Dienstag, 16. April 2024

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Bundesumweltminister verteidigt Atomausstieg

Den Forderungen aus der CSU nach längeren Restlaufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke hat Bundesumweltminister Sigmar Gabriel eine Absage erteilt. Die Abhängigkeit von russischem Erdgas dürfe nicht durch eine noch größere Abhängigkeit ersetzt werden. Die Vorkommen von Uran seien geringer als bei den fossilen Brennstoffen. Wichtig sei stattdessen eine deutliche Effizienzsteigerung im Energieverbrauch, fügte der SPD-Politiker hinzu.

Moderation: Elke Durak | 05.01.2006
    Elke Durak: Am Telefon ist nun Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Schönen guten Morgen, Herr Gabriel!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie!

    Durak: Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine ist beigelegt. Uns bleibt ja neben mancher Schrecksekunden die Debatte um unsere künftige Energiepolitik, Herr Gabriel. Gefordert wurde in den letzten Tagen ein nationales Energiekonzept. Ich dachte immer wir hätten eines!

    Gabriel: Ja. Mindestens haben wir eine Vorstellung darüber, wie wir in Deutschland den Mix aus Steinkohle, Braunkohle, erneuerbaren Energien, Gas gestalten wollen, und dass wir aus der Atomenergie aussteigen wollen. Die Debatte ist aber sicher bestimmt durch steigende Energiepreise, die für Verbraucher ein Problem darstellen, aber auch für die deutsche Wirtschaft. Und von daher macht es schon Sinn, dass die Bundeskanzlerin vorgeschlagen hat, sich zu einem Energiegipfel zu treffen und über die Zukunft der Energiepolitik in Europas größtem Industrieland zu reden.

    Durak: Kurzzeitig, Herr Gabriel, hatte ja die CSU den Ausstieg aus dem Ausstieg schnell gefordert. Inzwischen hat die Kanzlerin ihr Machtwort gesprochen. In der Presseschau hieß es, es ist ihr erstes "Basta". Ungeachtet dessen setzen sich Arbeitgebervertreter dafür ein, Kernkraft länger als vereinbart zu nutzen. Und ich möchte Ihnen ganz kurz eine Meinung zu Gehör bringen, Ihnen und den Hörern. Wir hatten vor einigen Minuten hier Utz Claassen, den Vorstandsvorsitzenden von EnBW, im Interview zu eben diesem Thema: "Wir steigen aus der Kernenergie aus. Das ist auch erlaubt. Wir wollen das Kyoto-Protokoll erfüllen. Das ist äußerst wünschenswert. Und dann wundern wir uns, dass wir von einzelnen Energieträgern wie Gas deutlich stärker abhängig werden. Denn das darf ja gesagt sein: der Kernenergieausstieg führt dazu, dass wir insbesondere vom Energieträger Gas deutlich stärker abhängig werden, denn wenn wir das Kyoto-Protokoll noch erfüllen wollen, dann dürften wir rein rechnerisch theoretisch gar keine neuen Kohlekraftwerke in unserem Land mehr in Betrieb nehmen."
    Was würden Sie erwidern, Herr Gabriel?

    Gabriel: Ja, also der von mir ansonsten sehr geschätzte Vorstandsvorsitzende von der EnBW macht natürlich ein paar Tricks in seiner Diskussion. Erstens ist es so, wenn wir unabhängiger werden wollen von Importen, dann ist jedenfalls der Weg in die Kernenergie der falsch Weg. Dann natürlich muss man auch Uran importieren. Ausgerechnet Uran ist aber der Brennstoff, der am kürzesten noch zur Verfügung steht, nämlich je nach Nutzung der Kernenergie zwischen 20 und 60 Jahren. Also noch weniger als Öl und Gas. Von daher ist es natürlich keine besonders kluge Strategie, die eine Abhängigkeit vom Gas durch eine noch größere Abhängigkeit vom Uran zu ersetzen. Zweitens, natürlich geht es bei der Frage der Nutzung der Kohle und Steinkohle nicht nur um die gegenwärtigen Technologien, sondern es gibt Investitionen beispielsweise von BP aber auch Vattenfall und anderen in eine Steinkohlenutzung, die eben keine Emissionen mehr hat, oder eben noch deutlichere Reduktion von CO2 und anderen Treibhausgasen zur Folge hat. Und das Dritte - was er völlig auslässt - ist , dass wir natürlich den Ausbau erneuerbarer Energien hinbekommen müssen. Da sind wir auf einem guten Weg, der sicher in der Lage ist, den jetzigen Anteil der Kernenergie zu erreichen. Und der vierte Punkt, den Herr Claassen weggelassen hat ist, dass das wichtigste ist, in eine deutliche Reduktion des Energieverbrauchs zu setzen. Wenn wir alle unsere Standby-Geräte in Deutschland abschalten würden und nicht einen minimalen Stromverbrauch bei diesen Standby-Geräten akzeptieren würden, dann könnten wir allein deshalb schon zwei Atomkraftwerke abschalten. Das heißt, der wichtigste Punkt ist, dass wir die eingesetzten Energieeinheiten pro Einheit Bruttosozialprodukt deutlich reduzieren, um unsere Volkswirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Darum geht es. Das ist der beste Weg auch im Bereich der Strompreise voranzukommen. Und übrigens auch bei den 80 Prozent des Marktes, wird ja von vier großen Unternehmen beherrscht, zu mehr Wettbewerb auch im europäischen Rahmen zu kommen. Das alles sind die Wege, die wir gehen wollen und gehen müssen. Und da ist eine abstrakte Debatte über Kernenergie die ist wenig hilfreich.

    Durak: Es geht um regenerierbaren Energien auch. Und es geht um zwei Dinge. Einmal die Abhängigkeit von einem Energielieferanten zu verringern, das hat uns ja das Beispiel Russland/Ukraine gezeigt. Und es geht um die effektive Nutzung von Energie. Zum ersten noch mal, Herr Gabriel, wir werden ja eine Erdgaspipeline bekommen. Zusätzliche Abhängigkeit also von Russland. Welche politische Begleitung braucht das?

    Gabriel: Ich glaube, dass wir uns natürlich von der Vorstellung verabschieden müssen, wir würden unabhängig werden. In einer globalisierten Weltwirtschaft sind wir übrigens nicht nur von Gas abhängig, sondern auch von vielen anderen Dingen. Was wir brauchen ist eine Vertragssicherheit. Dazu gibt es eine Reihe von Verbabredungen im Rahmen der G8-Staaten. Es gibt dazu übrigens auch von Russland selbst eingeladene Konferenzen. Wir müssen davon ausgehen, dass das, was für viele andere Dinge gilt, die wir in Deutschland zur Produktion von Gütern brauche, die wir brauchen um das normale Leben hier sicherzustellen, die wir alle importieren müssen, dass das auch für den Energieträger Gas gilt. Übrigens einen nicht ganz unerheblichen Teil des Gases bekommen wir auch aus Norwegen.

    Durak: Und aus einheimischen Quellen auch.

    Gabriel: Aus einigen heimischen Quellen, ja, nicht so viele wie wir uns wünschen würden.

    Durak: Welche Unterstützung kann die Politik deutschen Unternehmen geben, erneuerbare Energien zu fördern?

    Gabriel: Also, erstens ist das wichtigste, was wir haben, ist das Energieeinspeisegesetz. Dort gibt es eine massive Förderung der erneuerbaren Energien. Und zwar nicht nur in der Windbranche, sondern vor allen Dingen auch bei der Photovoltaik, bei der Nutzung von Geothermie, bei der Wasserkraft jetzt sehr stark in Zukunft auch beim Thema Biomasse. Wir fördern über Markteinführungsprogramme. Die Programme boomen natürlich deshalb, weil die traditionellen Energieträger immer teurer geworden sind. Da liegt ein großer Vorteil. Und das zweite, was wir machen wollen ist, wir wollen Unternehmen, die im Rahmen der Klimaschutzpolitik zu Reduktion von Treibhausgasen verpflichtet sind, die Chance geben auch mit erneuerbaren Energien in anderen Ländern der Welt zu investieren. Dort wo sich Länder im Aufbau befinden und die dort erreichte Einsparung von CO2 sich bei uns anrechnen zu lassen. Auch das eine Strategie zur Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit für die deutsche Wirtschaft.

    Durak: Welche Hilfe könnten Sie, abschließend gefragt, Verbrauchern geben, um Energie zu sparen?

    Gabriel: Die wichtigste Hilfe, die wir geben können, sind Tipps zum Energieeinsparen. Alleine die Art und Weise, wie wir unser Kraftfahrzeug bewegen. Oder die Frage - habe ich eben schon gesagt - von Standby-Geräten. Das Kaufen von Produkten, die energiesparend sind. Also ein bisschen genauer hinschauen. Nicht Geiz ist geil, sondern sozusagen intelligentes Kaufen ist geil. Da gibt es eine Vielzahl von Angeboten in Deutschland, man muss nur genau hinschauen. Und dabei kann man eine Menge sparen.

    Durak: Vielleicht gibt es ja bald einen offenen Brief des Bundesumweltministers an die Verbraucher.

    Gabriel: Auch so was kann man machen. Übrigens ein Programm bereiten wir gerade vor in der Bundesregierung, dass für die Verbraucher die größte Energieeinsparung bringen kann, das ist ein Programm zur Gebäudesanierung und zwar nicht nur im Einfamilienhaus, sondern auch im Geschosswohnungsbau, um dort weniger Energie zu verbrauchen. Da können wir am meisten erreichen.

    Durak: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel von der SPD. Besten Dank, Herr Gabriel, für das Gespräch!

    Gabriel: Ja, tschüss!

    Durak: Auf wieder hören!