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Bundestag
Buhlen um Aufmerksamkeit

Szenen einer Plenarsitzung: Es wird in den Akten gelesen, aufs Mobiltelefon oder Tablet gestarrt oder in den hinteren Reihen gequatscht. Viele Bundestagsabgeordnete hören während der Sitzungen einfach nicht zu. Aber die Redner sind trickreich, wie das Beispiel der Griechenland-Debatte zeigt.

Von Benjamin Hammer | 20.08.2015
    Leere Hinterbanken im Bundestag in Berlin. Im Bild: Der CDU-Politiker und sogenannte Euro-Rebell Klaus-Peter Willsch
    Leere Hinterbanken. Im Bild: Der CDU-Politiker und sogenannte Euro-Rebell Klaus-Peter Willsch (CDU) (Deutschlandfunk / Benjamin Hammer)
    Mittwochvormittag, Griechenland-Debatte. Auf den Tribünen über dem Plenarsaal haben Besuchergruppen Platz genommen. Sie sehen ein unruhiges Parlament. Der Bundestagspräsident ergreift das Wort.
    "Nehmen Sie bitte Platz, die Sitzung ist eröffnet."
    Die Abgeordneten haben sich wegen der Sommerpause länger nicht gesehen. Es gibt viel zu besprechen. Die Hälfte hört ihrem Bundestagspräsidenten nicht zu. Später wird sich das etwas ändern. An manchen Stellen der Debatte. Nicht immer.
    "Es wäre natürlich sehr schön, wenn alle immer allen zuhören."
    Sagt ein Mann, der es wissen muss. Peter Hintze, CDU, Vizepräsident des Bundestages.
    "Aber das ist Illusion. Das hat es nie gegeben. Ich bin seit einem viertel Jahrhundert Mitglied des Bundestages. Ich habe auf der Regierungsbank gesessen, auf der Oppositionsbank gesessen auf dem Präsidentenstuhl gesessen."
    Warum aber sind Bundestagsabgeordnete bei den Debatten mitunter so unaufmerksam? Die Debatte über ein neues Griechenlandprogramm, eine der wichtigsten des Jahres, soll Antworten liefern.
    Kanzlerin unterhält sich in den hinteren Reihen
    Ein wichtiges Thema. Das sehen auch die Abgeordneten und die Regierung so. Doch es gibt so viel zu besprechen. Während der Debatte wird sich Angela Merkel später lange mit Marieluise Beck von den Grünen unterhalten. Die beiden machen das in einer der hinteren Reihen des Plenums. Beck ist eine ausgewiesene Kennerin beim Thema Flüchtlinge und Migration. Hinzu kommt: Wenige Minuten nach der Griechenland-Abstimmung wird sich die halbe Regierung auf eine Reise nach Brasilien begeben.
    Für die Redner macht es das nicht einfacher. Wie nur können sie in dieser Situation die Aufmerksamkeit der Abgeordneten und der Regierungsbank bekommen? Es gibt da mehrere Möglichkeiten. Gehen wir sie mal durch. Da wäre Variante eins: wichtig sein.
    "Die Entscheidung über ein weiteres Hilfsprogramm für Griechenland fällt nicht leicht."
    Bundesfinanzminister Schäuble spricht im Bundestag
    Bundesfinanzminister Schäuble (dpa/picture-alliance/Wolfgang Kumm)
    Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister. Niemand im Parlament würde bezweifeln, dass dieser Mann in Sachen Griechenland relevant ist. Doch auch Schäuble hat es heute nicht leicht. Er wirkt etwas träge. Und während er von Sixpack und Fiskalpakt spricht, unterhalten sich Claudia Roth und Cem Özdemir von den Grünen. Gregor Gysi liest Akten. Und die Kanzlerin? Sogar die spricht zeitweise mit Sigmar Gabriel.
    Bleibt eine zweite Variante um für seine Rede zu trommeln. Man spreche diejenigen, deren Aufmerksamkeit man erlangen will, möglichst häufig an. Gregor Gysi von der Linkspartei ist so etwas wie ein Großmeister dieser Taktik.
    "Jetzt Frau Merkel haben auch Sie es verstanden und eingesehen...."
    Es ist verblüffend. Es gibt Teile von Gregor Gysis Rede, da scheint ihm auf der Regierungsbank niemand zuzuhören. Da spricht die Kanzlerin mit dem Innenminister, da liest der Finanzminister gedankenversunken in seinen Akten. Der Trick mit der direkten Ansprache, er wirkt jedoch.
    "Und deshalb, Herr Schäuble, haben Sie ja so lange vom Internationalen Währungsfonds gesprochen."
    Politiker mit bekannten Namen sind im Vorteil
    Bei aller Unruhe. Wolfgang Schäuble und Gregor Gysi haben einen großen Vorteil. Sie sind bekannt. Das kann auch Peter Hintze immer dann beobachten, wenn er sich auf den Stuhl des Bundestagspräsidenten setzt.
    "Die größte Aufmerksamkeit haben, das ist auch medial bedingt natürlich, die großen Politiker von Regierung und Opposition. Und diejenigen, die neu im Parlament sind oder noch nicht so einen Namen haben, die haben es da bisschen schwerer."
    Einer von ihnen ist Manuel Sarrazin von den Grünen. Der junge Abgeordnete spricht erst 90 Minuten nach Beginn der Debatte. Er bekommt gerade einmal drei Minuten Redezeit. Sarrazin muss nun kämpfen. Um die Aufmerksamkeit seiner Kollegen. Und die Aufmerksamkeit der Regierungsbank. Auch er versucht sich am Gysi-Trick, der direkten Ansprache.
    "Frau Merkel, ich habe einen Vorschlag an Sie."
    Sarrazin hat Glück: Merkel ist noch da. Keine Selbstverständlichkeit. Doch der junge Abgeordnete findet einen anderen Bundestag vor, als es noch bei seinen Vorrednern Gysi und Schäuble der Fall war. Viele Abgeordnete sitzen nicht mehr auf ihren Plätzen. In den hinteren Reihen herrscht Unruhe. Die Regierungsbank ist nur noch zur Hälfte gefüllt. Und der Finanzminister unterhält sich mit Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Als Sarrazin ihn anspricht, hört der nicht zu.
    "Wie kam das eigentlich, Herr Schäuble? Sie haben heute extrem rational den Inhalt Ihres Pakets vorgetragen."
    Wir treffen Manuel Sarrazin im Anschluss an die Griechenland-Abstimmung. Und der nimmt das mit den unaufmerksamen Kollegen sehr locker.
    "Viele Leute haben so vollgepackte Terminkalender. Und haben dann im Plenum die Möglichkeit kurze Gespräche zu führen. Die aber wichtig sind. Deswegen würde ich da um Verständnis werben."
    Sarrazin räumt jedoch ein: Natürlich könne man den politischen Gegner auch bewusst treffen, indem man ihm nicht zuhört. Er sagt aber auch:
    "Es ist ganz normal, wenn man lange einer Plenardebatte lauscht, dass man dann nicht mehr der Frischeste ist. Das kennt jeder noch aus der Schule."
    Handy und Tablet lenken ab
    Mit ihrem Mobiltelefon und Tablet-Computer vor sich verfolgt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag eine Debatte.
    Mit Mobiltelefon und Tablet-Computer im Bundestag: Kanzlerin Angela Merkel. (Wolfgang Kumm, dpa picture-alliance)
    Der Vergleich mit der Schule hinkt an einer Stelle. Denn im Bundestag, auch am Tag der Griechenland-Debatte, gibt es Geräte, die für viel Unruhe sorgen und in der Schule in dieser Form undenkbar wären.
    "Die Erfindung des Smartphones und der Tablets ist glaube ich die größte kommunikative Veränderung überhaupt. Und die Neigung, da draufzuschauen oder selbst was abzuschicken, ist hoch. Und es ist in der Tat ja unauffälliger, als wenn einer eine Zeitung ausbreitet. Würde ja sofort vom Präsidenten gerügt werden. Das ist schon mal klar."
    Bei der Griechenland-Debatte schaute – das ist jetzt eine subjektive Zahl des Reporters, jeder zweite Abgeordnete und Minister über weite Strecken auf sein Tablet oder Smartphone. Man habe schon einmal überlegt, sagt Peter Hintze, dem Treiben mit Störsendern ein Ende zu setzen. Aber das würde wohl einen Aufstand geben. Der junge Abgeordnete Manuel Sarrazin nimmt all das sportlich. Es kommt eben auch auf die Qualität der Rede an, sagt er. Er nennt uns noch eine dritte Variante, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
    "Also am besten ist es einen Witz zu machen, der funktioniert. Aber das ist leider nicht so leicht."