Donnerstag, 25. April 2024

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Bundesverband der Verbraucherzentralen
Musterfeststellungsklage als wichtiger erster Schritt

Klaus Müller vom Bundesverband der Verbraucherzentralen betrachtet den Gesetzesentwurf für die Musterfeststellungsklage als guten Kompromiss. Für Verbraucher würden zwar nicht alle Probleme gelöst, dennoch könnten erstmalig größere Gruppen vor Gericht gebacht werden, so Müller im Dlf.

Klaus Müller im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.05.2018
    Klaus Müller, Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband
    Klaus Müller, Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
    Mario Dobovisek: Die Zeit drängt für die Volkswagen-Kunden in Deutschland, denn schon Ende des Jahres verstreichen im Abgasskandal entscheidende Verjährungsfristen. Wer bis dahin keine Klage eingereicht hat, bleibt auf seinem Schaden sitzen und muss mit den Nachrüstungen leben, die VW ihm anbietet. Doch die Hürden für eine Klage sind für jeden Einzelnen recht hoch. Einfacher wären Sammelklagen wie in den USA. Doch solche gibt es hierzulande nicht. Etwas Ähnliches will die Bundesregierung nach langem Hin und Her heute auf den Weg bringen. Achtung! Jetzt folgt ein Wortungetüm: Die Musterfeststellungsklage.
    Am Telefon begrüße ich Klaus Müller. Er war Grünen-Politiker, unter anderem Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Heute ist er Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband, kurz VZBV. Guten Morgen, Herr Müller!
    Klaus Müller: Guten Morgen!
    Dobovisek: Greifen wir doch gleich die Sorgen der Industrie auf, Herr Müller. Das werde zur Verunsicherung der Unternehmen führen, sagt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Wir haben es gerade gehört. Können Sie die Sorgen der Industrie nachvollziehen?
    Müller: Nein, das kann ich nicht. Und zwar deshalb, weil die Musterfeststellungsklage ein erster, ein wichtiger Schritt ist. Aber er ist eben nicht das, was wir aus den USA kennen. Wir erleben noch nicht die Leistungsklage. Das ist ja auch eine Kritik, die von der anderen Seite her eingebracht wird. Wir erleben nicht den Strafschadenersatz, den man in den USA kennt.
    "Kritik schlicht an den Haaren herbeigezogen"
    Dobovisek: Was heißt das?
    Müller: Das bedeutet, dass Sie in den USA nicht nur die Entschädigung für den geschädigten Verbraucher aufgebrummt kriegen, sondern eine Strafe obendrauf. Das summiert sich dann für die Unternehmen tatsächlich beträchtlich. All das kennt das deutsche Recht bisher nicht und das führt auch die Musterfeststellungsklage nicht ein. Insofern halte ich diese Kritik schlicht für an den Haaren herbeigezogen.
    "Volkswagen ist jetzt nur die Spitze des Eisbergs"
    Dobovisek: Trotzdem warnt die Wirtschaft vor einer regelrechten Klageindustrie, die dadurch entstehen könne. Die Bundesregierung geht im Moment von rund 450 Musterfeststellungsklagen im Jahr aus. Werden Sie Teil dieser Klageindustrie?
    Müller: Wir sind ein zivilgesellschaftlicher Verband und insofern die Stimme der Verbraucher und kein Teil irgendeiner Industrie. Zum Beispiel der Verbraucherzentrale Bundesverband, aber auch viele andere Verbände sind gemeinnützig. Das heißt, wir können gar nicht davon profitieren, dort irgendetwas durchzuklagen, sondern es geht uns um den Blickwinkel der Verbraucher. Der ist durch was anderes gekennzeichnet, nämlich durch in vielen Fällen Schädigung durch Wirtschaftsunternehmen. Volkswagen ist jetzt nur die Spitze des Eisbergs.
    Eigentlich geht es um was anderes, nämlich um massenhafte Schäden im Telekommunikationsbereich, im Energiebereich, bei Banken und Versicherungen. Darunter leiden heute Verbraucher. Wir klagen in Einzelfällen, oft erfolgreich, aber dann schlägt die Verjährung zu und viele Menschen, die geschädigt wurden, wo die Unternehmen dadurch ungerechtfertigte Gewinne gemacht haben, die gehen nachher leer aus. Das ist ein Missstand, den muss man beheben.
    Dobovisek: Individuelle Sammelklagen, wenn sich Verbraucher zusammenschließen, ohne einen Verband, die werden weiterhin nicht möglich sein, sondern ein Verband muss zwingend dabei sein, ein relativ großer Verband. Da gibt es Hürden, haben wir gerade gehört. Ist das ein guter Kompromiss?
    Müller: Es ist zumindest ein vernünftiger Kompromiss. Es ist tatsächlich der Kompromiss, der zurzeit in der deutschen Politik auch möglich ist. Sowohl unter Jamaika, also einer Regierung aus CDU, FDP und Grünen, wie jetzt in der Großen Koalition ist das etwas, was im Deutschen Bundestag eine Mehrheit finden kann. Es ist jetzt meines Erachtens wichtiger, zu einer Regelung zu kommen, die uns Erfahrungen sammeln lässt damit, die uns zeigt, wie ist denn das, dann durch die Instanzen zu ziehen, wie viele Menschen nehmen denn an so einer Musterfeststellungsklage teil. Und ich bin sicher, in ein paar Jahren werden wir gucken, hat sich das Ganze bewährt und muss man das Instrument womöglich noch mal verändern.
    Dobovisek: Das heißt, für Sie ist das nur der erste Schritt?
    Müller: Für uns ist das heute ein Meilenstein, ein ganz, ganz wichtiger erster Schritt, weil es jetzt darum geht, das Ungleichgewicht, was wir vor Gericht haben, dass viele Menschen ihre Rechte überhaupt nicht nutzen, dass es viel zu lange dauert bisher und die Verjährung dann zuschlägt, darum ist die Musterfeststellungsklage ein ganz zentraler erster Schritt, um das zu beseitigen.
    "Ich sehe natürlich finanzielle Risiken"
    Dobovisek: Schauen wir uns mal gemeinsam an, wie das in der Praxis aussehen könnte. Nehmen wir an, 50 Volkswagen-Kunden wollen mit Ihnen gemeinsam, dem VZBV, gegen VW klagen. Dann steht einem Jahresumsatz von 230 Milliarden bei Volkswagen ein Jahresetat des VZBV von rund elf Millionen Euro gegenüber. Ein Weltkonzern würde sich, platt gesprochen, eine Armada der teuersten Anwälte nehmen, vielleicht millionenschwer. Wenn Sie verlieren, müssten Sie das alles bezahlen. Könnten Sie sich das überhaupt leisten?
    Müller: Ja, das können wir, weil natürlich auch das Gericht sehr sorgfältig darauf achten würde, dass das alles hier verhältnismäßig bleibt. Und es ist nicht so, dass dieses David gegen Goliath Szenario, was Sie aufgezeichnet haben, es nicht schon in der Vergangenheit gegeben hätte. Allein der Verbraucherzentrale Bundesverband hat bisher erfolgreich gegen Facebook, gegen Google, gegen die Deutsche Bank, gegen viele andere mächtige Unternehmen geklagt, wo es auch um viel und relevante Summen gegangen ist.
    Dobovisek: Sie sehen keine finanziellen Risiken?
    Müller: Ich sehe natürlich finanzielle Risiken und wir werden uns deshalb genau überlegen, in welchen Fällen klagen wir. Es wird auch darum gehen, dass die Politik, die ja ein Interesse daran hat, dass Verbände wie zum Beispiel der VZBV klagebefugt werden, entsprechend finanziell ausgestattet werden müssen, um das tun zu können. Aber erst mal bin ich jetzt zuversichtlich, wenn das Gesetz gewollt ist, dass wir dann auch die Mittel bekommen. Und weil wir in der Vergangenheit stark waren in solchen Klagen im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, werden wir das auch künftig sein.
    "Wir klagen leider immer nur in Einzelfällen"
    Dobovisek: Sie sagen, Sie wollen genau überlegen. Wie wollen Sie denn künftig auswählen, welche Klage Sie gemeinsam mit Verbrauchern angehen und welche nicht?
    Müller: Wir können über das Marktwächtersystem, das heißt die Marktbeobachtung genau erkennen, wo leiden denn Verbraucherinnen und Verbraucher unter ungerechtfertigten Gebühren, unter irreführender Werbung, unter Unternehmensversprechen, die nicht eingehalten werden. Das werten wir ja heute schon aus und wir klagen schon heute. Das ist wichtig. Wir klagen aber leider immer nur in Einzelfällen. Wir können keine größere Gruppe von Verbrauchern vor Gericht bringen. Der wichtige Unterschied der Musterfeststellungsklage ist: Es werden sich dadurch nicht alle Probleme lösen, die es gibt in der Verbraucherwelt in Deutschland. Aber wir können jetzt erstmalig größere Gruppen vor Gericht bringen und das ist der Vorteil der Musterfeststellungsklage.
    Dobovisek: Die Bundesregierung hat ja lange gerungen um die Musterfeststellungsklage. Jetzt ist dieser Kompromiss rausgekommen und soll auch plötzlich ganz schnell durchgebracht werden durch Bundestag und Bundesrat. Bis September muss alles durch sein, haben mir gestern Experten vorgerechnet, damit das Gesetz dann am 1. November in Kraft treten kann und viele VW-Fälle nicht verjähren. Ist das aus Ihrer Sicht realistisch?
    Müller: Das ist auf jeden Fall ambitioniert und darum haben wir in den letzten Tagen auch viele, viele Gespräche genutzt, um zu sagen, die erste Halbzeit, um im Fußball-Jargon zu bleiben, die muss heute enden. Es ist ganz wichtig, dass Verbraucherschutzministerin Katarina Barley heute den Kabinettsbeschluss mit nach Hause bringt. Dann beginnt unmittelbar die zweite Halbzeit gedanklich, weil der Deutsche Bundestag muss ja noch beraten und entscheiden. Erst dann tritt das Gesetz in Kraft.
    Wenn das jetzt zügig geht, ohne Verzögerung, ohne Verwässerung, wenn das Schwert tatsächlich ein gutes und starkes Instrument des Verbraucherschutzes bleibt, dann ist das tatsächlich zu gewährleisten. Und Sie können sicher sein, der VZBV bereitet sich parallel bereits auf eine erste Musterfeststellungsklage vor.
    "In der CDU hat es Vorbehalte gegeben"
    Dobovisek: Wer steht da in der Politik bislang am stärksten auf der Bremse?
    Müller: Na ja. Wir wissen durchaus – und ich glaube, das ist kein Geheimnis -, dass es in der CDU all die Diskussionen und Vorbehalte gegeben hat, die wir zum Beispiel aus der Wirtschaft gerade gehört haben. Aber ich glaube, dass hier tatsächlich der berühmte Saulus zum Paulus Effekt eingesetzt hat. Ich erlebe jetzt viel Zuspruch auch aus CDU und CSU, die sagen, okay, wahrscheinlich ist es angesichts des Verhaltens der Wirtschaft richtig.
    Wenn ich mir die jüngsten Vorwürfe gegen Audi angucke, da scheint die deutsche Automobilindustrie nicht gelernt zu haben. Wenn ich mir manche Gebühren bei Banken und Versicherungen angucke, im Internet-Handel, im Strom- und Gasbereich, dann gibt es einfach so viele Beispiele, dass die gesamte Koalition sagen wird, ja, das Instrument der Musterfeststellungsklage ist jetzt der nächste richtige, vernünftige und starke Schritt für den Verbraucherschutz.
    Dobovisek: Klaus Müller steht dem Verbraucherzentrale Bundesverband vor und war zuvor Grünen-Politiker. Vielen Dank für das Gespräch.
    Müller: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.