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Bundeswehr
"Finanzausstattung ist blamabel"

Wegen technischer Probleme konnte die Bundeswehr zuletzt nur mit Verspätung Waffen und Ausbilder an die Kurden im Irak liefern. Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, sagte im Deutschlandfunk, die Bundeswehr sei über Jahre kaputtgespart worden.

Harald Kujat im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 27.09.2014
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr ( picture alliance / ZB)
    Die aktuelle Situation könne keinen überraschen, auch wenn man über längere Zeit versucht habe, sie zu vertuschen. Er sehe derzeit nicht den politischen Willen, dass die Situation geändert werde.
    Bereits vor Jahren habe man zugesagt, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. In der Realität seien es aber gerade mal 1,29 Prozent. "Wir liegen damit an 14. Stelle in der Nato. Das ist für eine so große Volkswirtschaft wie Deutschland einfach blamabel."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Die Bundeswehr ist in den vergangenen Tagen ins Gerede gekommen. Tatsächlich liefert sie kein allzu gutes Bild ab in diesen Tagen. Wir haben erfahren, dass die komplette Marine nur über vier flugfähige Helikopter verfügt. Ähnliche Mängel gibt es auch beim Heer und bei der Luftwaffe. Und dann noch die unendliche Reise von sieben Bundeswehrausbildern, unterwegs in Richtung Nordirak, die aber erst mal in Bulgarien festsitzen, weil ihre Maschine kaputt ist. Alles nicht gerade ein Aushängeschild für deutsche Einsatzbereitschaft in Krisenzeiten wie diesen. Am Telefon ist jetzt der ehemalige Luftwaffengeneral Harald Kujat. Er war bis vor etwa zehn Jahren Vorsitzender des NATO-Militärausschusses und davor Generalinspekteur der Bundeswehr. Schönen guten Morgen!
    Harald Kujat: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
    Armbrüster: Herr Kujat, diese Mängel bei der Bundeswehr - haben die Sie überrascht?
    Kujat: Nein. Die konnten niemanden überraschen, der sich mit der Bundeswehr auskennt, und der die Entwicklung beobachtet hat. Im Gegenteil, es hat viele Experten gegeben, die gesagt haben, die Bundeswehr wird kaputt gespart. Man kann nicht gleichzeitig die Investitionen für neues Material reduzieren, weniger einkaufen, lange Material im Dienst behalten und dann auch noch die Materialerhaltungskosten reduzieren. Das muss dann irgendwann zu dieser Situation führen, auch wenn man das über längere Zeit vertuschen kann.
    Armbrüster: War das denn in Ihrer Zeit bei der Bundeswehr auch schon absehbar?
    Kujat: Es gibt natürlich immer solche Probleme bei einzelnen Systemen. Selbstverständlich, vor allen Dingen, wenn sie sehr, sehr lange im Dienst sind. Und natürlich haben wir auch versucht, Geld zu sparen, aber man muss eben sehen, dass ein bestimmter Prozentsatz des Haushaltes für Material eingesetzt werden muss. Idealerweise sind das 30 Prozent. Die NATO fordert mehr als 20 Prozent, jetzt gerade kürzlich auch auf dem Gipfel in Wales. Und wir haben im letzten Jahr nach NATO-Kriterien nur 16 Prozent eingesetzt. Und das kann nicht gut gehen.
    Armbrüster: Wer ist denn dafür verantwortlich?
    Kujat: Nun, letzten Endes ist das ja eine Entwicklung, die sich bereits über viele Jahre erstreckt. Das ist also nichts, was jetzt hier plötzlich vom Himmel gefallen ist. Deshalb sagte ich ja auch, wir beobachten das schon seit längerer Zeit. Also, ich würde nicht nun der aktuellen Führung daraus einen Vorwurf machen, aber man muss eben auch sehen, dass die neue Regierung nun schon fast ein Jahr im Amt ist, und wir sehen auch, dass ein absoluter Stillstand im gesamten Beschaffungsbereich besteht. Das ist natürlich ein Zustand, der auf Dauer nicht so fortgeführt werden kann.
    Das ist nicht sofort zu korrigieren
    Armbrüster: Sie sagen jetzt, das ist eigentlich schon seit Längerem bekannt, aber es ist ja eigentlich schon überraschend, dass man über diese Mängel in den vergangenen Jahren aus der Armee so wenig gehört hat.
    Kujat: Ja, natürlich. Niemand hat ein Interesse in der Bundeswehr daran, dass das in der Öffentlichkeit diskutiert wird, vor allem nicht die Führung. Das ist ja ein Politikum ersten Grades. Deshalb versucht man das natürlich irgendwie zu bewerkstelligen. Und die Truppe ist ja auch sehr erfinderisch darin. Die versucht natürlich immer, das Beste aus einer solchen Situation zu machen. Insofern, das kennt man ja auch aus dem privaten Leben: Unangenehme Dinge diskutiert man ungern in der Öffentlichkeit.
    Armbrüster: Ich meine jetzt, wenn Lehrer oder Ärzte oder, sagen wir, Krankenschwestern den Eindruck haben, sie werden von der Politik vernachlässigt und sie bräuchten eigentlich für ihre Bereiche mehr Geld, dann weiß man, dann gehen die auf die Straße, machen Demonstrationen, geben Interviews und machen auf ihre Probleme aufmerksam. Soldaten würden so was ja nie tun. Ist das vielleicht ein Problem?
    Kujat: Nein, ich denke nicht, dass das ein Problem ist. Die Bundeswehr - ich glaube, es gibt keinen gesellschaftlichen Bereich, der so stark unter politischer Kontrolle steht wie die Bundeswehr. Erstens gibt es immer ein großes öffentliches Interesse daran. Wir haben darüber hinaus den Wehrbeauftragten, der für das Parlament ja ständig in die Bundeswehr hineinschaut und solche Entwicklungen natürlich auch erkennt. Er hat das ja auch jetzt in seinem Bericht sehr ausführlich und sehr präzise geschildert. Nein, ich glaube, daran liegt es nicht. Es gibt natürlich, wie in jedem Bereich, gibt es natürlich eine Loyalität gegenüber der Führung. Das ist bei der Bundeswehr besonders ausgeprägt. Und es ist bei der Bundeswehr eben auch so, dass man vielleicht auch über Dinge hinwegsieht, weil wir ja wissen, dass das, dieser Zustand des Materials, auch damit zusammenhängt, dass die Bundeswehr eben seit vielen, vielen Jahren im Einsatz ist und dadurch der Verschleiß des Materials wesentlich größer ist, als wenn die Bundeswehr nur zu Hause wäre und nur Ausbildung betriebe.
    Armbrüster: Wenn wir uns jetzt diese ganzen Mängel ansehen, Herr Kujat, was würden Sie denn sagen, was muss sofort passieren?
    Kujat: Na ja, das ist nicht sofort zu korrigieren. Das muss man ganz klar sagen. Es wäre eine Illusion zu glauben, jetzt wird eine Entscheidung getroffen, und dann ändert sich das innerhalb von Monaten. Nein, diesen Zustand werden wir nur - dafür werden wir Jahre brauchen, um diesen Zustand zu beseitigen -
    Armbrüster: Sehen Sie dafür denn den politischen Willen, das in die Hand zu nehmen?
    Kujat: Nein, den sehe ich nicht. Wir haben ja gerade am 5. September den NATO-Gipfel gehabt. Da sind wir Verpflichtungen eingegangen, Verpflichtungen, den Verteidigungshaushalt zu erhöhen, Verpflichtungen, den Anteil an materieller Beschaffung zu erhöhen auf über 20 Prozent. Aber wir können - ich kann jedenfalls im Augenblick noch nicht erkennen, dass das nun sehr schnell umgesetzt wird. Hinzu kommt ja auch, das muss man auch immer wieder berücksichtigen, auch das hat der Gipfel entschieden: Wir müssen die Streitkräfte stärker auf ein breiteres Fähigkeitsspektrum ausrichten, also auch wieder stärker auf Bündnisverteidigung und Landesverteidigung, angesichts der aktuellen Krise um die Ukraine. Und auch das erfordert erhebliche Mittel, und jedenfalls der Verteidigungshaushalt für das nächste Jahr lässt diese politische Absicht nicht erkennen.
    Bundeswehr sollte nicht zusätzliche Aufträge übernehmen
    Armbrüster: Können wir dann festhalten, die Bundesregierung verspricht ihren internationalen Partnern mehr, als sie halten kann?
    Kujat: Jedenfalls im Augenblick ist das der Fall. Es ist ja eine Tatsache, dass wir vor Jahren schon zugesagt haben, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung aufzuwenden. Und bei uns sind das gerade einmal 1,29 Prozent. Wir liegen damit an 14. Stelle in der NATO, und das ist, glaube ich, für eine so große Volkswirtschaft, wie das Deutschland ja ist - Deutschland ist schließlich auch nach den Vereinigten Staaten das zweitgrößte Land in der NATO. Also für Deutschland ist das einfach blamabel.
    Armbrüster: Können Sie uns sagen - wie kommt das an im Ausland? Oder wird das überhaupt so registriert?
    Kujat: Ja, das wird sehr sorgfältig sogar registriert. Die Folge ist ja auch, natürlich gibt es da keine Mechanismen, keine Sanktionen. Die NATO ist ja ein Bündnis souveräner Staaten. Aber man hat sich jetzt auch verpflichtet, die Anstrengungen, die gemacht werden sollen, um diese Situation zu verbessern, jährlich zu überprüfen. Und in zwei Jahren wird es in Warschau wieder einen NATO-Gipfel geben, und dann wird man sicherlich Bilanz ziehen. Das ist der Fall. Es ist im Grunde ja auch eine zweifache Problematik: Auf der einen Seite ist es eine Frage der Solidarität, der politischen Solidarität innerhalb des Bündnisses, ob man seinen Anteil bereit ist zu tragen und es nicht anderen überlässt, sozusagen die Investitionen für die gemeinsame Sicherheit vorzunehmen. Zum anderen ist es aber auch eine militärische Frage, ob man nicht die Streitkräfte mit politischen Aufgaben überfordert, die sie gar nicht in der Lage sind zu leisten, weil die materiellen Voraussetzungen dafür fehlen.
    Armbrüster: Und meinen Sie denn, ist die Bundeswehr noch bereit für weitere Auslandseinsätze?
    Kujat: Im Augenblick würde ich das nicht empfehlen. Die Bundeswehr ist an 17 Einsätzen im Ausland beteiligt. Das sind überwiegend sehr kleine Einsätze, aber Afghanistan ist noch nicht beendet, und wir sehen ja, dass gerade der Bereich, den wir als Strategic Enablers bezeichnen, also strategischer Lufttransport, strategische Luftaufklärung, Aufklärung und Ähnliches - das sind Voraussetzung ja für einen effektiven Einsatz im Ausland -, dass diese Bereiche eben besonders in Schwierigkeiten sind. Sie haben ja gerade das Beispiel des Transportes von den Ausbildern in den Irak geschildert. Und da kann man nun wirklich nicht empfehlen, dass die Bundeswehr zusätzliche Einsätze übernimmt. Und der Wehrbeauftragte hat das ja genau so gesagt und sieht das auch genau so.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk war das Harald Kujat, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen, Herr Kujat!
    Kujat: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.