Stephen Greenblatt: "Der Tyrann“

Von Macbeth bis Trump

Buchcover Stephen Greenblatt: "Der Tyrann". Im Hintergrund eine Wachsfigur von Shakespeare
In "Der Tyrann“ ist von Donald Trump zwar kein einziges Mal die Rede, die Parallelen jedoch liegen auf der Hand. © Siedler Verlag / picture alliance / Jens Kalaene
Von Wolfgang Schneider · 29.11.2018
Absolutes Machtstreben und grausamer Machtmissbrauch - das ist bei Shakespeare ein großes Thema. Aber wie wird jemand zum Tyrannen? Stephen Greenblatt analysiert Shakespeares Werke und zieht Parallelen zu US-Präsident Donald Trump.
Mit seiner unvergleichlichen Menschenkenntnis hat Shakespeare immer wieder prekäre Herrscher dargestellt, Tyrannen oder solche, die welche werden möchten. Der Wille zur Macht ist sein großes Thema. Der renommierte Shakespeare-Forscher Stephen Greenblatt hat diesem Aspekt nun eine essayistische Studie gewidmet, die ihre Entstehung der Wahl Donald Trumps verdankt.
Zwar fällt der Name des Präsidenten kein einziges Mal im Buch, und doch ist ständig von ihm die Rede. Das birgt die Gefahr, die man aus plumpen Theaterinszenierungen kennt, die alte Stücke als Kommentare zu aktuellen Reizthemen frisieren. Bei Greenblatt funktioniert es nur deshalb, weil er sich auch in diesem Buch als exzellenter Philologe erweist. Er führt viele faszinierende Passagen und Dialoge aus den Stücken vor und kommentiert Shakespeares "Machtkunde" mit souveräner Prägnanz.

Niederträchtig, roh und verlogen

Dem archetypischen Tyrannendrama "Richard III." widmet er sich am ausführlichsten. Richards Niedertracht, seine Rohheit, Verlogenheit und Grausamkeit sind "für fast jeden klar zu erkennen" – warum aber kommen solche Menschen dennoch zu Machtpositionen? Das sei eine der zentralen Fragen des Stücks, so Greenblatt, der anhand des Dramas eine Typologie der "Ermöglicher" entwickelt. Denn jeder Tyrann führt ein Biotop an Mitläufern und Profiteuren mit sich; Komplizenschaft und Loyalität zu erzeugen, gehört zu seinen wichtigsten Begabungen.
Zu den Ermöglichern gehören aber auch die Menschen, die glauben, dass es schon irgendwie weitergehen werde wie bisher. "Sie überreden sich selbst, dass sozusagen immer genug Erwachsene im Raum sein werden, um sicherzustellen, dass Versprechen gehalten, Bündnisse anerkannt und zentrale Institutionen respektiert werden." Andere genießen einfach zynisch das Spektakel: Es bereitet Spaß, die Gegner des Tyrannen fallen zu sehen. Bevor man über solche "Ermöglicher" die Nase rümpft: Auch wir als Leser oder Zuschauer von "Richard III." sind hingerissen von der munteren Perfidie des Schurken und werden in eine subtile Form der Kollaboration gelockt, nehmen für eine Weile "Urlaub von der Moral".

Fesselnde Anatomie des Machtmissbrauchs

Wir lernen in diesem Buch auch weniger bekannte Demagogen aus Shakespeares Machtfigurenarsenal kennen wie den Rebellenführer John Cade in "Heinrich VI." Vor keiner Falschbehauptung und keiner sozialpolitischen Verheißung schreckt dieser Populist zurück, wenn er damit die Emotionen des Volkes schüren und in politische Energie umwandeln kann. "Das ganze Reich soll Gemeingut werden und Geld wird abgeschafft", tönt er. Wenn Cades Anhänger von der gebildeten Elite als Abschaum und Pack bezeichnet werden, dann ist ihm das nur willkommen. Denn umso wirkungsvoller ist der "hochtrabend zur Schau getragene Respekt", mit dem Cade sie behandelt.
Und Trump? Zwar ergeben sich einige verblüffende Schlaglichter auf die Gegenwart; dennoch bleiben die "Parallelen" und "Ähnlichkeiten" unbefriedigend, weil sie immer nur einige Aspekte treffen, jedoch nicht zu einem Gesamtbild oder abschließenden Urteil taugen. Trump mag egoman und narzisstisch, machthungrig und verlogen sein, aber er ist kein missgestalteter Hasser wie der psychopathische Richard III., kein im Wahn versunkener Willkürherrscher wie Lear und kein von einer überehrgeizigen Frau angetriebener Königsmörder wie Macbeth.
Der Reiz dieses Buches liegt nicht in den aktuellen polemischen Untertönen, sondern im systematisierenden Blick auf die Machttechniken, die Shakespeare in seinen Stücken vorgeführt hat. "Der Tyrann" bietet eine fesselnde Anatomie des Machtmissbrauchs.

Stephen Greenblatt: Der Tyrann. Shakespeares Machtkunde für das 21. Jahrhundert
Aus dem Englischen von Martin Richter
Siedler Verlag, München 2018
228 Seiten, 20 Euro

Mehr zum Thema