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Bundespräsident lädt Richter ein
Steinmeier holt sich Rat in schwieriger Lage

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach gestern in Berlin mit Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle. Gemauschelt werden darf zwischen Judikative und Exekutive nicht. Aber der Richter kann dem Staatsoberhaupt anhand vergangener Fälle erläutern, welche hohen Hürden vor einer Neuwahl stünden.

Von Stephan Detjen | 23.11.2017
    Andreas Voßkuhle (r), Präsident des Bundesverfassungsgerichts, steht am 21.06.2017 vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Baden-Württemberg) mit Bundespräsident Frank-Walter-Steinmeier zusammen. Anlass ist der Antrittsbesuch von Steinmeier an dem Gericht
    Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle (r.) darf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier keine Tipps für seine vertrackte Situation geben. Um andere vertrackte Fälle aus der Vergangenheit ging es aber schon, als die beiden gestern sprachen. (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    "Wir müssen ja auch irgendwie wissen, wie die Politik tickt", sagt Andreas Voßkuhle.
    Erst vor wenigen Tagen erklärte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts auf der Konferenz "Formate des Politischen", zu der Deutschlandfunk, Bundeszentrale für politische Bildung und Bundespressekonferenz eingeladen hatten, warum das Gespräch zwischen Vertretern der Politik und des Bundesverfassungsgerichts auch für ihn wichtig sei:
    "Wir müssen eine Vorstellung haben, was unsere Entscheidungen auslösen, und dementsprechend brauchen wir auch in einem bestimmten Umfang das Gespräch mit Politikern. Das ist sinnvoll."
    Konkrete Handlungsanleitungen oder gar Hinweise auf laufende Verfahren dürfen sich Politiker vom obersten Richter des Landes nicht erhoffen. Das werde auch bei den nicht öffentlichen Gesprächen respektiert, zu denen sich die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts und das Bundeskabinett traditionell einmal im Jahr treffen, versichert Voßkuhle. Aber:
    "Worüber wir uns manchmal unterhalten, ist im Nachhinein, wenn Entscheidungen gefallen sind, was sie bedeuten für den politischen Sektor, und da wird natürlich auch mal ein bisschen gestöhnt und gesagt: 'Oh Gott, jetzt haben Sie uns aber wieder ein Ei gelegt.' Das, finde ich aber, ist in Ordnung."
    In dem Gespräch, zu dem Voßkuhle gestern vom Bundespräsidenten nach Berlin gebeten wurde, dürfte allenfalls die politische Lage Anlass für verzweifelte Stoßseufzer gegeben haben. Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen hatte Frank Walter Steinmeier erklärt, das Land stehe vor einer Situation, die es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben habe.
    Vertrauensfrage kann zu Neuwahlen führen ...
    Dennoch gibt es Präzedenzfälle, die auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigten und die gestern Gesprächsstoff für Steinmeiner und Voßkuhle lieferten.
    "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. Ich habe heute den 15. Deutschen Bundestag aufgelöst und Neuwahlen für den 18. September angesetzt."
    Als letzter Bundespräsident hatte Horst Köhler im Juli 2005 die Weichen für Neuwahlen gestellt, nachdem Gerhard Schröder im Bundestag eine Vertrauensfrage gestellt hatte, die einzig das Ziel hatte, die Auflösung des Parlaments zu erzwingen. Die Abgeordneten Jelena Hoffmann von der SPD und Werner Schulz von den Grünen klagten dagegen – erfolglos.
    "Ich verkünde im Namen des Volkes das folgende Urteil: Die Anträge werden zurückgewiesen", verlas der damalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer am 25. August 2005:
    "Das Ergebnis des Urteils, kurz zusammengefasst, lautet: Die Anträge sind unbegründet. Die Anordnung des Bundespräsidenten, den Bundestag aufzulösen du die Wahl auf den 18. September 2005 festzusetzen, verstoßen nicht gegen das Grundgesetz. Sie verletzten oder gefährden die Antragsteller daher nicht in ihrem geschützten Status als Abgeordnete des Deutschen Bundestages."
    ... geht aber für Merkel im Moment nicht
    Bereits 1983 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung zur Vertrauensfrage getroffen, mit der Helmut Kohl zuvor Neuwahlen ermöglicht hatte.
    Als Chefin einer nur geschäftsführenden Bundesregierung ist Angela Merkel der Weg zu Neuwahlen über eine Vertrauensfrage versperrt. Erst wenn sie in zwei Wahlgängen die nötige Kanzlermehrheit verfehlt, stellt Artikel 63 des Grundgesetzes den Bundespräsidenten vor die Alternative Neuwahlen oder Einsetzung einer Minderheitsregierung.
    Der Wortlaut des Grundgesetzes stellt beide Möglichkeiten gleichgewichtig nebeneinander. Aus den früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aber könnten sich Hinweise ableiten lassen, die dem Bundespräsidenten verfassungsrechtliche Maßstäbe an die Hand geben. Dazu dürfte das hohe Gewicht gehören, dass das Gericht dem geschützten Status der gewählten Abgeordneten einräumt.
    Die Ernennung Merkels als Kanzlerin einer Minderheitsregierung würde diesen Status nicht verletzten. Schon deswegen muss der Bundespräsident bei seinen Gesprächen mit den Parteivorsitzenden in diesen Tagen alle Möglichkeiten einer Regierungsbildung sondieren – auch die einer Minderheitsregierung.