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Rassismus in US-Redaktionen
Wenn Weiße über Schwarze berichten

Die „Black Lives Matter“-Bewegung ist in den USA immer noch ein wichtiges Medienthema. Allerdings sind in den vergangenen Wochen mehrere Medien wegen ihrer Berichterstattung in die Kritik geraten. Doch nun scheint sich in einigen Redaktionen etwas zu ändern.

Von Sinje Stadtlich | 23.06.2020
Chivona Renée Newsome, Kongresskandidatin aus der Bronx, bei einer Protestveranstaltung von Black Lives Matter in New York.
Einige Berichte über die "Black Lives Matter"-Bewegung haben Kritik nach sich gezogen (Getty Images / Pacific Press)
"Buildings matter, too" – so lautete die Überschrift im "Philadelphia Inquirer". Gebäude seien auch wichtig. Gemeint waren die Gebäude, die bei Protesten gegen Rassismus in Philadelphia beschädigt worden waren. Allerdings war die Formulierung nicht nur unglücklich an den Namen der Anti-Rassismus-Bewegung "Black Lives Matter" angelehnt, sondern für viele eine rassistische Beleidigung.
"‘Black Lives Matter‘ ist so etwas wie der anerkannte Schlachtruf der schwarzen Aktivisten in den USA und auf der Welt. Man kann damit einfach nicht solche Wortspiele machen, vor allem nicht in diesen Zeiten. Wenn die Abläufe bei einer so wichtigen Zeitung wie dem ‚Philadelphia Inquirer‘ so sind, dass diese Überschrift gedruckt werden kann und niemand in der Redaktion stoppt das, dann zeigt das doch, dass da etwas ganz falsch läuft. Und das liegt vor allem an dem Mangel an Vielfalt in diesen Redaktionen", erklärt Ernest Owens, Vorsitzender der Philadelphia Association of Black Journalists.
Er hat die Mitarbeiter des "Philadelphia Inquirer" in ihrem Protest gegen diese Überschrift unterstützt. Am Ende musste der langgediente Chefredakteur Stan Wischnowski zurücktreten.
Kritik an Zeitung aus Pittsburgh
Auch in Pittsburgh fordert die Journalisten-Gewerkschaft Konsequenzen aus einem Skandal, der die Stadt seit Wochen beschäftigt. Eine schwarze Reporterin der "Pittsburgh Post-Gazette", Alexis Johnson, war nach einem harmlosen Tweet von der Berichterstattung über die Proteste gegen Rassismus abgezogen worden – laut der Chefredaktion, weil sie "voreingenommen" sei.
Ein weißer Kollege, der etwas Ähnliches getwittert hatte, konnte weiter berichten, erzählt sie im Radiosender WBUR. "Ich wurde nicht gewarnt oder so, sondern einfach von der Berichterstattung abgezogen. Die Redaktion sagte, das sei ein Moment, aus dem ich etwas lernen könnte. Aber für mich hat es sich so angefühlt, als wenn es darum ging, dass ich als schwarze Frau meine Meinung geäußert hatte."
Keine Gesprächsbereitschaft
Der leitende Redakteur Keith Burris reagierte auf die massive Kritik aus seiner Redaktion mit einem trotzigen Artikel, weiteren Maßnahmen gegen Reporter und diesem Statement in einer Fox-News-Sendung: "Das ist einfach nur eine große Lüge. Schuld hat der Twitter-Mob. Es ist alles erfunden."
Mike Fuoco ist seit 36 Jahren Reporter bei der Post-Gazette und Vorsitzender der Journalisten-Gewerkschaft in Pittsburgh. Er hat versucht, mit den Verantwortlichen über den Vorfall zu sprechen – vergeblich.
"Warum in Gottes Namen soll denn nicht eine unserer wenigen schwarzen Reporterinnen über diese Proteste berichten, mit all ihrer Lebenserfahrung? Wir fordern, dass die Verantwortlichen sich mit uns zusammensetzen und wir gemeinsam etwas gegen den Alltags-Rassismus bei der Post-Gazette tun. Die Bewegung, die es nun überall außer in Pittsburgh gibt, macht mir Hoffnung. Es wird endlich anerkannt, dass struktureller Rassismus die Redaktionen im ganzen Land durchdringt. Ich wünschte, die Post-Gazette würde das auch begreifen."
Rücktritte und eingestandene Fehler
Tatsächlich wird vielen Medienhäusern im Moment klar, wie stark bewusste und unbewusste Vorurteile in ihren Redaktionen verankert sind. Vorwürfe wegen rassistischen Verhaltens gab es etwa beim Fernsehsender ABC und beim Großverlag Condé Nast, wo hochrangige Manager beurlaubt wurden oder zurücktreten mussten.
Anna Wintour, die Chefredakteurin der amerikanischen "Vogue", entschuldigte sich bei ihren schwarzen Mitarbeitern dafür, nicht genug für sie getan zu haben. Viele Journalisten sind erleichtert, dass diese längst nötige Debatte nun endlich geführt wird.
Ernest Owens, der Journalist aus Philadelphia, sieht allerdings auch eine Gefahr: "Wir müssen aufhören, über diese Dinge nur in der Krise zu sprechen. Wir müssen kontinuierlich über Rassismus reden, Trainings zu unbewussten Vorurteilen und gegen Unterdrückung machen. Das ist ein durch und durch amerikanisches Problem. Im Journalismus ist es besonders wichtig zu verstehen: Egal wie sehr wir uns anstrengen, niemand kann die Brille ablegen, durch die er die Welt sieht. Und das beeinflusst Berichterstattung. Ich würde dringend empfehlen, dass diese Debatte weitergeht, auch wenn die Schlagzeilen verschwinden."