Gastkritik

Die Hörspiel-Premieren im Juli

11:22 Minuten
Ein Mann liegt am Wasser auf einer Luftmatratze und hört Radio.
Sommer, Sonne, Radio © unslash/Magnus Lunay
Von Max von Malotki · 29.06.2021
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Max von Malotki stellt drei Hörspielproduktionen vor, die im Juli urgesendet werden: „Die Don Quichot*innen oder: Was kostet die Kindheit?“, „Das alemannische Quartett" und „Das Dschungelbuch“.
Geheimtipps sind ja deshalb so wunderbar, weil nicht schon an jeder Wand angeschlagen steht, dass alle sich jetzt für diesen Film, diese Serie oder dieses Hörspiel interessieren muss. Es sind noch nicht zehn Freunde mit vor Schreck geweiteten Augen an einen herangetreten mit den Worten: Das KENNST Du nicht!? Das kann ja wohl nicht wahr sein. Und man geht dann mit einer Erwartungshaltung an die Empfehlung ran, der sie meist gar nicht gerecht werden kann. Besser... man stolpert zufällig über etwas.
Ausschnitt
"Sehr geehrte Frau S., Frau P., sehr geehrte Frau E. - Tatvorwurf: Wegen der Missachtung der Erfordernisse des Gemeinwohls und des Kindeswohls, der mit ihnen in Gemeinschaft lebenden leiblichen Kinder, werden Sie als Angeklagte zur Hauptverhandlung geladen.
Ein Hörspiel von Ulrike Müller. "Die Don Quichot*innen oder: Was kostet die Kindheit." "Don Quichot*innen" mit Gendersternchen geschrieben, ein biographisches Werk über alleinerziehende Mütter. Sperriger Titel. Lassen Sie es mich so formulieren. Ich habe mich nicht unbedingt als Teil der Kernzielgruppe gefühlt. Umso überraschter war ich dann, wie sehr mich dieses Hörspiel gekriegt hat. Ich habe gelacht, ich habe geschnauft, ich habe den Kopf geschüttelt. Ein absurdes Drama, eine Tragikomödie, über das Leben alleinerziehender Mütter. Drei Frauen vor einem kafkaesken Gericht.
Ausschnitt
"Alleinerziehende Mütter, bitte erheben Sie sich. Zu Beginn der Verhandlung möchte das hohe Gericht folgendes klarstellen. Wir leben in einer solidarischen Leistungsgesellschaft. Diese basiert auf der Idee, dass alle, die in ihr leben, sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften am Wachstum und an der Weiterentwicklung dieser Gesellschaft beteiligen. [...] Den Beklagten wird vorgeworfen, diese Erfordernisse, durch ihre derzeitige Existenzgestaltung nicht zu erfüllen, oder erfüllen zu wollen. Juristisch gesehen, ist dieser Unterschied unerheblich."
Ja. Es ist eine Frechheit. Alleinerziehende Mütter. Sie stehen dem Kapitalismus nicht wirklich zur Verfügung und kümmern sich gleichzeitig nicht ausreichend um die Kinder. Und übrigens, was machen die Kinder hier.
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Kindergeschrei und "Raus. Kinder haben im Gericht nichts zu suchen."
Warum sind die nicht zuhause bei ihrem Vater? Ach stimmt. Da war ja was. Diese humoristische Ebene zieht uns in eine Geschichte hinein, die einen realen, tragischen Hintergrund hat. Die Unvereinbarkeit von Beruf und dem was von der Klischee-Familie übrigblieb, nämlich Mutter und Kind. Das Thema "unmöglich zu organisierender Alltag". Das Thema "Altersarmut", gerade bei alleinerziehenden Frauen. Das Thema Traum-Beruf und Selbstverwirklichung. Oder auch das Thema "Verlassen werden".
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Collage: Mütter berichten. Text-Potpourri endet mit dem Thema "Steine, die man mit sich herumträgt" und den Worten: "...sonst zerbrichst Du irgendwann."
Trotzdem liegt einem die Geschichte nicht wie ein Stein im Magen. Da ist Hörspielautorin Ulrike Müller und auch der hervorragenden Inszenierung tatsächlich gelungen, das Tragische und das Komische so gut in der Waage zu halten, dass man sowohl schmunzelnd als auch nachdenklich aus dem Hören dieses Hörspiels hervorgeht. Unter anderem liegt das auch an dieser immer wieder eingezogenen narrativen Meta-Ebene. Die Schauspieler sitzen zusammen und unterhalten sich darüber, wie sie ihre Texte finden.
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"Entschuldigt, ich muss mal hier unterbrechen. Also ich finde das unter aller Sau, was hier gerade passiert. Das ist würdelos. Das sind erwachsene Menschen, die ‘ne Lebensleistung haben, und die werden hier behandelt wie Schwerverbrecher. Man muss die Würde wahren." / "Ja, die Richtertexte sind echt perfide, oder?" / "Leute, Ihr seid Figuren. Bitte, vertretet Eure Figuren." / "Wir machen gerade Pause, Ali. Pause und Leistung gehören zusammen. Ein Apfelbaum blüht auch nicht das ganze Jahr durch." / "Aber man doch von einem Apfelbaum, der 52 Jahre alt ist, auch mal verlangen, dass er Früchte trägt." /" Ali, sag mal, wer bist Du gerade?" / "Entschuldige mal, da regt mich allein schon die Frage auf. Ich verlange von Euch den Ehrgeiz, Euren professionellen Ehrgeiz, Eure Figuren zu vertreten. Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt." / "Ja und meine Figur, Frau E., die hat überhaupt keinen Ehrgeiz, die fühlt sich sauwohl in der zweiten und dritten Reihe. Und soziales Leben ist Ihr viel wichtiger. Und das ist doch gut so. Ich mach jetzt mal das Fenster auf." / "Frau P., ein Apfelbaum, der keinen Apfel trägt, ist kein Apfelbaum."
Großartiger Cast, übrigens. Die Schauspieler*innen. Ganz toll. Wenn Sie das jetzt weiterempfehlen sollten. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen. Der Satz: "Hör ma, Du warst doch, bevor Du Deinen zweiten Mann kennengelernt hast, alleinerziehende Mutter. Super Hörspiel zu dem Thema. Sehr lustig." Sollte unbedingt mit den Worten, "aber auch sehr gesellschaftskritisch" ergänzt werden. Alleinerziehende Mütter haben zwar immer Humor – also ohne steht das kein Mensch durch - aber der Satz: "Dein Leben, ein Witz!" kommt immer schlecht an. Und dafür ist das Hörspiel auch zu vielschichtig, zu kritisch, einfach zu gut. Und empfehlen Sie das Hörspiel bitte auch Männern. Frauen kennen die Tragikomödie ja.
Ulrike Müller. "Die Don Quijot*innen, oder: Was kostet die Kindheit." Ein schwer an den Konsumenten zu bringendes, politisches Thema, facettenreich und leichtfüßig verpackt, ohne den Tiefgang zu verlieren. Hut ab. Läuft am 2. Juli um 19:00 Uhr bei RBB Kultur.
Wenn Sie gerade Ihrem Kind essen gemacht, es zum Sport gefahren, oder ins Bett gesteckt haben, als alleinerziehende Person, und sie sagen: "Kann ich bitte was anderes haben. Das ist mir zu nah dran an meiner Realität!"
Selbstverständlich. Der SWR hat ein elsässisches Mundarthörspiel im Programm, mit dem Titel: "Das alemannische Quartett." Historisch. Es geht um das Elsass und seine Geschichte. Philosophisch, weil es unter anderem um Heidegger und Sartre geht. Es ist aber auch eine Herausforderung, weil das Hörspiel ist in Teilen aufgrund der authentischen Regiolekte unfassbar schwer zu verstehen.
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"Der Doktor kommt schon wieder..."
Wenn Sie jetzt sagen: "Das versteht man doch! Der Hinterreifen hatte zu wenig Luft. Hat er gesagt. Hab ich genau verstanden!" Habe ich auch gedacht. Aber dann kamen die französischen Anteile.
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(französisch)
"Les boches": Die Deutschen. Ich hatte Französisch. Aber es hat nicht gereicht. Wenn Sie gut genug Französisch können, sagen Sie mal Bescheid, wie es war. Die Geschichte ist nämlich wunderbar. Ein Treffen zwischen Albert Schweitzer, René Schickele, Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre nach dem Ende des ersten Weltkrieges. Wenn man die sprachlichen Hürden überwinden kann, sicher spannend. Bei SWR2 bereits im Netz zu finden: "Das alemannische Quartett."
Als zweite Alternative habe ich noch einen Klassiker im musikalischen Gewand für Sie.
Ausschnitt
"... mit Christian Brückner und dem wilden Jazzorchester."
"Das Dschungelbuch" von Rudyard Kipling. Probier’s mal mit Gemütlichkeit. Shir Khan. Mowgli. Sie wissen schon.
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"Willst Du es immer noch behalten, Mutter?
Entschuldigung, ich mach’s kurz, es geht schon wieder um Familie. Aber eine sehr frühe Patchwork-Familie. Dafür können Eltern dieses Hörspiel auch hervorragend ihren Kindern vorspielen. "Das Dschungelbuch". Am 18.07. Sonntagnachmittag um 16 Uhr auf HR2 Kultur.