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Bundesregierung nach dem Brexit-Votum
Hängepartie verhindern und Zuständigkeiten benennen

Nicht nur in der Frage, wie schnell Großbritanniens Regierung nun ihr Ausscheiden aus der Europäischen Union beantragen soll, ist die Bundesregierung gespalten. Unterschiedliche Ansichten gibt es auch darüber, wer genau für das weitere Vorgehen zuständig ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnt offenbar Druck auf die britische Regierung ab.

Von Stefan Maas | 26.06.2016
    Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt im Bundeskanzleramt eine Erklärung zum Brexit ab.
    Die Bundesregierung muss auch einen Zeitplan für den Brexit erstellen. (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
    Nicht nur in der Frage, wie schnell Großbritanniens Regierung nun ihr Ausscheiden aus der Europäischen Union beantragen soll, ist die Bundesregierung gespalten. SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier(SPD) hatte sich gestern nach einem Treffen mit den Außenministern der EU-Gründungsstaaten dafür ausgesprochen, dass Premierminister David Cameron so schnell wie möglich erklären müsse, sein Land wolle die EU verlassen, damit die Verhandlungen darüber beginnen könnten.
    "Die Verantwortung in London geht auch über Großbritannien hinaus. Es muss uns jetzt die Möglichkeit gegeben werden, dass wir uns mit der Zukunft Europas beschäftigen."
    Eine Hängepartie, so Steinmeier, eine Zeit der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit müsse verhindert werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es weniger eilig.
    "Ehrlich gesagt, es soll nicht ewig dauern, das ist richtig. Aber ich würde mich auch nicht wegen einer kurzen Zeit verkämpfen."
    Ihr Kanzleramtsminister, Peter Altmaier, sagte im Interview der Woche des Deutschlandfunks, es gebe keine Anzeichen dafür, dass David Cameron den Antrag, wie in vielen europäischen Hauptstädten gefordert, bereits beim EU-Gipfel am Dienstag in Brüssel stellen werde.
    Keine Sonderbehandlung für Großbritannien
    "Ich glaube eher, dass dieser Antrag in den kommenden Wochen oder Monaten gestellt wird, möglicherweise auch erst von einer neuen Regierung."
    Sei das Verfahren eröffnet, müsse sich Großbritannien auch darüber im Klaren sein, dass es keine Sonderbehandlung gebe.
    "Wir sollten klar machen, das haben wir klar gemacht, dass man dieses Referendum nicht benutzen kann, um einen besseren Deal oder etwas Ähnliches zu verhandeln. Aber Großbritannien ist, solange bis es diesen Antrag gestellt hat und bis die Verhandlungen abgeschlossen sind ein Mitglied der EU mit allen Rechten und Pflichten."
    Auch darüber, was der Austritt Großbritanniens nun für die verbleibenden 27 Staaten und die Zukunft der EU bedeutet, sind die Vorstellungen zwischen Auswärtigem Amt und Kanzleramt unterschiedlich. Ist er eine Chance, um in einigen Politikfeldern die Integration zu vertiefen oder ist - angesichts der EU-Skepsis in anderen Ländern wie etwa Frankreich, den Niederlanden, oder in Osteuropa ein schneller Kurs in Richtung "mehr Europa" eher eine Gefahr? Angela Merkel hatte deswegen vor schnellen und einfachen Schlüssen aus dem Referendum gewarnt.
    Unterschiedliche Ansichten gibt es in der Koalition auch in der Frage, wer genau jetzt für das weitere Vorgehen zuständig ist. Der Vorsitzende des EU-Ausschusses, Gunther Krichbaum, CDU, sagte der "Welt am Sonntag", seiner Ansicht nach sei das Kanzleramt für das Konzept, das Auswärtige Amt eher für die technischen Abläufe zuständig. SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer hingegen sieht die Zuständigkeit eher im Auswärtigen Amt. Im Rat der Außen- und Europaminister werde traditionell die wichtigste Arbeit für den Zusammenhalt der EU geleistet. Alleine Merkels Krisendiplomatie reiche weder der SPD noch für die EU insgesamt.
    Deutschland und Frankreich wollen näher zusammenrücken
    Steinmeier hatte mit seinem französischen Kollegen Jean-Marc Ayrault ein Papier erarbeitet, in dem sie Felder ausmachen, in denen eine engere Zusammenarbeit umgesetzt werden könnte. Angesichts der terroristischen Anschläge hat Frankreich sein Augenmerk auf die innere und äußere Sicherheit gerichtet, Steinmeier ist das Thema Flüchtlingspolitik und Migration wichtig, denn dabei sind die Lasten innerhalb der EU ungleich verteilt. So meldet etwa die "Welt am Sonntag", aus einer Auswertung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gehe hervor, dieses Jahr hätten die übrigen EU-Staaten erstmals mehr Migranten nach Deutschland abgeschoben als umgekehrt. Deutschland versuche in vielen Fällen gar nicht erst, Asylsuchende in jene europäischen Länder zurückzuführen, durch die sie nach Deutschland gekommen seien. Auch weil diese eine Rücknahme oft ablehnten.