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Bundestag berät Antrag über Hilfe für traumatisierte Soldaten

Im Bundestag wird heute ein fraktionsübergreifender Antrag über erweiterte Hilfen für traumatisierte Soldaten-Rückkehrer debattiert. Der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Reinhold Robbe (SPD) begrüßt den Antrag, sagt aber kritisch: "Das Thema ist im Grunde nicht neu".

Reinhold Robbe im Gespräch mit Stefan Heinlein | 12.02.2009
    Stefan Heinlein: Seit 1992, seit der ersten Beteiligung an einem UN-Friedenseinsatz in Kambodscha, waren über 200.000 Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz. Kosovo und Afghanistan sind die aktuellen Einsatzgebiete. Sie sehen ihre Kameraden sterben, verstümmelte Kinder, Blut, Gewalt und Terror, Grenzerfahrungen für viele Soldaten. Nach der Rückkehr in ihre Heimat bleiben diese Bilder im Kopf. Vieles wird verdrängt, aber nicht aufgearbeitet.
    Ein Ausschnitt aus dem ARD-Film "Willkommen zu Hause", ein Film über einen aus Afghanistan zurückgekehrten Bundeswehrsoldaten, der seine Erlebnisse nicht verarbeiten kann. Die Ausstrahlung am Montag vergangener Woche brachte politisch einiges in Gang. Heute berät der Bundestag über bessere Hilfen für traumatisierte Soldaten, und darüber möchte ich jetzt sprechen mit dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe (SPD). Guten Morgen!

    Reinhold Robbe: Moin, Herr Heinlein. Ich grüße Sie.

    Heinlein: Brauchte es erst diesen Fernsehfilm, um das Thema ganz vorne auf die politische Tagesordnung zu bringen?

    Robbe: Nein. Man muss gerechterweise sagen, das Parlament und insbesondere der Verteidigungsausschuss haben sich schon weit im Vorfeld der Ausstrahlung dieses Filmes um das Thema natürlich gekümmert und haben auch die Initiative ergriffen zu diesem fraktionsübergreifenden Antrag, wenngleich ich sagen will, dass der Fernsehfilm aus meiner Sicht schon sehr segensreich gewirkt hat, denn zum ersten Mal kann ich persönlich und ich glaube können viele in unserem Land feststellen, dass es mehr Verständnis gibt für die Sorgen und für die Probleme der Soldatinnen und Soldaten, insbesondere mit Blick auf die psychischen Belastungen. Und dass jetzt das Parlament meines Wissens zum ersten Mal in seiner Geschichte ein spezielles medizinisches, sanitätsärztliches Thema aufgegriffen hat und es zum Thema einer Debatte macht, das ist schon was Einmaliges, und ich finde, darauf können die Soldatinnen und Soldaten auch stolz sein. Sie können sagen, dass das Parlament sich auseinandersetzt mit ihren Problemen, und mit diesem Antrag, der heute zur Debatte steht, wird immerhin etwas angestoßen, wird etwas auf den Weg gebracht, was aus meiner Sicht ohne diesen Antrag nicht, zumindest nicht so schnell auf den Weg gebracht worden wäre.

    Heinlein: Hat die Politik, Herr Robbe, hat speziell das Verteidigungsministerium dieses Thema zu lange ignoriert? So lauten ja die Vorwürfe der Opposition?

    Robbe: Nun ja, ich will hier keine Zensuren verteilen, das ist nicht meine Aufgabe, sondern ich neige mehr dazu, mit konkreten Fakten mich an diejenigen zu wenden, die es angeht, und zwar im Auftrage des Parlaments. Ich bin der verlängerte Arm des Parlamentes und sorge dafür, dass die Dinge, die dort als Wille ausgedrückt werden, dann auch entsprechend umgesetzt werden. Hier kann ich nur feststellen, dass die Leitung der Sanität vielleicht etwas zu lange gewartet hat mit der Thematisierung dieses Problems und auch etwas zu zögerlich war mit Blick auf das in Angriff nehmen der notwendigen Dinge, die jetzt in diesem Antrag gefordert werden.
    Ich will ein Beispiel nennen. Das Parlament fordert ein Kompetenz- und Forschungszentrum zur Behandlung von PTBS in der Bundeswehr. Es sollen alle Kapazitäten zusammengefasst werden. Es soll ein Wissenstransfer dessen stattfinden, was in den Bundeswehrkrankenhäusern in den letzten Jahren angesammelt wurde, um den Soldatinnen und Soldaten wirklich optimal zeitnah zu helfen und alles zu tun, damit den wirklich bedauernswerten Menschen geholfen werden kann. Ich kann mir ein Bild davon machen, weil ich in permanentem Kontakt mit den Soldaten stehe, die von PTBS belastet sind, und ich kann nur sagen, wer einmal es zu tun hatte mit diesen Soldaten, der weiß, um was es sich handelt, und der weiß auch, dass hier ganz schnelle Hilfe gefordert ist.

    Heinlein: Fällt es den Soldaten inzwischen leichter, sich zu ihren seelischen Verletzungen zu bekennen?

    Robbe: Das würde ich im Moment noch mit einem Nein beantworten. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch in unserer zivilen Welt der Gang zum Psychiater stigmatisiert ist. Niemand hat es gerne mit dem Psychiater zu tun und derjenige, der hingeht, der weiß, dass seine Freunde, seine Bekannten auch mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ihn weisen. Das muss sich ändern, insbesondere in der Bundeswehr. Und gerade deswegen – ich komme noch mal auf den Film zurück – ist es wichtig, dass wir darüber reden, dass wir uns nicht scheuen, mit diesem Thema umzugehen, und die Soldatinnen und Soldaten sind dabei, das zu lernen. Sie wenden sich an den Truppenpsychologen, wenn sie Probleme haben. Sie wenden sich auch an den Militärgeistlichen, wenn es um Probleme geht. Das kann ich erfahren, wenn ich meine Truppenbesuche mache, insbesondere in den Auslandseinsätzen zum Beispiel in Afghanistan.

    Heinlein: Also das alte Soldatenmotto "was mich nicht umbringt, macht mich härter" hat noch immer zu viel Konjunktur auch innerhalb der Bundeswehr?

    Robbe: Ja, sicher, und das sind zum Teil sogar Dinge, die noch aus dem Zweiten Weltkrieg nachwirken. Wir dürfen nicht verkennen: Das Thema ist im Grunde nicht neu. Das Stichwort PTBS ist neu. Aber posttraumatische Belastungsstörungen hat es auch schon im Ersten und im Zweiten Weltkrieg gegeben, aber damals wurden sie wenn überhaupt nur sehr nachlässig behandelt. Man wusste nicht, damit umzugehen, und wir haben bis heute mit Menschen zu tun, die zum Beispiel im Zweiten Weltkrieg daran erkrankt sind. Das weiß ich aus eigener Erfahrung und deswegen müssen wir sehr offensiv mit diesem Thema umgehen und deswegen bin ich dem deutschen Parlament dankbar, dass hier ein fraktionsübergreifender Antrag zu Stande kam, der jetzt mit einer regelrechten Offensive dieses Problem angeht und aus meiner Sicht dafür sorgt, dass wir vielleicht führend in der Welt hier etwas aufbauen, was sich sehen lassen darf.

    Heinlein: Lässt sich denn, Herr Robbe, das Erleben von Tod, Gewalt und Elend trainieren? Kann man Soldaten darauf vorbereiten, ihre Kameraden sterben zu sehen?

    Robbe: Sicher nicht so, wie Sie die Frage stellen, aber man kann schon im Vorfeld die Soldaten weitestgehend auf bestimmte Szenarien vorbereiten, man kann ihnen vor allen Dingen beibringen, dass sie mit Verhaltensauffälligkeiten bei sich selber richtig umgehen, dass sie diese Verhaltensauffälligkeiten rechtzeitig feststellen und dann professionelle Hilfe sofort in Anspruch nehmen. Darum geht es in erster Linie, also prophylaktisch alles zu tun, was man überhaupt machen kann.

    Heinlein: Sie haben gesagt, Deutschland wolle führend werden in der Welt mit diesem Forschungszentrum. Dennoch: in den USA oder in Israel, Länder, die schon seit langem in Kriegseinsätzen sind, haben ja viele Erfahrungen. Wird man sich dieser Erfahrungen, dieser Berichte bedienen, um dieses Forschungszentrum aufzubauen?

    Robbe: Auch das fordert dieser Antrag, der heute im Deutschen Bundestag verabschiedet wird. Sie haben Recht: unsere Bündnispartner, insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika, verfügen naturgemäß über längere Erfahrungen, aber es ist nicht unbedingt gesagt, dass dort die besseren Therapiemöglichkeiten bestehen. Wir wissen, dass gerade in den Vereinigten Staaten aus dem Vietnam-Krieg, aber auch jetzt aktuell aus dem Irak-Krieg eine ganz große Dunkelziffer von erkrankten, PTBS-belasteten Soldaten besteht und dass dieses ein Riesen Problem in den Vereinigten Staaten darstellt. Hier geht es darum, vielleicht auch mit der neuen amerikanischen Administration eine enge Kooperation zu finden, um hier wie gesagt das Optimale zu tun für unsere Soldaten, die überall in der Welt ihre Gesundheit und auch ihr Leben einsetzen.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Robbe: Bitte sehr. Tschüß!