Dienstag, 19. März 2024

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Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble
"Wir fangen jetzt erst mit dem Normalbetrieb an"

Wolfgang Schäuble ist seit 1972 Mitglied des deutschen Bundestages und seit einem halben Jahr Bundestagspräsident. Im Rahmen der Gesprächs- und Konzertreihe: "Klassik und Politik im Reichstag" sprach er über alte und neue Herausforderungen nach der Regierungsbildung in der letzten Woche.

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Stephan Detjen | 18.03.2018
    Stephan Detjen und Wolfgang Schäuble sitzen an einem Tisch vor Publikum
    Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Stephan Detjen (Deutscher Bundestag / Foto: Werner Schuering)
    Die vergangene Woche markiert das Ende einer der denkwürdigsten Phasen der deutschen Politik. Der neue Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sprach in seiner Rede zu konstituierenden Sitzung des Bundestags von einer Bewährungsprobe - nicht von einer Staatskrise.
    "Unser Grundgesetz hat ja aus den Erfahrungen von Weimar dafür gesorgt, dass wenn einmal ein Bundeskanzler oder eine Kanzlerin gewählt ist, die Stellung des Kanzlers stark ist, wenn man Weimar nicht wiederholen will. Ich weiß gar nicht, ob der Begriff "Minderheitenregierung" nicht missverständlich ist. Man wird nur gewählt durch eine Mehrheit, aber wenn man gewählt ist, ist man stark und um abgewählt zu werden, muss sich eine andere Mehrheit bilden. Im Übrigen hat die Regierung im Bundesrat meistens keine Mehrheit und Viele meine, dass sei gut so, denn der Begriff: "Durchregieren" ist auch durchaus zu hinterfragen".
    Die Faszination, die von einer Minderheitenregierung ausgeht, der Wunsch nach Veränderung, der allenthalben in den letzten Wochen geäußert wurde, erklärt Schäuble mit dem Wunsch nach Neuem, der etwas allgemein Menschliches sei:
    "Das ist ja eine ganz allgemeine menschliche Erfahrung: Das, was man glaubt, sicher zu haben, verliert an Wertschätzung. Wir leben siebzig Jahre in Frieden, ich würde ziemlich viel Wert darauf legen, dass es weiter so geht. Politik hat die schwierige Aufgabe, den Menschen das Gefühl zu vermitteln, was die da in der Politik machen, stellvertretend für uns, da kommen wir vor. Irgendwo finden wir in diesem Prozess des Ringens um gerechte Lösungen statt."
    Dementieren kann auch falsch sein
    Zum Fall Tellkamp, der in den letzten Tagen intensiv diskutiert wurde, sagte Schäuble:
    "Ich teile die Meinung von Uwe Tellkamp nicht. Ich teile auch sonst seine Meinung nicht, er hat ja da einiges gesagt, 95 Prozent der Flüchtlinge kämen nur, weil sie von unserem Sozialsystem Gebrauch machen wollten. Da muss man sich mal die Flüchtlinge anschauen und kucken, wo sie herkommen und was sie aushalten müssen. Aber, dafür haben wir Meinungsfreiheit, dass er das sagen kann. Ich habe nicht verstanden, warum der Suhrkamp Verlag, dazu dann noch mal sagen muss, dass Meinungen des Autors, nicht Meinungen des Verlages seien. Manchmal ist ein Dementi schon zu viel, manchmal ist es auch ganz gut, nichts zu sagen. Jetzt haben wir wieder so eine Erregungsdebatte. Warum soll man nicht sagen dürfen, dass man die Besorgnisse, dieser Menschen ernst nimmt."
    "Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas"
    Am 27.9.2006 zur Eröffnung der ersten Islamkonferenz in Berlin sagte Wolfgang Schäuble in seiner damaligen Funktion als Bundesinnenminister den Satz: "Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart und Teil unserer Zukunft". Damals habe er einfach die Wirklichkeit beschreiben wollen, so Schäuble:
    "Die Sache ist deswegen spannend, als ich als Innenminister diesen Satz gesagt habe, hat er keine Erregungswellen ausgelöst. Einige Zeit später hat der damalige Bundespräsident Christian Wulff, wahrscheinlich dasselbe sagen wollen, er hat gesagt: "Der Islam gehört zu Deutschland", da war ein stückweit auch eine Wertung und dann gab's plötzlich eine große Erregung. Ich halte von diesen Debatten nicht sehr viel, denn es ist die Wirklichkeit und wir müssen damit umgehen. Dass unser Land sich verändert und unsere Gesellschaft auch, das ist eine der großen Herausforderungen. Damit muss man klug umgehen, damit die Menschen nicht das Gefühl haben, sie verlieren Schutz und Ordnung. Unser Land verändert sich, aber es muss so sein, dass die Menschen sich auch weiterhin in diesem Land zu Hause fühlen können, sonst gewinnen durch die Verunsicherung die Demagogen an den Rändern des politischen Spektrums immer mehr Zustimmung."
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