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Ausbildungsprojekt
Jobchancen für Geflüchtete im Gesundheitswesen

Ein gemeinsames Projekt des Jobcenters und der Ärztekammer vermittelt Krankenhaus-Praktika an Geflüchtete. Einige haben danach die Aussicht auf einen Ausbildungsplatz. Doch in diesem Jahr wurden weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen als noch im Vorjahr.

Von Almut Horstmann | 19.12.2019
Eine Medizinisch-technische Assistentin mit Kopftuch arbeitet an einem Computer.
Immer mehr Arztpraxen und Krankenhäuser beschäftigen Zugewanderte als Praktikanten (dpa/Kay Nietfeld)
Vormittags herrscht in der gynäkologischen Ambulanz in Essen Mitte viel Betrieb. Während an der Anmeldung Patientinnen um einen Untersuchungstermin bitten, beginnt bereits die Sprechstunde:
"Frau Neuhaus kommen Sie bitte, setzen Sie sich bitte hin. Darf ich ihnen mal den Blutdruck messen, alles gut wie hoch war der Blutdruck. Dankeschön. Dann kommen Sie mit in die Behandlungszimmer, Sie dürfen sich hierhin setzten, jetzt warten wir auf die Ärztin, bis die kommt."
Routine, um die sich die Auszubildende Sevan Kaspar kümmert. Sie ist eine von insgesamt 22 Flüchtlingen, die eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten in Essen macht. Sevan Kaspar kommt aus Syrien und ist eigentlich gelernte Arabischlehrerin. Aber weil sie nur als Honorarkraft an verschiedenen Schulen gefragt war, entschloss sich die 36-Jährige noch einmal von vorn anzufangen. Über ein Ausbildungsprojekt von Jobcenter und der Ärztekammer bekam Sevan Kaspar ein Krankenhaus-Praktikum mit Aussicht auf einen Ausbildungsplatz. Gegen eine Aufwandsentschädigung von 260 Euro im Monat, die das Jobcenter bezahlt, hatte Sevan Kaspar ein Jahr lang Zeit, "um zu testen, oder zu überlegen, ob ich mit den Patienten umgehen kann, mit der Sprache oder ob diese Arbeit mir gefällt."
Eine Probezeit, die auch der Syrer Amer Eibasch in der Rehaklinik in Kettwig nicht missen möchte:
"Ich hatte keine Vorstellung, was ein MFA ist, was er macht und danach finde ich das total interessant. Unser Körper ist wunderbar. Ich bin total fasziniert vom Herz-Kreislaufsystem."
In extra Kursen an zwei Tagen in der Woche lernen die Zuwanderer das deutsche Gesundheitswesen in Theorie und Praxis gründlich kennen, denn mit Begriffen wie EKG, Blutdruck, Unfallmeldung oder Krankenschein konnten sie vorher nichts anfangen. Für ihre Arbeitgeber bietet das Projekt ausreichend Gelegenheit, die Fähigkeiten und das Rollenverständnis der Mitarbeiter aus anderen Kulturen zu erkennen, sagt der Ärztliche Direktor der Rehaklinik Mario Siebler:
"Man muss mit dem Anwärter vorher klären, dass in einem deutschen Gesundheitssystem in vielen Positionen Frauen auch eine gute Ausbildung haben und dass man eine Belehrung von Frauen annehmen kann. Wenn dies nicht geht, hat es keinen Sinn in so ein System einzusteigen, und deshalb ist die Praktikumszeit eine ganz wichtige Einarbeitungszeit, in der wir die Sicherheit haben, dass wir eine Chance haben, die Ausbildungszeit zu beenden."
Weniger Ausbildungsverträge als im Vorjahr
Aber viele Migrantinnen und Migranten sind den Anforderungen offenbar nicht gewachsen. Nach Angaben des städtischen Jobcenters Essen wurden in diesem Jahr weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen, als im Vorjahr.
Ein weiteres Problem: Die Praxen bevorzugen Frauen und die wollen größtenteils nur in Teilzeit eine Ausbildung beginnen. Dennoch beschäftigen immer mehr Arztpraxen und Krankenhäuser Zuwanderer als Praktikanten in der Hoffnung, nach 12 Monaten einen Ausbildungsvertrag abschließen zu können. Denn allein die Stadt Essen sucht derzeit 200 medizinische Fachangestellte für ihre Kliniken und Praxen. Auch deshalb werben Jobcenter und Ärztekammer weiter für den Lehrberuf. Denn jeder Ausbildungsvertrag mit einem Zuwanderer ist für die Vertreterin der Ärztekammer Patrizia Aden eine Bereicherung:
"Die bringen ja mindestens eine Muttersprache mit, manchmal sogar mehrere, manchmal können die sowohl arabisch als auch kurdisch als auch persisch und die Patienten sind ja ähnlich aufgestellt, also sind diese Menschen für die Praxen wirklich ein Gewinn."
Sevan Kaspar und Amer Eibasch jedenfalls sind froh über ihre Ausbildung zur Medizinischen Fachkraft und wünschen sich nichts sehnlicher, als hier sesshaft zu werden.
"Mein Ziel ist integrieren und das wichtigste ist die Sprache."
"Ich hab hier eine Familie gegründet, meine Verlobte ist Deutsche und wir haben ein Kind und ich bleibe hier, wenn das möglich ist."