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Bundesverfassungsgericht
"Urteil betont die Freiheit des Bundespräsidenten"

Ein Bundespräsident müsse eine "zielgruppengerechte Ausdrucksweise" wählen und habe die Aufgabe der Integration, sagte der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart im DLF. Es sei deshalb zu erwarten gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht es für zulässig halte, wenn Joachim Gauck NPD-Anhänger als "Spinner" bezeichne.

Christoph Degenhart im Gespräch mit Martin Zagatta | 10.06.2014
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    Joachim Gauck durfte Anhänger der NPD als "Spinner" bezeichnen, entschied das Bundesverfassungsgericht. (AFP Photo / Adem Altan)
    Martin Zagatta: Der Bundespräsident muss sich bei seinen Äußerungen über politische Parteien nicht zwangsläufig neutral verhalten. So hat dies das Bundesverfassungsgericht am Vormittag entschieden und damit eine Klage der NPD abgewiesen. Mitgehört hat der Staatsrechtler Professor Christoph Degenhart von der Universität Leipzig. Guten Tag, Herr Degenhart!
    Christoph Degenhart: Grüß Gott!
    Zagatta: Herr Degenhart, war Ihnen das klar, dass das Urteil so ausfallen würde, oder hatten Sie da noch irgendwelche Zweifel?
    Degenhart: Nun, nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung war eigentlich ganz klar, dass das Urteil so ausfallen würde, und ich hatte auch schon vor der mündlichen Verhandlung keinen Zweifel daran, dass das Bundesverfassungsgericht keine Kompetenzüberschreitung durch den Bundespräsidenten feststellen würde. Dass das Urteil so klar und eindeutig ausfallen würde, war vielleicht nicht unbedingt zu erwarten. Das Bundesverfassungsgericht hat also sehr stark die Freiheit des Bundespräsidenten betont.
    Zagatta: Sie sagen, die Freiheit des Bundespräsidenten wurde da betont. Aber muss man nicht eigentlich davon ausgehen, dass gerade so eine Figur wie der Bundespräsident, dass der eigentlich sich sehr überparteilich dort verhalten sollte?
    Degenhart: Ja. Genauer gesagt, die Redefreiheit des Bundespräsidenten. Sie haben ja ausdrücklich Parallelen gezogen zwischen der Redefreiheit in der politischen Auseinandersetzung und den Äußerungsbefugnissen des Bundespräsidenten. Es ist immer eine Gratwanderung. Der Bundespräsident ist natürlich verpflichtet zur parteipolitischen Neutralität. Er hat andererseits aber auch die Aufgabe der Integration und es liegt durchaus im Rahmen seiner Befugnisse und seiner Aufgaben, auf Entwicklungen hinzuweisen, die für das Gemeinwesen gefährlich sein könnten, beispielsweise das Wiederaufleben nazistischen Gedankengutes. Und wenn schließlich dieses Gedankengut aus Richtung einer bestimmten Partei kommt, ist es klar, dass sich dann seine Äußerung notwendig auch auf diese Partei erstreckt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Und es hat auch sehr stark betont, das Gericht, dass es Sache der Einschätzung des Bundespräsidenten selbst ist, ob er sich mehr als politischer Präsident, oder mehr als neutraler Präsident versteht.
    Zagatta: Nun ist aber eine Einschätzung, wenn man Anhänger einer Partei, die ja nicht verboten ist, als "Spinner" bezeichnet, für den einen oder anderen vielleicht doch schon sehr weitgehend. Haben Sie da keine Bedenken?
    Degenhart: Nun, man muss auch hier sehen, in welchem Umfeld der Bundespräsident aufgetreten ist, und ich hatte eigentlich schon vor der Verhandlung die Auffassung vertreten und die hat sich hier bestätigt, dass er durchaus auch befugt sein muss, wie soll ich sagen, eine zielgruppengerechte Ausdrucksweise zu wählen. Wenn er vor einer Jugendlichen-Versammlung auftritt, kommt er vielleicht nicht so gut herüber, wenn er sich so ausdrückt, wie wir Staatsrechtler uns häufig vornehm in staatsrechtlichen Diskussionen oder vor dem Bundesverfassungsgericht ausdrücken.
    "Das Grundgesetz überlässt es dem Bundespräsidenten, wie er sein Amt versteht"
    Zagatta: Ist denn die Rolle des Bundespräsidenten im Grundgesetz relativ klar geregelt, oder hat da das Bundesverfassungsgericht jetzt großen Spielraum?
    Degenhart: Ja, das Bundesverfassungsgericht hat großen Spielraum, weil die Rolle des Bundespräsidenten im Grundgesetz nur sehr andeutungsweise geregelt ist. Man sagt immer, er sollte die Lehren aus Weimar ziehen und einen politisch möglichst indifferenten Bundespräsidenten abgeben. Das ist so nicht ganz richtig. Das Grundgesetz überlässt es dem Bundespräsidenten selbst, wie er sein Amt versteht. Natürlich: Die Grenze ist dort, wo er willkürlich eine bestimmte Partei diskriminiert, insbesondere wirklich in die politische Auseinandersetzung, in den Wahlkampf eingreift. Das war hier aber nicht der Fall.
    Zagatta: Herr Degenhart, jetzt hat das Bundesverfassungsgericht heute gleich auch noch eine zweite Klage der NPD abgeschmettert. Da wurden die Wahlen der Bundespräsidenten 2009 und 2010 angefochten. Das war wahrscheinlich unumstrittener?
    Degenhart: Das war wohl ebenso unumstritten wie die äußerungsrechtliche Frage. Wenn Sie aber sich die Entscheidungen ansehen, werden Sie feststellen, dass das Bundesverfassungsgericht in der Frage der "Spinner" sehr kurz und knapp entscheidet. Es ist ein ganz kurzes Urteil, was darauf hindeutet, dass das für das BVerfG vollkommen klar und unproblematisch war, während es im ersten Urteil sehr viel mehr Argumentationsaufwand auf die Stellung des Bundespräsidenten verwendet. Dass aber die Wahl des Bundespräsidenten ohne Aussprache stattfindet, das ist verfassungskonform, und hier musste auch die Geschäftsordnung keine abweichende Regelung vorsehen.
    "Kein Zusammenhang zwischen diesen Urteilen und dem NPD-Verbotsverfahren"
    Zagatta: Sie haben sich ja in der Vergangenheit recht ausführlich auch mit dem Verbotsantrag gegen die NPD beschäftigt, haben da in Leipzig auch praktische Erfahrungen. Was glauben Sie, haben diese Urteile da jetzt irgendwelche Auswirkungen? Beschleunigt das den Niedergang der NPD jetzt noch, oder hat das damit nichts zu tun?
    Degenhart: Ich sehe hier offen gestanden keinen Zusammenhang zwischen diesen Urteilen und dem Verbotsverfahren. Das Verbotsverfahren ist eingeleitet, nimmt seinen Gang und irgendwelche, wie soll ich sagen, Aussagen oder Andeutungen, wie es in dem Verbotsverfahren laufen könnte, entnehme ich jetzt diesen Entscheidungen nicht. Ich sehe also keinen unmittelbaren Zusammenhang. Was den Niedergang der NPD betrifft, dazu brauchten wir jetzt gar nicht diese beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Die besorgen schon selbst ihren eigenen Niedergang.
    Zagatta: ... könnten aber wieder gestärkt werden, wenn ein solches Verbotsverfahren erneut scheitert.
    Degenhart: Das wurde teilweise als Bedenken, als Einwand gegen das Verbotsverfahren dargelegt. Das ist natürlich das Problem. Sie könnten hier gestärkt daraus hervorgehen. Ich glaube das aber eigentlich nicht. Und vor allem: Man musste das Verbotsverfahren jetzt durchführen. Man hat so lang darüber geredet und diskutiert, sollen wir, sollen wir nicht, sollen wir, sollen wir nicht. Wenn man jetzt nicht das Verfahren eingeleitet hätte, hätte man sich völlig unglaubwürdig gemacht.
    Zagatta: Der Staatsrechtler Professor Christoph Degenhart von der Universität in Leipzig. Herr Degenhart, ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Degenhart: Ich danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.