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Bundesumweltminister: Energiekosten belasten besonders Normalverdiener

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat sich angesichts der steigenden Strom- und Gaspreise für mehr Energieeffizienz ausgesprochen. Dabei müsse es neben der Förderung alternativer Energien auch um Programme zur Senkung der Kosten gehen. Als Beispiel nannte der SPD-Politiker die Verbesserung der Wärmeisolation. Gabriel plädierte ferner für einen Abbau unnötiger Subventionen wie die steuerliche Abzugsfähigkeit von Dienstwagen.

Moderation: Jochen Spengler | 16.06.2008
    Spengler: Die Preise für Benzin, für Öl und Gas galoppieren. Maßnahmen, die die Bundesregierung gegen den Klimawandel ergreifen wollte, werden verwässert oder verzögern sich, etwa die neue KFZ-Steuer, und zwar auch deswegen, weil es für den Bürger teuer werden könnte - noch teuerer muss man heutzutage wohl sagen -, weswegen die Politik nun darüber nachsinnt, ob und wie man den Bürger angesichts der hohen Energiepreise entlasten könnte. - Am Telefon ist der Bundesumweltminister, Sigmar Gabriel (SPD), der vor einer Woche selbst die Diskussion befördert hat, indem er Sozialtarife für Bedürftige vorgeschlagen hat. Guten Morgen Herr Gabriel!

    Gabriel: Guten Morgen! Ich grüße Sie!

    Spengler: Wäre es in dieser Situation des Klimawandels, in der Öl und Gas knapp und teuer werden, nicht doch klug, noch einmal unaufgeregt über den rot/grünen Atomausstieg nachzudenken?

    Gabriel: Erstens weiß ich nicht, was Atomenergie mit Öl und Gas zu tun haben soll. Sie wärmen Ihre Wohnung zu Hause nicht mit Atomstrom und Sie fahren Ihr Auto, wenn ich das richtig vermute, nicht mit Brennstäben.

    Spengler: Es geht trotzdem um den allgemeinen Energiemangel.

    Gabriel: Es gibt keinen allgemeinen Energiemangel, sondern die Menschen leiden vor allen Dingen unter explodierenden Wärmekosten im Gasbereich und in der Tat in den letzten Jahren auch über Strompreissteigerungen. Aber das, was auch richtig Geld kostet, ist der Sprit im Auto und die Wärme in der Wohnung beziehungsweise das warme Wasser. Das wird mit Gas erzeugt.

    Ihre Frage zeigt aber schon, wie ideologisch in Deutschland Kernenergie diskutiert wird. Ganz tief, bis in die tiefste Seele eines Journalisten offensichtlich hinein, steht unter Energiepolitik immer Kernenergie, obwohl die weltweit - übrigens auch in Deutschland - nicht mal drei Prozent des Endenergieverbrauchs ausmacht. Also dort müssen wir über ein paar andere Sachen diskutieren.

    Spengler: Ich weise das zurück, dass Sie in meine Seele gucken können und dass ich da ideologisch - -

    Gabriel: Ich kann nichts dafür, dass Sie anmoderieren mit Benzinpreisen und Gaspreisen und dann mit Kernenergie kommen. So eine Bauchlandung habe ich schon lange nicht gehört.

    Spengler: Herr Gabriel, es geht ganz allgemein um Energie und ich frage mich, wieso Frankreich, Finnland, Großbritannien angesichts unseres Klimawandels und unserer Energiepreiskrise wieder verstärkt auf Kernenergie setzen und wir nicht. Sind die alle dümmer als wir?

    Gabriel: Erst mal stimmt Ihre Behauptung schon wieder nicht. Es gibt in Europa ein einziges Kernenergieprojekt und das fährt gerade mit Hochgeschwindigkeit vor die Wand. Das ist in Finnland. 18 Monate Bauzeitverzögerung, Mehrkosten von weit über einer Milliarde Euro. Das ist das einzige Bauprojekt, das es in Europa gibt.

    Spengler: Italien hat beschlossen, wieder auf Kernenergie zu setzen.

    Gabriel: Was meinen Sie, wie viele Leute irgendwas beschließen. Es gibt Beschlüsse, die sind uralt, sind 20 Jahre alt. Wir haben weltweit 439 Kernkraftwerke. Davon sind 200 so alt, dass sie in den nächsten 20 Jahren abgeschaltet werden müssen. Und Bauanträge haben wir ganze 29. Und in England übrigens gibt es eine Debatte über das Schließen von zwei Kernkraftwerken, weil sie uralt sind. Und über die Frage, ob man dann zwei neue baut, das ist wirklich eine abenteuerliche Diskussion, die bei der Kernenergie gemacht wird, und ich muss Ihnen offen sagen: Das hilft den Menschen, die ihre Heizkosten nicht bezahlen können und die mit ihrem Auto nicht mehr zur Arbeit kommen können, weil es an der Tankstelle zu teuer wird, überhaupt nicht. Das ist blanke Ideologie.

    Und wir haben vor zwei Wochen in Berlin übrigens nicht nur was zum Klimapaket beschlossen, sondern wir haben unter anderem beschlossen, dass wir fast zwei Milliarden Euro Hilfen für diejenigen im Haushalt haben, die ihre Wohnung und ihre Häuser besser dämmen wollen, die umsteigen wollen auf erneuerbare Wärme. Die kriegen Zuschüsse vom Staat. Das sind beispielsweise in diesem Jahr 350 Millionen Euro alleine für das Programm, also wenn jemand sagt, ich will mich vom Gaspreis entlasten, weil ich mir Solarthermie aufs Dach packe. Und wir werden in diesem Monat noch beschließen, dass wir beim Thema Contracting, also Vertragsverhältnis Mieter/Vermieter, weiter kommen, denn zurzeit haben wir eine Mietrechtssituation, wo der Vermieter ins Gebäude investieren muss, wenn er die Heizkosten senken will, und der Mieter hat die sinkenden Heizkostenrechnungen. Das glaube ich nicht funktionieren, weil sie müssen sich den Ertrag teilen.

    Spengler: Herr Gabriel, darf ich trotzdem noch eine Frage zwischendurch stellen. Ich würde gerne wissen, ob es nicht sinnvoll wäre, wenigstens über die Laufzeitverlängerung von AKWs nachzudenken, selbst wenn man gar nicht über neue AKWs sprechen möchte.

    Gabriel: Ich weiß gar nicht, wie man angesichts der Tatsache, dass wir vor einer Woche schon wieder einen Vorfall in einem deutschen Kernkraftwerk hatten und im letzten Sommer, wenn Sie sich erinnern, gerade bei älteren Kraftwerken Riesenprobleme hatten, ausgerechnet bei alten Kraftwerken die Laufzeiten verlängern sollen. Ich meine das Risiko, das kann man als Journalist mal so fragen. Ich persönlich halte davon überhaupt nichts. Wir haben gerade bei älteren Kraftwerken im letzten Sommer wieder erlebt, welche Schwierigkeiten wir dort hatten. Wir haben vor einer Woche in Philippsburg 1 beim Anfahren eines Reaktors ein Problem gehabt, weil wir gesehen haben, dass offensichtlich eine Leckage da war. Verstehen Sie: Nicht nur Slowenien hat Probleme mit diesen Reaktoren - es ist übrigens ein amerikanisches Bauwerk und nicht etwa ein russisches -, sondern wir haben die auch.

    Spengler: Es bleibt beim Denkverbot, was Atomkraft angeht?

    Gabriel: Nein! Es bleibt dabei, dass man nachdenken muss, bevor man solche Fragen stellt.

    Spengler: Ich habe schon nachgedacht, aber Sie wollen mir auf die Frage jedenfalls ideologisch nur antworten.

    Gabriel: Wir können das Interview jetzt auch beenden, weil ich habe Ihnen ein paar Fakten genannt. Wenn Ihnen die Fakten nicht passen und Sie das als ideologisch bezeichnen, dann haben Sie ein Problem, nicht ich.

    Spengler: Nein, ich habe kein Problem damit. - Lassen Sie uns zum Thema Energie allgemein kommen. Sie wollen die Bürger ja entlasten, weil die Energiepreise steigen und steigen. Nun sagen kluge Ökonomen, die hohen Preise sind Ausdruck von Knappheit. Es bringt nichts, gegen die Marktgesetze anzusubventionieren. "Tanken muss weh tun", habe ich gelesen, damit Energie eingespart wird. Ist das eine richtige Herangehensweise?

    Gabriel: Erst mal stimmt es, dass der Preis natürlich ein Knappheitsfaktor oder Knappheitsindikator ist und deswegen natürlich auch Leute zurückhaltender mit Energieverbrauch umgehen. Das spart einerseits im Portemonnaie was; auf der anderen Seite hilft es dem Klima. Nur es trifft natürlich auf soziale Ungleichheit. Es gibt eben Menschen, die zum Beispiel aufs Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu fahren, die große Schwierigkeiten damit haben. Oder denken Sie mal an einen Drei-Personen-Haushalt. Der hat Energiemehrkosten in den letzten drei Jahren von 75 Euro pro Monat gehabt. Wenn da eine Krankenschwester 1400 oder 1500 Euro Netto verdient, dann ist das schon nicht ganz ohne, dass momentan so viel Geld mehr für Energiekosten ausgegeben werden muss.

    Spengler: Wird die SPD eine Rückkehr zur Pendlerpauschale vorschlagen?

    Gabriel: Erst mal wird es ein Verfassungsgerichtsurteil geben. Das wird uns sagen, wie die Pendlerpauschale auszugestalten ist. Bevor die nicht geurteilt haben macht es wenig Sinn zu sagen was man macht. Aber klar ist, dass es bei Entlastungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleiben muss. Möglicherweise muss man sie auch anders gestalten, denn zurzeit ist es ja so, dass einer wie ich mit einem hohen Einkommen eine hohe Pendlerpauschale bekommt und einer mit einem niedrigen Einkommen kriegt, wenn er Pech hat, gar nichts, obwohl er vielleicht mehr braucht. Also wenn, dann muss man mal über das System der Pendlerpauschale reden.

    Und beim Thema Sozialtarife werden Sie erleben, dass die Europäische Union am ich glaube nächsten Wochenende über die Frage debattiert, was können wir eigentlich für die machen, die sich diese Preise nicht mehr leisten können. Die EU-Energiecharta sieht so etwas vor. Aber wichtiger ist, dass wir noch mehr tun beim Abkoppeln vom hohen Gasverbrauch und Ölverbrauch, und das heißt andere Autos mit weniger Spritverbrauch produzieren, Wohnungen sanieren, dass wir nicht so viel Energie verlieren. Wir heizen Millionen Vorgärten mehr als die eigenen Wohnzimmer. Also Effizienz ist eigentlich die Antwort auf die steigenden Energiepreise.

    Spengler: Sie haben eben gesagt, "derjenige, der sich diese hohen Energiepreise nicht mehr leisten kann". Wer ist denn das? Ist das der Hartz-IV-Empfänger oder ist das der normale Facharbeiter?

    Gabriel: Nein, nein. Der Hartz-IV-Empfänger wird im Zweifel Hilfe übers Sozialamt bekommen. Es sind diejenigen, die Normalverdiener sind, die immer mehr Schwierigkeiten haben. Ich habe ganz bewusst das Beispiel einer Krankenschwester gewählt. Wenn die zwei Kinder hat, alleinverdienend ist, dann hat sie ein Nettoeinkommen ungefähr von 1400, 1500 Euro. 75 Euro jeden Monat höhere Energiekosten in den letzten Jahren heißt, dass die nichts zurücklegen kann für Rente oder investieren kann in die Nachhilfe für die Kinder oder was man sonst eigentlich macht.

    Spengler: Also es geht Ihnen um die Entlastung der Mittelschicht? Habe ich das richtig verstanden?

    Gabriel: Ja, auf jeden Fall. Wir wollen und können auch was tun für Hartz-IV-Empfänger, aber es geht natürlich schon auch um die, die einfach ihren normalen Tagesablauf und Arbeitsablauf nicht mehr hinkriegen bei so dramatisch steigenden Energiekosten.

    Spengler: Wird das dann ein neuer Subventionsirrgarten, wenn entlastet werden muss?

    Gabriel: Ich mache Ihnen mal ein Beispiel, warum das kein Subventionsirrgarten ist. Wenn Sie heute - das hatte ich vorhin versucht - in einer Mietwohnung wohnen, dann muss, damit Ihre Mietnebenkosten nicht weiter explodieren, der Vermieter investieren. Der kriegt aber seine Investitionen nicht zurück, weil er die Miete nicht so ohne weiteres erhöhen kann. Jetzt wollen wir im Mietrecht ein Modell schaffen, bei dem sich Mieter und Vermieter die eingesparten Kosten bei der Raumwärme teilen können, so dass der Vermieter auch einen Teil Refinanzierung seiner Investitionen hat. Das Fremdwort dafür lautet "Contracting", damit endlich mehr im Mietwohnungsbau passiert. Zurzeit passiert das meiste im selbst genutzten Wohnungseigentum. Das ist ein Beispiel dafür, was wir machen wollen.

    Das zweite ist: Ich denke schon, dass man auch, wenn man Geld braucht, um beispielsweise eine Pendlerpauschale zu finanzieren nach dem Urteil des Verfassungsgerichts, darüber nachdenken muss, warum wir eigentlich heute Dinge subventionieren, die völlig unsinnig sind. Es geht eher um den Abbau unsinniger Subventionen. Sie können heute in allen Geländewagen, die Sie durch die Gegend fahren sehen, vermuten, dass davon drei Viertel Betriebsfahrzeuge sind. So viele Jäger und Förster gibt es aber nicht in Berlin, wie es da Geländewagen gibt. Trotzdem können die dann den Riesenspritverbrauch dieser Autos von der Steuer absetzen und andere zahlen höhere Steuern, um das auszugleichen. Das halte ich für nicht nur ökologischen Unsinn; das ist auch ökonomischer Unsinn. Das Geld zu nutzen, um Energieeinsparungen zu finanzieren, eine vernünftige Pendlerpauschale zu bezahlen, das sind Vorschläge, die wir entwickelt haben.

    Spengler: Das war der Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Danke für das Gespräch, Herr Gabriel.

    Gabriel: Bitte. Tschüß!