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Bundestagswahl
Wie Parteien über Kandidaten entscheiden

Kungelei, Performance oder Glück - welche Kriterien spielen bei der Nominierung eines Kandidaten für die Bundestagswahl eine Rolle? Wie offen ist die Aufstellung der Parteiliste? Diesen Fragen gehen derzeit Politologen des Instituts für Parlamentarismus-Forschung nach. Eine erste Erkenntnis: Die Aufstellung der Kandidaten orientiert sich vielerorts stark am inneren Machtzirkel.

Von Christoph Richter | 11.05.2017
    Zu sehen ist das Plenum des Deutschen Bundestages von oben
    Wer wird auf den Parteilisten zur Bundestagswahl aufgestellt? Wie offen sind die Wahlen zur Aufstellung der Kandidaten? (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    CDU-Delegierten-Versammlung in Möckern bei Magdeburg. Man trifft sich in einer profanen Mehrzweckhalle. Etwa 200 Delegierte sind gekommen, um über die Bundestagskandidaten der Union für Sachsen-Anhalt abzustimmen. Darunter haben sich auch drei Politologen gemischt. Mitarbeiter des in Halle beheimateten Instituts für Parlamentarismusforschung. Sie verteilen eng bedruckte sechsseitige Fragebögen.
    Politologe: "Kann ich Ihnen ein Fragebogen des Instituts für Parlamentarismusforschung mitgeben?"
    CDU-Mitglied: "Natürlich."
    Ein Team von etwa 40 Politologen will herausfinden, wie die Nominierungsverfahren ablaufen. Also: Wer kandidiert, was entscheidet über die Erfolgschancen einer Kandidatur, welche Kriterien spielen bei den Nominierungen eine Rolle. Aber man will auch erfahren, ob jeder Bundestagskandidat werden könne oder ob es bereits vorab Absprachen gibt. Wichtig sind hierbei natürlich auch die Unterschiede innerhalb der Parteien.
    "Wir befragen einmal per Fragebogen, sowohl die Kandidaten, als auch die Unterlegenen. Dann auch die Delegierten vor Ort. Dann gibt es jemanden der die Veranstaltung beobachtet. Das heißt, der genau schaut, wie sich die Kandidaten präsentieren, was sie sagen, wie viel Zeit sie haben", erzählt Politologin Anastasia Pyschny. Doktorandin an der Uni Halle-Wittenberg.
    "Dann werden zusätzlich Gespräche geführt und auch da versuchen wir drauf zu achten, dass wir ein breites Bild haben. Dass wir auch mit neuen Mitgliedern sprechen, die jetzt vielleicht zum ersten Mal wählen. Und wie die das wahrnehmen."
    Um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen sind die Mitarbeiter des Instituts für Parlamentarismus-Forschung in ganz Deutschland auf etwa 160 Listenparteitagen unterwegs. Also auf den Parteiversammlungen, wo die Bundestagskandidaten letztlich gekürt werden, die am 24. September auf dem Wahlschein stehen.
    Erste Ergebnisse gebe es noch nicht, heißt es. Man könne aber jetzt schon sagen, betont Benjamin Höhne, dass die Kandidatenaufstellung vielerorts durchaus sehr klar nach innen – also in Richtung des engeren Machtzirkels - ausgerichtet sei.
    "In den Parteien gibt es eine große Skepsis sich zu öffnen."
    Benjamin Höhne ist einer der Gründer des Hallenser Instituts für Parlamentarismus-Forschung. Und einer der Initiatoren der großen Feldstudie zur Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 2017. Er rät den Parteien, die Bürger mehr in politische Entscheidungsprozesse miteinzubinden.
    "Ja. Ich glaub, wenn man sich öffnet, hat man die Chance die Parteien, die Parteiarbeit attraktiver zu machen. Und somit vielleicht auch andere Leute bekommt, als man bisher so in den Parteien so sieht. Und vielleicht können so auch Menschen aktiv werden, die das bisher so nicht gemacht haben. Also, dass sie dann wissen: Ich habe eine Chance, wenn ich mich einbringe."
    Allerdings: Noch immer scheuen die Parteien, die Kandidatenaufstellung so zu öffnen, dass jeder dran teilhaben könne. Man wolle sich in der Auswahl der Kandidaten nicht in die eigenen Karten schauen lassen, so der 38-jährige Parteienforscher Höhne weiter.
    "Ich als Politikwissenschaftler würde den Parteien vorschlagen, da durchaus mutiger zu sein und zu experimentieren."
    Performance-Battle oder Münzwurf
    Und das passiert. Die Grünen und die AfD veranstalten beispielsweise in Hessen und Bayern die Auswahl der Bundestagskandidaten auf Landesebene, also: Jedes Parteimitglied kann die Kandidaten mitbestimmen. Andernorts machen Parteien aus dem Listenparteitag gar eine riesige Show, erzählt Politologin Anastasia Pyschny.
    Was auch legitim ist. Besser ne große Show draus machen, als das im letzten Ort mit 20 Leuten zu verhandeln.
    Im niedersächsischen Vechta beispielsweise – auf halber Strecke zwischen Bremen und Osnabrück – mussten sich die CDU-Kandidaten in einer großen Basketball-Halle präsentieren. Dort haben sie dann in einstudierten Reden vor etwa 2.000 Wählern, um die Gunst der Wähler gebuhlt.
    Gesiegt hat am Ende Silvia Breher, die Kandidatin mit dem größten Entertainment-Potential. Als Sieger-Geschenk, als Pokal gewissermaßen, erhielt sie einen Basketball.
    Für Parteienforscher Benjamin Höhne ein Prozedere, das durchaus Schule machen könne.
    "Ich glaube, der Trend geht hin zu transparenteren Prozessen. Und in diesen Prozess kann man, oder wüsste ich nicht, was dagegen spricht, auch etwas stärker, die interessierte Bevölkerung mit einzubeziehen."
    Der neueste Clou: Der Listenparteitag als Casino-Spektakel. Das Zeug dazu hatte die Aufstellungsversammlung der Grünen in Bayern. Weil es auch nach dem dritten Wahlgang keine Mehrheit für einen der Kandidaten gab, musste am Ende das Glück entscheiden. Man warf – als ob die Bundestagskandidatur eine Lotterie wär – letztlich eine Münze. Politologin Anastasia Pyschny sieht darin jedoch kein großes Problem: "Nein, ich wundere mich nicht darüber, aber es ist schon ein Ausnahmefall. Im Normalfall wird ja eine Entscheidung eine Entscheidung per Wahl gefällt. Aber das sind eben Ausnahmefälle, die das dann für uns auch besonders spannend machen. Ganz klar."
    In Möckern in Sachsen-Anhalt gab es derartige Überraschungen nicht zu erleben. Nur, dass die dortige CDU ein reiner Männerverein ist, Frauen als Bundestagskandidaten kaum eine Chance hatten. Doch das ist dann aber eine andere Geschichte.