu behalten. Sie wissen aber sehr gut: gerade sie, die Journalisten, starten immer wieder die Querschüsse. Da gibt es BND-Skandale und vieles andere mehr. Häufig genug setzt ja nicht die Kanzlerin die Tagesordnung, sondern sie wird sozusagen von den aktuellen Ereignissen getrieben und kann nur darauf reagieren.

    Breker: Also einen Trend zu einem Spitzenthema, zu einem Topthema, das anderes überlagert, würden Sie, wenn Sie unsere Medienlandschaft beobachten, nicht feststellen können?

    Kleinsteuber: Noch einmal: die Kanzlerin wird das versuchen. Das ist ihr Job. In vielen Fällen wird es ihr nicht gelingen. Nehmen Sie mal die erste Botschaft, die sie heute Nachmittag auf ihr Portal setzen will, am Vorabend der Fußballweltmeisterschaft. Da wird sie wahrscheinlich über Fußball reden. Schon ihre allererste Botschaft lässt sie nicht am Samstag los, weil sie weiß, alle Deutschen werden sich dann mit der WM beschäftigen und werden nicht auf Angela Merkel hören. Sie weicht also diesem Medienereignis aus und kommt schon vorher auf den Markt.

    Breker: Also ist die Weltmeisterschaft jetzt medienpolitisch gesehen auch für die Politik einfach ein Glücksfall, weil nun im Schatten der Fußballweltmeisterschaft vieles möglich ist, was sonst unangenehme Aufmerksamkeit haben könnte?

    Kleinsteuber: Völlig richtig. Die Politiker versuchen, die Weltmeisterschaft für ihre Selbstdarstellung zu nutzen. Gar keine Frage! Aber hier haben wir ja genau den Punkt. Die Bundeskanzlerin setzt nicht die Agenda. Das macht die FIFA mit der Weltmeisterschaft. Die Kanzlerin nutzt lediglich die Möglichkeiten, aufzusatteln und sich plötzlich als Fußball-Fans – ist ja auch eine ziemlich neue Geschichte bei ihr; ist ja nicht wie bei Gerhard Schröder – zu outen. Mal sehen ob es ihr gelingt!

    Breker: Was ist Ihre Vermutung?

    Kleinsteuber: Meine Vermutung ist, dass Angela Merkel hohe Popularitätsraten hat, also bei der Bevölkerung erhebliche Unterstützung genießt, aber sicherlich nicht wegen ihrer Auftritte rund um die Fußball-WM. Das hätte Gerhard Schröder besser hingekriegt oder Edmund Stoiber. Das ist, weil sie eine neue Form der Harmonie und des Zukunftsoptimismus repräsentiert. Die Wirtschaftsdaten, mal deutlich gesagt, sind seit ihrem Amtsantritt ja auch besser geworden.

    Breker: Der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Hans Kleinsteuber war das in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Herr Kleinsteuber, danke für dieses Gespräch!

    Kleinsteuber: Vielen Dank und auf Wiederhören Herr Breker!