Dienstag, 19. März 2024

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Bundeswehr im Nordirak
"Wir wollen nicht zur Konfliktpartei werden"

Die Bundeswehr hat wegen des militärischen Konflikts im Nordirak ihr Ausbildungsprogramm für die Peschmerga-Kurden vorerst ausgesetzt. CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte im Dlf, man wolle sich auf keine Seite stellen. Gleichzeitig forderte er ein Ende der Abspaltungsbemühungen der Peschmerga. "Ein Nordkurdistan ist nicht lebensfähig."

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Jasper Barenberg | 17.10.2017
    Roderich Kiesewetter (CDU)
    Roderich Kiesewetter (CDU) (dpa / picture-alliance / Stephanie Pilick)
    "Wir wollen, dass der Irak als Gesamtstaat erhalten bleibt", sagte Kiesewetter. Das Ergebnis des Unabhängigkeits-Referendums, das die Kurden im Nordirak Ende September durchgeführt hatten, sei für die Bundesregierung nicht rechtlich bindend.
    Mit der Aussetzung der Ausbildungsmission wolle man ein politisches Zeichen gegenüber den Kurden setzen. Mit ihren Unabhängigkeitsbestrebungen isolierten sich die Peschmerga politisch. "Sie haben keinen politischen Plan, wie sie ihre Unabhängigkeit gewähren wollen". Wenn die Peschmerga nicht einlenkten, sei die Gefahr eines Bürgerkrieges sehr hoch.
    Der Westen müsse anerkennen, dass die Kurden viele Flüchtlinge aufgenommen haben. Dabei müsse man humanitäre Unterstützung leisten, um zu signalisieren, dass man die Kurden nicht alleine lasse. Gleichzeitig müsse deutlich gemacht werden: "Eine Unabhängigkeit ist mit uns nicht zu machen."
    Auf absehbare Zeit werde die Mission der Bundeswehr nicht wieder aufgenommen. Ob und wie sie fortgesetzt wird, müsse nun neu bewertet werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Es war ein unerwarteter und ein schneller Vorstoß der irakischen Regierungstruppen und es war die bislang härteste Reaktion der Regierung in Bagdad auf das Unabhängigkeitsvotum in den Kurden-Gebieten. Drei Wochen nach der Abstimmung hat die Armee in der Stadt Kirkuk wichtige Gebäude und den Militärstützpunkt unter ihre Kontrolle gebracht.
    Irakische Truppen auf dem Vormarsch in Richtung Kirkuk – diese Meldungen haben auch die Verantwortlichen im Verteidigungsministerium in Berlin aufgeschreckt. Schließlich bilden Bundeswehrsoldaten dort kurdische Peschmerga-Kämpfer aus, im Norden des Irak für den Kampf gegen die IS-Kämpfer.
    Mitgehört hat der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter. Schönen guten Tag.
    Roderich Kiesewetter: Ich grüße Sie, Herr Barenberg. – Ich bin Obmann im Auswärtigen Ausschuss und kein Verteidigungspolitiker.
    Barenberg: Ach! Ich hatte gemeint, Sie säßen auch im Verteidigungsausschuss, zumindest als stellvertretendes Mitglied. Ist gar nicht so gewesen?
    Kiesewetter: Doch, das bin ich. Aber ich spreche in meiner Funktion als Obmann.
    Barenberg: Gut, haben wir das geklärt. Vielen Dank dafür. – Herr Kiesewetter, können Sie bestätigen, dass die Bundesregierung diese Mission zunächst einmal ausgesetzt hat?
    Kiesewetter: Wir sind heute in der Arbeitsgruppe Außen unserer Fraktion von der Verteidigungsministerin informiert worden, dass seit letzte Woche Freitag die Ausbildung ausgesetzt ist. Das ist zutreffend.
    "Wir wollen, dass der Irak als Gesamtstaat erhalten bleibt"
    Barenberg: Und stimmt es auch, ist es richtig, dass vor allem die Sorge um die Sicherheit der Bundeswehrsoldaten an erster Stelle stand bei dieser Entscheidung?
    Kiesewetter: Es sind, glaube ich, zwei Aspekte, die da sehr wichtig sind. Erstens ist es die Sicherheitslage, zweitens aber auch, dass die Bundeswehr dort nicht zur Partei wird.
    Entscheidend ist, dass wir die Grundlage weiterhin gelten lassen wollen, nämlich die Einladung durch die irakische Zentralregierung. Und da sich jetzt Teile der Kurden gegen die Zentralregierung wenden, ist der Zusammenhalt des irakischen Staates gefährdet. Und das bedeutet, dass wir als Bundesrepublik Deutschland uns nicht auf die Seite einer der Parteien stellen, sondern wir wollen, dass der Irak als Gesamtstaat erhalten bleibt, und das sieht im Moment dort nicht so aus.
    Barenberg: Beschreiben Sie damit genau das Dilemma, in dem die Bundesregierung, in dem Sie als Politiker jetzt auch stecken, dass man auf der einen Seite sagt, wir wollen die Stabilität des Irak gewährleisten, fördern, und auf der anderen Seite auch die Kurden unterstützen, dass das auf einmal nicht mehr zusammengeht, wenn die beiden sich gegeneinander richten?
    Kiesewetter: Zumindest haben wir ein sehr kluges Mandat, das nämlich sehr klar im Unterschied zum Beispiel zu Italien, das mit 800 Soldaten vor Ort ist, unterscheidet. Die Bundesrepublik Deutschland bildet nur aus, begleitet aber die Peschmerga-Kämpfer nicht in den Kampf, und dadurch ist es viel leichter, sich aus der Ausbildungsunterstützung zurückzuziehen.
    Wir haben sie ja erst mal nur ausgesetzt. Das muss jetzt komplett neu bewertet werden, wie auch Herr Remme schon andeutete: Nach Sicherheitslage, will die Zentralregierung weiterhin die Unterstützung und drittens, auch abhängig von der Terrorbedrohung, ist weitere Unterstützung überhaupt nötig.
    Barenberg: Gibt es eine Zustimmung zu dieser Unterstützung für die Kurden von Seiten der Regierung in Bagdad?
    Kiesewetter: Zunächst war es so und es ist bisher immer auch noch so, dass die kurdische Zentralregierung die Unterstützung mitgetragen hat. Das erfolgte auf Einladung von el-Arabi, also durch die Zentralregierung. Das war bereits 2014 der Fall, das ist jährlich erneuert worden, das gilt nach wie vor.
    Aber die Bundesrepublik Deutschland muss selbst entscheiden, wie sie weiter dort vorgeht. Wir wollen nicht zur Konfliktpartei werden. Und wir können nur so unseren Einfluss bei den Kurden wahren, die ja völlig zerstritten sind inzwischen zwischen Iran nahen und Irak nahen Kurden, dass wir durch Aussetzung unserer Ausbildung auch politisch gegenüber den Kurden dort ein Zeichen setzen.
    Barenberg: Was wird für Sie denn maßgeblich sein, wenn es unter anderem darum geht, die Situation neu zu bewerten?
    Kiesewetter: Zunächst einmal ist es ganz entscheidend, dass die Peschmerga-Kurden ihre Abspaltungstendenzen einstellen. Für uns gilt, dass der Irak zusammenstehen muss. Das Referendum vom 25. 9. haben wir für politisch falsch gehalten, dass die Kurden über ihre Unabhängigkeit abgestimmt haben. Das Ergebnis ist für uns auch nicht rechtlich bindend. Außerdem gibt es ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten zwischen den Barsani- und Talabani-Kurden.
    Die Talabani-Kurden sind Iran nah. Für uns ist es ganz wichtig, dass der Iran nicht weiter Einfluss im Irak gewinnt. Aber noch wichtiger ist für uns, dass der Zusammenhalt des Iraks erhalten bleibt, und deshalb ist es für uns auch entscheidend, dass die Kurden sich nicht gegen die Zentralregierung wenden, sondern weiterhin Bagdad das Sagen hat.
    "Ein Nordkurdistan ist nicht lebensfähig"
    Barenberg: Nun mag es ja richtig sein – das gilt ja ähnlich und analog zu Katalonien -, dass es rechtlich keine Grundlage gegeben hat für dieses Referendum.
    Auf der anderen Seite ist das Ergebnis ja so eindeutig, dass meine Frage an Sie wäre, ob man an dem Ergebnis der Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden politisch auf Dauer dran vorbeikommen wird und das ignorieren kann.
    Kiesewetter: Zunächst einmal sind die Kurden auch gut beraten zu schauen, welche Wirkung ihre Entscheidung hat. Die Türkei hat sich eindeutig dagegen ausgesprochen. Der Iran hat die Flüge in den Nordirak, also nach Kurdistan untersagt. Die einzigen, die das Unabhängigkeitsreferendum auch politisch unterstützt haben, ist Israel – aus anderen Gründen, weil es hier gegen den Iran geht.
    Entscheidend aus meiner Sicht ist, dass die Kurden schlecht beraten sind, den Weg zur Unabhängigkeit weiter voranzuschreiten, da sie erstens sich politisch isolieren und zweitens auch keinen politischen Plan haben, wie sie ihre Unabhängigkeit gewähren wollen. Sie sind nicht lebensfähig. Ein Nordkurdistan ist nicht lebensfähig.
    Dazu gehört aber auch, dass wir aus dem Westen heraus anerkennen, dass die rund drei Millionen Kurden fast die Hälfte ihrer Bevölkerung an Flüchtlingen aufgenommen haben, 1,8 Millionen Christen, Jesiden und verfolgte andere Religionsgruppen. Um die müssen sie sich kümmern. Und hier, glaube ich, sind wir gut beraten, humanitär zu unterstützen in der Entwicklungszusammenarbeit, in der Nothilfe, aber auch dauerhaft im Aufbau und in der Unterstützung der Flüchtlingslage, um den Kurden zu signalisieren, wir lassen euch nicht isoliert stehen, aber eine Unabhängigkeit ist mit uns nicht zu machen.
    "Da gehören immer zwei dazu"
    Barenberg: Ist auf der anderen Seite auch die Zentralregierung in Bagdad ein Stück verantwortlich für diese Eskalation jetzt, indem sie Truppen nach Kirkuk schickt?
    Kiesewetter: Ja. Ich war unlängst in Ostmossul. Entscheidend ist, dass die irakische Zentralregierung umstrittene Gebiete wie das Sindschar-Gebirge mit nicht regulären Streitkräften besetzt hat, sondern mit schiitischen Milizen, und das hat natürlich zu einer weiteren Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten im Irak beigetragen. Und das führt letztlich auch dazu, dass die Kurden äußerst misstrauisch sind.
    Da gehören immer zwei dazu. Deswegen ist es auch so wichtig, dass die Bundesrepublik Deutschland sich nicht zur Partei machen lässt, und deshalb ist auch die Entscheidung der Bundesregierung, sich aus der Ausbildungsunterstützung zunächst zurückzuziehen, genau richtig.
    Barenberg: Jetzt gibt es schon die ersten Forderungen von Seiten der Linkspartei beispielsweise, diese Mission sofort und endgültig und vollständig zu beenden. Wann wäre für Sie ein Punkt erreicht, an dem diese Ausbildungsmission beendet werden muss?
    Kiesewetter: Zunächst mal entscheidet der Bundestag darüber auf einen Kabinettsbeschluss. Zunächst werden die laufenden Einsätze alle bis zu maximal drei Monaten verlängert. Dieser ruht zurzeit. Wir müssen uns mit unseren Partnern wie Frankreich und Italien in der Region abstimmen und wir brauchen einen politischen Prozess, das heißt Einfluss auf Barsani und die dortige Regionalregierung nehmen, dass sie sich aus der selbst gewählten Sackgasse wieder befreien. Solange das nicht geklärt ist, sollten wir das Mandat eindeutig ruhen lassen.
    Barenberg: Das heißt, können wir jetzt davon ausgehen, dass jetzt erst mal auf absehbare Zeit nicht mehr ausgebildet wird?
    Kiesewetter: Ich sehe das so. Viel wichtiger aber neben des Ruhenlassens der Ausbildung brauchen wir einen politischen Prozess, der die irakische Zentralregierung aus ihrer gewählten Sackgasse, aber vor allen Dingen die Kurden aus ihrer bringt. Konfliktpunkt ist Kirkuk. Kirkuk gehört laut Verfassung eben nicht zum kurdischen Gebiet. Deshalb sind die Peschmerga und die Kurden überhaupt gut beraten, Kirkuk nicht zu ihrem Hoheitsgebiet zu machen.
    Hier spielen natürlich Öl-Pipelines in die Türkei und andere Anbindungen, die Kirkuk von der Infrastruktur her bietet, eine wichtige Rolle. Aber hier muss, glaube ich, mit hohem Augenmaß und viel diplomatischem Geschick, auch mit deutscher Unterstützung ein gesichtswahrender Rückzug der Kurden ermöglicht werden. Und die Zentralregierung muss schauen, dass sie ihre Hoheit dort wieder wahrnimmt und nicht alles in die Hände schiitischer Milizen gibt.
    "Wir brauchen sehr rasch eine internationale Vermittlung"
    Barenberg: Wie groß ist denn die Gefahr, dass wir uns einem weiteren Bürgerkrieg im Irak, muss man ja schon fast sagen, jetzt nähern?
    Kiesewetter: Wenn die Peschmerga oder Barsani nicht einlenken, ist die Gefahr sehr groß. Das ist eindeutig so zu sehen. Die ersten Anzeichen sieht man ja auch. Ich glaube, wir brauchen sehr rasch eine internationale Vermittlung seitens der Vereinten Nationen.
    Barenberg: Was kann die Bundesregierung da tun?
    Kiesewetter: Die Bundesregierung hat ihren politischen Einfluss. Wie gesagt: Wir Deutschen sind dort auf Einladung der irakischen Zentralregierung. Ich gehe fest davon aus, dass unser Außenministerium in enger Abstimmung mit der kurdischen Zentralregierung ist, und wir werden sicherlich in nächster Zeit auch hören, welche Entwicklung hier zu erwarten ist. Aber wichtig ist, dass wir politischen Einfluss nehmen. Dazu gehört auch, uns eng abzustimmen mit Frankreich und Italien, die mit deutlich stärkerer Präsenz in der Region anwesend sind.
    "Geschäftsführende Bundesregierung muss hier tätig werden"
    Barenberg: Das heißt, das wird etwas sein, was auf die kommende Bundesregierung dann ganz dringend zukommt?
    Kiesewetter: Ja, aber hier ist Handlungsbedarf. Wir dürfen hier nicht zu lange warten. Und die geschäftsführende Bundesregierung muss hier tätig werden.
    Barenberg: ... sagt der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Danke für das Gespräch heute Mittag.
    Kiesewetter: Gerne, Herr Barenberg. Auf Wiederhören.
    Barenberg: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.