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Bundeswehr
Afghanistan-Rückkehrer verändern die Truppe

Viele deutsche Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz waren, vermissen nach ihrer Rückkehr nach Deutschland eine gewisse Anerkennung. In der Bundeswehr gibt es inzwischen Stimmen, die einige Grundprinzipien wie die Innere Führung auf den Prüfstand stellen wollen.

Von Axel Schröder | 04.12.2014
    Bundeswehrsoldaten in Kundus
    Bundeswehrsoldaten vermissen nach der Rückkehr aus Afghanistan oft Anerkennung. (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
    Im Kaminzimmer des Offiziersheims am Hamburger Stadtrand knistert das Feuer. Nebenan, im Großen Saal steht ein sehr engagierter junger Offizier am Rednerpult. Marcel Bohnert, silbergraue Uniform, ein großer, sportlicher Kerl. Bohnert ist Mitherausgeber der Aufsatzsammlung "Armee im Aufbruch", macht im Offiziersheim Werbung für das Buch. Seine Mission an der Heimatfront: Anerkennung einfordern für die deutschen, zum Teil noch sehr jungen Veteranen.
    "Getrieben hat mich meine eigene Afghanistan-Erfahrung letztlich. Ich bin Chef einer Infanterieeinheit in Kundus gewesen. Im Jahr 2011. Das war ein sehr intensiver Einsatz. Und ich habe mit meiner Einheit dort 200 Tage lang wirklich sehr intensiv operiert. Und hatte schon währenddessen das Gefühl, dass das so in der Gesellschaft nicht ankommt und hatte es insbesondere danach."
    Marcel Bohnert arbeitet als Dozent an der Hamburger Bundeswehr-Universität. Die Texte, die die "Armee im Aufbruch" beschreiben, stammen von seinen Studenten im Fach "Ethik". Texte über hartnäckig-frauenfeindliche Soldaten, Texte über das Bürokratiemonster Bundeswehr, aber vor allem Texte, in denen ein zentrales Leitbild der Truppe infrage gestellt wird: die Innere Führung, der Staatsbürger in Uniform. Auch Mitherausgeber Marcel Bohnert hat seine Probleme mit dem Konzept:
    "Ich habe gerade in Afghanistan viele Soldaten erlebt, die mit der Inneren Führung wirklich nicht mehr besonders viel anfangen können. Und fordere deshalb, dass die Innere Führung aus ihrer Beliebigkeit herauskommt und es schafft, dem Soldaten ein wirklich konkretes Leitbild zu entwickeln, das auch in Extremsituationen gilt!"
    Die Idee der Inneren Führung
    Ein Ortswechsel: die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg-Blankenese. Ein weiter Kasernenhof, altes Kopfsteinpflaster. Hier, an der Ausbildungsstätte für das Spitzenpersonal der Truppe, kennt man sich aus mit dem Leitbild der Inneren Führung. Anfang der 50er Jahre, wenige Jahre nach Kriegsende, entwickelte der Generalleutnant Wolf Graf Baudissin die Idee vom Soldaten im demokratisch verfassten Staat. Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik stand damals kurz vor Tür. Gefragt war ein Entwurf, der den alten Geist, den Kadavergehorsam, die entfesselte Rohheit der Wehrmacht endgültig ablösen sollte, erklärt Oberstleutnant Kai Prüter, Dozent an der Führungsakademie, Fachbereich: "Militärische Führung und Organisation".
    "Wir wollen alles das, was in der Vergangenheit gewesen ist, hinter uns lassen. Wir wollen einen neuen Weg gehen. Und wollen die neue Bundeswehr auch in den neuen demokratischen Staat integrieren. So ist die Idee der Inneren Führung entstanden."
    Der Soldat als mündiger Bürger, der im Ernstfall auch in der Lage ist, Befehle zu hinterfragen. Der sich ans Völkerrecht, an die Genfer Konvention zu halten hat. Der vom gewählten Parlament in den Kampf geschickt wird. Dass Marcel Bohnert und seine Mitstreiter an diesem schönen Ideal rütteln, kann Dozent Kai Prüter nicht verstehen, bleibt aber gelassen:
    "Es ist ja gut, wenn auch mal neue Ideen, neue Gedanken kommen. Dennoch teile ich die Folgerung daraus nicht ganz. Weil ich sehr wohl der Auffassung bin, dass das Konzept der Inneren Führung nach wie vor aktuell ist, nach wie vor Bestand hat."
    Und überhaupt: Eigentlich, so Prüter, handeln doch gerade die jungen Soldaten, die den neuen Sammelband veröffentlichen, nach den Prinzipien der Inneren Führung, sind mündige Bürger.
    Was soll der Einsatz am Hindukusch?
    Warum aber sollte die Innere Führung dem Wunsch der deutschen Afghanistan-Kämpfer nach mehr Anerkennung entgegenstehen? Treibt sie die "Gier nach Anerkennung", wie es Thomas de Maiziére als Verteidigungsminister formulierte und die Truppe schwer gegen sich aufbrachte? Immerhin klagten Soldaten, die im Kosovo im Einsatz waren, kaum über einen Mangel an Rückhalt in der Heimat. Beim Abend im Offiziersheim ist auch der Grüne Winfried Nachtwei dabei. Das Buchprojekt Bohnerts lobt er. Und versucht eine Antwort auf die Frage, warum die Innere Führung gerade in Afghanistan unter die Räder geriet. Mindestens tiefe Schrammen bekam:
    "Wenn man einerseits das Letzte geben muss, und andererseits ist der Sinn nicht mehr erkennbar, dann hat also ein Staatsbürger in Uniform da ein Problem. Dass sozusagen der Sinn, der politische Sinn eher abgekoppelt wurde. Und das ist ein grundsätzliches, massives Problem für Innere Führung."
    Auf den Punkt gebracht: Selbständiges Denken, Handeln und Reden in Extremsituationen fällt immer dann schwer, wenn der Sinn fehlt. Was soll der Einsatz am Hindukusch? Sobald wir weg sind, werden die Taliban wieder auf den Plan treten, denken dort viele, und eine schlecht ausgebildete afghanische Armee herausfordern. - Die Debatte um die Innere Führung, findet Nachtwei, der lange Jahre zuständig für die grüne Verteidigungspolitik war, ist dringend nötig. Gerade weil das Prinzip des mündigen Soldaten für Deutschlands ranghöchste Militärs noch nicht gilt. Auch nicht unter der so um Offenheit bemühten Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen:
    "In der Regel ist es wohl so, dass Generale sich nicht frei in der Öffentlichkeit äußern können."