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Bundestagswahl
Der Glaube stimmt mit

Vor der Bundestagswahl positionieren sich nicht nur die Kirchen, sondern auch die Vertreter anderer Religionen. Wo stehen die muslimischen Verbände, der Zentralrat der Juden und Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche?

Von Markus Kaiser | 01.09.2017
    Wahlplakate verschiedener Parteien zur Bundestagswahl in Berlin-Prenzlauer Berg, stehen auf einer Wiese.
    Die Bundestagswahl steht unübersehbar bevor (imago / Seeliger)
    Eine Ärztin im weißen Kittel, die ein Kopftuch trägt ist nur ein Motiv auf den Werbeplakaten, mit denen der Zentralrat der Muslime in Deutschland zum Wählen aufruft: "Meine Stimme für Chancengleichheit" steht darunter. Bei den 1,5 Millionen wahlberechtigen deutschen Muslimen war die Wahlbeteiligung bisher unter dem Durchschnitt - damit sich das ändert, sollen Themen angesprochen werden, die den Muslimen wichtig sind, so der Zentralrats-Vorsitzende Aiman Mazyek.
    "Das Thema Diskriminierung, Gleichbehandlung, Gleichberechtigung der Religionen, aber auch Sachen wie Kopftuch."
    Neben Plakaten sollen auch die Predigten in den 300 Moschee-Gemeinden des Dachverbands für die Bundestagswahl werben:
    "Dass Imame darauf hinweisen, das ist ein wichtiger Tag und dass jeder, der nicht wählt, im Zweifelsfalle eine Stimme einem anderen gegeben hat, den er nicht will", sagt Mazyek.
    "Erdogan hat uns einen Bärendienst erwiesen"
    Damit positioniert sich Aiman Mazyek gegen den türkischen Präsidenten Erdogan, der kürzlich die Deutschtürken dazu aufgerufen hatte, nicht Union, SPD oder Grüne zu wählen. Für Mazyek ein Aufruf zum Nichtwählen.
    "Der hat uns damit einen Bärendienst erwiesen. Das ist etwas, das wir überhaupt nicht gebrauchen können."
    Ditib, der größte Islamverband, der nach eigenen Angaben 70 Prozent der Muslime in Deutschland vertritt und von der Türkei aus mitgeleitet wird, hat sich bisher nicht zu Erdogans Aufrufen geäußert. Presseanfragen werden derzeit nicht bearbeitet - alle Ansprechpartner seien im Urlaub, heißt es.
    Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland.
    "Wer nicht wählt, hat schon gewählt", sagt Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (Deutschlandradio / Nicolas Hansen)
    Jüdische und orthodoxe Verbände halten sich zurück
    Eine eher winzige Wählergruppe kommt aus den jüdischen Gemeinden. Dort gibt es Wahlaufrufe, allerdings keine Empfehlungen für bestimmte Parteien, so Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Allerdings stehe man der AfD skeptisch gegenüber. Schuster erklärte bereits im April, die AfD mache ohne Skrupel und Verantwortungsbewusstsein Stimmung gegen religiöse Minderheiten. Die Rechtspopulisten in der Partei befänden sich, seiner Meinung nach, ganz klar auf dem Weg in den Rechtsextremismus und die geplanten Einschränkungen der Religionsfreiheit würden jüdisches und muslimisches Leben hierzulande bedrohen.
    Knapp zwei Millionen und damit circa drei Prozent der deutschen Wähler sind Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und deren Kinder, so das Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Viele von ihnen fühlen sich in der russisch-orthodoxen Kirche beheimatet. Nikolai Artemoff, Sekretär der deutschen Diözese der russischen Auslandskirche, lehnt Wahlaufrufe entschieden ab:
    "Wir haben vielleicht eine distanziertere Einstellung zur Propaganda. Wir wissen, es gibt hier überall Plakate, die zeigen allen an, dass Wahl ist und ich halte das für vollkommen ausreichend. Während in Kriegszeiten oder in Notzeiten natürlich die Kirche sehr aktiv werden kann und muss. Aber eine Wahl ist halt Standard."
    "Uns ist wichtig, über Deutschland hinaus zu denken"
    Anders als die Evangelische Kirche in Deutschland, die mit ihrem 10-Punkte-Impulspapier direkt zur Wahl aufruft, will die Vereinigung der Evangelischen Freikirchen dies nur indirekt tun. Dafür hat sie Wahlprüfsteine erstellt, 35 Fragen, die an alle Parteien verschickt wurden. Die Antworten sollen eine Orientierungshilfe für die Mitglieder der Gemeinden sein. Peter Jörgensen ist der Beauftragte der Vereinigung Evangelischer Freikirchen am Sitz der Bundesregierung.
    "Uns ist es wichtig, dass wir hier immer besser begreifen, nicht nur für uns selber hier in Deutschland zu denken, sondern weit darüber hinaus, deshalb haben wir mit den nachhaltigen Entwicklungszielen auch einen Fokus, Konkret Geschlechtergerechtigkeit, die Armut zu überwinden, den Hunger zu überwinden. Und mit einer vertieften Ausrichtung auf den Klimawandel, also die Umwelt als Ganzes im Blick zu haben."
    Die Fragen der evangelischen Freikirchen wurden von allen Parteien beantwortet. Nur die AfD hat nicht reagiert.
    Gegen politischen Extremismus und für Gleichbehandlung von religiösen Gemeinschaften. Wer Farbe bekennt und zur Wahl aufruft, will im politischen Diskurs Gehör finden. Das verbindet die Aktionen der Religionsgemeinschaften.