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Bundesverfassungsgericht billigt EZB-Krisenkurs
"Ein Freifahrtschein" für die Notenbank

Die Europäische Zentralbank (EZB) darf im Ernstfall mit deutscher Beteiligung Euro-Krisenstaaten durch Staatsanleihenkäufe stützen. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Wie ist dieses Urteil zu bewerten, welche Folgen hat es für die Finanzmärkte und wie wirkt es sich auf die Sparer aus? Eine Einordnung von Klemens Kindermann, Leiter der DLF-Wirtschaftsredaktion.

Klemens Kindermann im Gespräch mit Ursula Mense | 21.06.2016
    Die Zentrale der Europäischen Zentralbank
    Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (picture-alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Ursula Mense: Wie ist die Entscheidung aus Karlsruhe zu bewerten?
    Klemens Kindermann: Sie ist in dieser Deutlichkeit überraschend und für die EZB, muss man schon sagen, sozusagen die grüne Plakette zum Weiterfahren. Im Grunde genommen stellt sich Karlsruhe hinter die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom letzten Jahr, zieht die gleichen Leitplanken ein. Das ist deshalb überraschend, weil die Karlsruher Richter ja 2014 doch Bedenken geäußert hatten, dann aber dem EuGH den Vortritt gelassen haben. Im Klartext kann man sagen: Jetzt haben sie den ganzen Vorgang einfach durchgewunken. Sieger ist die EZB.
    Mense: Was bedeutet das Urteil für die Finanzmärkte?
    Kindermann: Wir sehen ja keine großen Reaktionen aktuell an den Märkten, bei Aktien oder beim Euro. Das hat seinen Grund, denn im Kern wird aus Karlsruhe die bisherige Geldpolitik der EZB bestätigt. Hätten die Karlsruher Richter härtere Auflagen gemacht, also indirekt die Handlungsfähigkeit der Bundesbank und folgend der EZB begrenzt, hätten wir durchaus mit heftigen Reaktionen an den Märkten rechnen müssen. Karlsruhe macht die Termine seiner Urteilsverkündigungen sicher nicht von politischen Abstimmungen abhängig: Aber einen Effekt hat das Gericht damit erreicht, dass es heute so verkündet hat: Es hat in die extrem volatilen Aktien- und Devisenmärkte heute Ruhe gebracht. Denn am Donnerstag oder besser am frühen Freitagmorgen rechnen wir ja mit dem Ergebnis der Brexit-Abstimmung über ein mögliches Ausscheiden Großbritanniens aus der EU. Und da wird im Falle des Brexits schon jetzt über Notmaßnahmen der Notenbanken, allen voran der EZB spekuliert. Da gibt es offenbar schon Devisen-Swap - also Tausch-Linien zwischen der EZB und der Bank of England, die in Windeseile aktiviert werden können. Die EZB muss voll handlungsfähig sein am Freitag mit allen Instrumenten. Das ist sie erst recht seit heute.
    Mense: Was bedeutet das Urteil für die weitere Geldpolitik der EZB?
    Kindermann: In gewisser Weise ein Freifahrtschein. Das OMT-Programm wurde faktisch ja nie umgesetzt. OMT für "Outright Monetary Transactions" – also "direkte geldpolitische Geschäfte". Wenn aber das eine Programm schon höchstrichterlich unbedenklich ist, dann fällt es schwer, sich vorzustellen, dass das andere, tatsächlich umgesetzte und aktuell laufende Anleihekaufprogramm dann nicht rechtens sein könnte. Da will die EZB bis März 2017 Staatsanleihen und Wertpapiere für mehr als 1,7 Billionen Euro kaufen. Auch höchst umstritten, weil man nicht weiß, ob das alles überhaupt so wirkt. Aber nach so einer Entscheidung aus Karlsruhe wahrscheinlich dann auch rechtens.
    Mense: Wirkt sich die heutige Entscheidung aus Karlsruhe mittel- und langfristig auch für uns als Sparer und Konsumenten aus?
    Kindermann: Ich denke schon. Denn das Urteil stärkt die EZB insgesamt, also auch bei ihrer Niedrigzinspolitik, die ja die deutschen Sparer so nach und nach enteignet und die Altersvorsorge immer schwieriger macht - das bei einer alternden Generation. Und sie hält den Weg frei für dieses OMT-Programm, das ja eigentlich damals – 2012 - darauf abzielte, die extremen Renditeausschläge bei Staatsanleihen von Ländern wie Italien oder Spanien einzudämmen. Weder in Italien noch in Spanien hat es seitdem wirklich Reformen gegeben. Die EZB hat mit ihrer Politik nur Zeit gekauft. Am Sonntag wird in Spanien gewählt. Wenn da das linke Lager zulegt, werden Reformen womöglich gar nicht mehr kommen. Die Finanzkrise könnte sich wieder zuspitzen. Da kann dann die EZB mit dem OMT-Programm voll reingehen: Anleihen Spaniens kaufen. Die Bundesbank haftet dafür mit und am Ende wir als deutsche Steuerzahler.