Dienstag, 16. April 2024

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Geplantes Online-Bürgerportal
Digitaler Koloss

Der Gang zum Amt solle bald überflüssig sein, erklärte der Bundesinnenminister vor einem halben Jahr. Nun drohe die für August geplante Version des Online-Bürgerportals zu scheitern, sagte Peter Welchering im Dlf. Intern rechneten Mitarbeiter mit weiteren zehn Jahren Vorbereitungszeit.

Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber | 29.07.2017
    Welchering: An schlechter Planung, und zwar auf mehreren Ebenen. Ebene 1: Das Pflichtenheft für dieses Online-Bürgerportal ist ein Graus. Die öffentliche Verwaltung in Deutschland kennt fast 6000 Fachanwendungen und Fachverfahren. Welche davon wie auf ein Online-Portal gebracht werden sollen, steht in den Sternen. Ebene 2: Die Finanzierung ist weitgehend unklar. Ebene 3: Die Beteiligung der Länder und Kommunen ist schief gelaufen. Ebene 4: Es gibt noch überhaupt keine Einigung über die Basis-Software für solch ein Online-Bürgerportal.
    Beta-Version soll in den Probebetrieb gehen
    Kloiber: Das Bundesinnenministerium hat aber doch in dieser Woche bestätigt, dass solch ein Portal in der Beta-Version jetzt bald in Betrieb genommen werden würde. Was dürfen wir Bürger denn da erwarten?
    Welchering: In erster Linie heiße Luft. Also, wir haben auch noch einmal ganz intensiv bei den beteiligten Unternehmen, in der Verwaltung, in den Ministerien nachgefragt, wie denn der Stand des Online-Bürgerportals jetzt ist. Und die vielen Auskünfte und Einschätzungen mal ganz knapp zusammengefasst: Es gibt einen Plan für eine Beta-version des Online-Bürgerportals. Federführend hat das Bundesinnenministerium diesen Plan ausgearbeitet. Diese Beta-Version soll in den nächsten Wochen in so eine Art Probebetrieb gehen. Aber diese Beta-Version soll nur Fachanwendungen und Angebote bereitstellen, die es schon auf dem Verwaltungsportal des Bundes gibt.
    Rätselraten um den Starttermin
    Kloiber: Wie soll der Probebetrieb denn aussehen?
    Welchering: Das weiß im Augenblick niemand so recht. Da wird etwa darüber diskutiert, ob die Beta-Version für Bürger freigeschaltet werden soll, oder ob der Pilotbetrieb erst mal nur verwaltungsintern ausprobiert werden soll. Großes Rätselraten auch um den Starttermin. Ob die Beta-Version noch vor der Bundestagswahl an den Start geht oder erst danach, weiß im Augenblick auch noch niemand.
    Kloiber: Wann kann ich denn meinen Personalausweis über das Online-Bürgerportal beantragen oder mein Auto ummelden?
    Welchering: Das weiß wahrscheinlich nicht einmal der Innenminister. Der hofft, dass das ab 2022 möglich ist. Dieser Termin steht ja auch im Online-Zugangsverbesserungsgesetz, das der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Aber die Kommunen mauern da. Denn die müssten ja einen Großteil der Betriebskosten für solch ein Portal aufbringen. Und dazu sind die Kommunen schlicht nicht bereit. Da muss also erst eine Einigung mit den Kommunen gefunden werden. Bevor aber eine solche Einigung möglich ist, sagen erst einmal die Bundesländer: Da haben wir auch ein Wörtchen mitzureden. Und das werden 16 Wörtchen sein. Denn jedes Bundesland verfolgt da andere Ziele.
    Geschätzte Projektkosten: 760 Millionen Euro
    Kloiber: Von welchen Kosten sprechen wir denn da bei diesem Online-Bürgerportal?
    Welchering: In der Abteilung Verwaltungsmodernisierung des Innenministeriums geht man von 400 Millionen bis 500 Millionen Euro aus. Da sind aber die sog vorgeschalteten Digitalisierungskosten, eben um Verwaltungsverfahren portalfähig zu machen noch nicht mit eingerechnet. Die jährlichen Betriebskosten für die Durchführung der Fachanwendungen, die sind da auch noch außen vor. Deshalb gibt es auch sehr unterschiedliche Schätzungen: 760 Millionen inklusive der digitalisierten Verwaltungsabläufe ist da als Zahl auf dem Digital-Gipfel in Ludwigshafen genannt worden. Und die jährlichen Betriebskosten für die Fachanwendungen sind noch gar nicht ermittelt.
    Kloiber: Das hört sich ja eher nach einem programmierten Flop an.
    Welchering: Aus wahlkampftechnischen Gründen sollte dieses Portal jetzt schnell hochgezogen werden. Das wird nicht funktionieren. Reine Angebote der Bundesverwaltungen sind eben nicht das, was der Bürger sich von einem Online-Bürgerportal wünscht. Denn der will eher sein Auto ummelden als eine Ausfuhrgenehmigung beantragen, damit er Wirtschaftsgüter in Spannungsgebiete liefern kann. Ein Mitarbeiter eines der beteiligten Unternehmen ist im Gespräch mit dem Deutschlandfunkreporter von mindestens zehn Jahren ausgegangen, bis eine Einigung über die grundlegenden Standards für solch ein Online-Bürgerportal zwischen Bund, Ländern und Kommunen erreicht ist.
    Kloiber: Peter Welchering über das geplante Online-Bürgerportal und die Tücken, danke!