Freitag, 29. März 2024

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Bundesverfassungsgericht
"Das NPD-Verbotsverfahren ist völlig offen"

Der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann sieht das Bundesverfassungsgericht im NPD-Verbotsverfahren vor einer schweren Aufgabe: "Ich betrachte das als eine Chance, die Demokratietiefe neu zu vermessen", sagte von Alemann im DLF. Er glaube, dass die Verfassungsrichter keine leichten Antworten auf der Hand hätten. Das Verfahren sei völlig offen.

Ulrich von Alemann im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 02.03.2016
    Der emeritierte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann
    Der emeritierte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann lehrte früher an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. (picture alliance/dpa/Roland Weihrauch)
    Das Gericht dürfte in seine Überlegungen auch von vornherein den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof einbeziehen, vermutete von Alemann. Denn schließlich habe die NPD bereits angekündigt, im Falle eines Verbotsurteils das nächste europäische Gericht anzurufen. Auch das müsse das Verfassungsgericht beachten, damit es vor der nächsten Instanz in Straßburg nicht die nächste Klatsche bekomme.
    Der Politikwissenschaftler fügte hinzu, das Verfahren sei kompliziert, werde aber eine reinigende Wirkung haben. Es werde neu definieren, wie weit die Freiheit reiche, gegen unsere Verfassung zu sein. "Wie weit geht unsere Demokratiefreiheit?". Die Richter müssten hier eine zeitgemäße Definition finden und neu formulieren, was der Rechtsstaat zu ertragen habe.
    "Ein Rechtsstaat ist nun mal eine langwierige Sache"
    Von Alemann wies Vorwürfe zurück, dass das Verbotsverfahren nach den jüngsten fremdenfeindlichen Ereignissen in Sachsen und anderswo zu spät komme. "Es musste so lang dauern, weil durch die Bundesländer die V-Leute abgeschaltet werden mussten." Zudem hatten die Richter keinen Fehler machen und genau nachfragen wollen, ob ihre diesbezüglichen Vorgaben erfüllt worden seien. "Ein Rechtsstaat ist nun mal eine langwierige Sache."

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Was bringt ein Verbot der NPD, wenn rechtes Gedankengut in der Gesellschaft doch gerade so verbreitet zu sein scheint wie seit Jahrzehnten nicht? Darüber habe ich vor dieser Sendung mit dem Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann gesprochen. Er lehrt an der Uni in Düsseldorf. Mit Blick auf die Zunahme rechter Gewalt in Deutschland habe ich ihn gefragt, ob das NPD-Verbotsverfahren zu spät kommt.
    Ulrich von Alemann: Nein, es kommt nicht zu spät. Das NPD-Verbotsverfahren ist einmal schon gescheitert 2003 an eher formalen Fragen, nämlich an Fragen der V-Leute, die in der NPD noch saßen, und es dauerte eine ganze Zeit lang. Es musste so lange dauern, weil durch die verschiedenen Bundesländer mussten diese V-Leute, diese verdeckten Ermittler, abgeschaltet werden, wie man das so nennt, und dann erst konnte ein neues Verfahren in Gang gesetzt werden. Schon bei dem neuen Verfahren hat es auch wieder etwas gedauert, weil das Bundesverfassungsgericht keinen Fehler machen will und nachgefragt hat, sind wirklich auch noch alle abgeschaltet, ist das wirklich alles klar gegangen 2013/14, und jetzt kommt es endlich zu dem Verfahren. Ein Rechtsstaat ist nun mal eine langwierige Sache. Wir wollen alle unser gutes Recht bekommen. Die NPD hat auch ein Recht darauf, dass korrektes Recht gesprochen wird, und deswegen musste es leider so lange dauern.
    "Ein Verbotsverfahren ist immer ein zweischneidiges Schwert"
    Büüsker: Wenn wir jetzt auf die gesellschaftliche Akzeptanz rechten Gedankenguts und vielleicht auch auf den Erfolg rechtspopulistischer Parteien wie der AfD schauen, was kann da dieses Verbotsverfahren bringen?
    von Alemann: Ein Verbotsverfahren - das sagte heute Morgen auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle - ist immer ein zweischneidiges Schwert, weil es einerseits die Verfassung schützen will vor Verfassungsfeinden, weil es aber andererseits den Freiheitsraum für Parteien einschränkt, nämlich eine bestimmte Partei verbietet. Heutzutage ist Rechtsextremismus, Verfassungsfeindlichkeit auf gar keinen Fall ein Kavaliersdelikt geworden, trotz Pegida, trotz AfD, trotz rechtspopulistischer Umtriebe in vielen Gemeinden, in vielen Bundesländern, und deswegen ist ein Verbotsantrag, ein Verbotsversuch - denn sie ist noch nicht verboten, das Verfahren ist völlig offen gegen die NPD jetzt in Karlsruhe - weiterhin sinnvoll, glaube ich.
    "Für Parteien gelten besonders harte Bedingungen"
    Büüsker: Sie haben die Pegida-Demonstrationen jetzt schon angesprochen. Wenn wir mal auf das völkische Gedankengut, was die NPD ja ausmacht, schauen. Die Rhetorik wie die vom deutschen Boden, das finden wir in Teilen auch jeden Montagabend in Dresden, eben bei den Pegida-Demonstrationen. Aus Ihrer Sicht heraus, wie groß sind da die Überschneidungen?
    von Alemann: Die Überschneidungen sind sicherlich vorhanden. Aber es gibt einen ganz gravierenden Unterschied: Die NPD ist eine Partei und für eine Partei gelten ganz besonders harte Bedingungen, ob man sie verbieten kann. Einen Verein, eine Vereinigung können die Innenminister auf schnellerem Wege verbieten, und das haben sie auch in den letzten Jahren immer wieder getan, auf der rechten Seite, teilweise auch auf der linken Seite. Deswegen kann man die Pegida-Äußerungen und die Äußerungen innerhalb der NPD nicht unbedingt auf die gleiche Stufe stellen.
    "Wie weit geht die Demokratiefreiheit?"
    Büüsker: Aber ist das nicht etwas, was im Sinne der Meinungsfreiheit eine Demokratie auch aushalten muss?
    von Alemann: Ja, das ist genau die entscheidende Frage. Wie weit geht die Demokratiefreiheit? Und es gab gerade zu Beginn der Bundesrepublik einen Grundsatz, der lautete, keine Freiheit für die Feinde der Freiheit. Aber das ist ein sehr bedenklicher Grundsatz und ich bin eigentlich sehr froh, dass das Bundesverfassungsgericht jetzt hoffentlich gezwungen sein wird, dieses neu zu definieren und dieses neu zu überdenken, denn die beiden Verbotsverfahren, die es in den 50er-Jahren gegeben hat gegen die rechtsradikale SAP und gegen die linke KPD, die sind ja eigentlich jetzt schon Geschichte, und es wird dringend Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht eine zeitgemäße Definition neu finden und neu formulieren muss, wie weit geht die Freiheit der Verfassungsfeindlichkeit, wie weit müssen wir das ertragen als Rechtsstaat, als Demokratie, oder müssen wir hier frühzeitig eingreifen. Und da muss die Zeit des Kalten Krieges in den 50er-Jahren sehr vorsichtig abgewogen werden mit einer heutigen neuen Situation, in der wir aber das Ausbrechen von solchen rechtsradikalen Äußerungen leider Gottes fast täglich wieder in der Tagesschau beobachten können. Deswegen hat das Gericht eine sehr, sehr schwierige Aufgabe und ich glaube, es ist sich dieser Aufgabe bewusst, gerade wenn man sich anhört, was heute der Präsident des Verfassungsgerichts zur Eröffnung schon gesagt hat.
    Die Demokratie-Tiefe neu vermessen
    Büüsker: Ist dann dieses Verfahren beziehungsweise auch die ganze Diskussion darum herum eine Möglichkeit der kritischen Auseinandersetzung mit dem, was auf der rechten Seite der Politik passiert?
    von Alemann: Genauso sehe ich das auch. Ich sehe das als eine Chance, die Demokratietiefe sozusagen neu zu vermessen, neu zu definieren durch das Bundesverfassungsgericht. Ich glaube, das Bundesverfassungsgericht wird sich sehr schwer damit tun, hat keine leichten Antworten auf der Hand, wird sehr, sehr genau prüfen, wird auch noch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg schon im Vorhinein mit einbeziehen, weil die NPD bereits angekündigt hat, falls sie verboten würde, würde sie als nächstes das europäische Gericht anrufen. Auch das muss das Gericht mit beachten, damit es nicht eine nächste Klatsche bekommt vor der nächsten Instanz in Straßburg. Das wird das Gericht sicherlich vermeiden wollen. Es ist ein ganz, ganz kompliziertes Verfahren, das aber, denke ich, auch eine reinigende Wirkung haben wird. Es wird neu definieren müssen, wie weit reicht die Freiheit, auch gegen unsere Verfassung zu sein, auch Opposition wahrnehmen zu wollen, wie weit reicht diese Freiheit.
    Den Rechtsfrieden herstellen
    Büüsker: Da sehen Sie den Ball jetzt im Spielfeld des Bundesverfassungsgerichtes. Aber mit Blick auf unsere Gesellschaft und das, was gerade eben passiert, die Zunahme rechter Gewalt, ist da nicht auch die Politik stärker gefordert, in diese Auseinandersetzung reinzugehen?
    von Alemann: Ja, das ist sicherlich richtig. Die Politik ist gefordert und sie ist ja geradezu täglich gefordert im Augenblick. Was wir in Sachsen beobachten war grauenhaft, es war verabscheuungswürdig, wie auf der Straße von Bürgern Beifall geklatscht wurde zu brennenden Asylbewerber- und Flüchtlingsheimen, wie ein Bus blockiert wurde. Wir haben das in Clausnitz, wir haben das in den Fernsehnachrichten und im Radio gesehen und gehört. Das ist aber eine andere Ebene. Die Politik und die Zivilgesellschaft müssen sich damit auseinandersetzen. Aber die gerichtliche Ebene muss eine ganz langfristige Rechtsprechung hier entwickeln und muss ein ganz langfristig hoffentlich sogar befriedendes Urteil fällen, denn den Rechtsfrieden herzustellen, das ist ja die allergrößte Aufgabe von obersten Gerichten.
    Büüsker: Der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann im Deutschlandfunk-Interview.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.