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"Bundeswehr ist keine reine Verteidigungsarmee"

Der SPD-Politiker Rainer Arnold räumt der Klage der Linksfraktion gegen den Tornado-Einsatz in Afghanistan wenig Erfolgschancen ein. Das Verfassungsgericht werde sicherlich auf seiner Linie bleiben, wonach die Fortentwicklung des NATO-Vertrages von der Rechtslage in Deutschland gedeckt sei, sagte Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Nach der heutigen Verhandlung in Karlsruhe wird das Urteil vermutlich erst in einigen Wochen verkündet.

Moderation: Stefan Heinlein | 18.04.2007
    Stefan Heinlein: Seit dem vergangenen Wochenende fliegen sie über dem Hindukusch. Die sechs deutschen Tornados sind in Afghanistan, um dort Taliban-Kämpfer aufzuspüren. Die deutschen Piloten fliegen auf Wunsch der NATO-Partner und mit politischer Rückendeckung des Bundestages, aber ob dieser Einsatz tatsächlich vom Grundgesetz abgedeckt ist, darüber entscheidet das Bundesverfassungsgericht. In Karlsruhe beginnt heute die Verhandlung über eine Klage der Linksfraktion. Sie zweifelt an der verfassungsrechtlichen Grundlage der heiklen NATO-Mission. Im Kern geht es um mehr als um den Tornado-Einsatz, sondern um die Interpretation des NATO-Vertrages. Eine juristische Entscheidung mit möglichen weit reichenden politischen Konsequenzen. ( MP3-Audio , Bericht von Gudula Geuther)

    Am Telefon begrüße ich jetzt den verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. Guten Morgen Herr Arnold!

    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Heinlein!

    Heinlein: Schweres juristisches Geschütz der Linksfraktion. Wir haben es gehört. Wie gelassen kann denn die Bundesregierung auf die Karlsruher Entscheidung dennoch warten?

    Arnold: Ich denke ein Blick auf das Urteil von 2001, wo die PDS ja bereits schon einmal eine Organklage eingereicht hatte, lässt uns in der Tat gelassen machen, weil das Verfassungsgericht sicherlich auf der damals vorgezeichneten Linie bleiben wird. Das Gericht hat damals festgestellt, dass die Fortentwicklung des NATO-Vertrages eben unterhalb der Schwelle ist, die in Deutschland eines zustimmungspflichtigen Gesetzes bedarf. Die sagen also, die NATO hat eine gewisse Elastizität, und es ist keine Vertragsänderung. Deshalb braucht Deutschland auch nicht nach Artikel 59 ein Zustimmungsgesetz.

    Heinlein: Aber die Linksfraktion sagt ja, dass diese Elastizität des NATO-Vertrages nun überstrapaziert wird. Ist denn nach Meinung Ihrer Fraktion, der SPD-Fraktion, der Tornado-Einsatz in Afghanistan durch den NATO-Vertrag noch hinlänglich abgedeckt?

    Arnold: Ja, das ist in der Tat so. Und das Verfassungsgericht hat bereits einmal bei diesem Urteil festgestellt, dass auch außerhalb des euro-atlantischen Raumes die NATO eingreifen darf. Hier heißt es nämlich, dass aus internen Krisen einzelner Staaten im und um den euro-atlantischen Raum die NATO tätig werden darf. Und es wird auch ausdrücklich der neuen globalen Risiken aus Sabotage, organisiertem Verbrechen, Terrorismus in diesem Urteil Rechnung getragen. Wir gehen also deshalb davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht auf dieser Linie bleiben wird, und Ähnliches gilt dann auch für den zweiten Teil der Organklage, nämlich der Kritik an OEF (Anm. d. Red.: Operation Enduring Freedom der NATO).

    Heinlein: Also hat der Afghanistan-Einsatz noch Bezug zur Sicherheit im transatlantischen Raum, so wie es der Text des NATO-Vertrages ja ausdrücklich vorsieht?

    Arnold: Das hat selbstverständlich Einfluss auf unsere Sicherheit. Aus zwei Gründen: ein zerfallener Staat - und das ist Afghanistan inzwischen -, der wieder aufgebaut werden muss, interessiert natürlich unsere Stabilitätsinteressen. Aber das stärkste Argument ist natürlich die Tatsache, sollten die Taliban dort die Macht wieder übernehmen, müssen wir damit rechnen, dass dieses Land auch wieder zum Rückzugsraum für internationale Terroristen wird, dass es dort wieder Ausbildungscamps gibt, in denen Tausende junge Männer ihr terroristisches schlimmes Handwerk erlernen. Deshalb sind unsere Sicherheitsinteressen unmittelbar tangiert.

    Heinlein: Heißt das für die Bundeswehr, Herr Arnold, dass deutsche Soldaten dann überall auf dieser Welt aktiv werden müssen, wenn die NATO-Partner es wünschen, oder gibt es Grenzen?

    Arnold: Natürlich gibt es Grenzen, eigene Grenzen, die wir uns selbst setzen. Die Frage ist: Was wollen wir? Die Frage ist aber auch: Was kann die Bundeswehr noch leisten? Im Übrigen müssen wir daran erinnern: es geht nicht darum, dass die NATO etwas über die deutschen Köpfe hinweg beschließt, sondern die Bundesrepublik ist Teil der NATO, und in der NATO herrscht Einstimmigkeitsprinzip. Die NATO kann nur handeln, wenn Deutschland in den NATO-Gremien auch zustimmt.

    Heinlein: Aber die Frage stellt sich dennoch, Herr Arnold: ist die NATO mit dieser Interpretation des NATO-Vertrages noch reines Verteidigungsbündnis und die Bundeswehr eine reine Verteidigungsarmee? Das ist ja ausdrücklich im NATO-Vertrag vorgesehen.

    Arnold: Nein. Sicherlich ist die Bundeswehr keine reine Verteidigungsarmee mehr. Es bleibt zwar auch bei dieser wichtigen Aufgabe der Landesverteidigung, aber klar ist: Landesverteidigung heißt Wahrnehmung innerhalb eines kollektiven Sicherheitssystems. Eine Verteidigung an den Grenzen Deutschlands wird es sicherlich nicht mehr geben. Wir sind wirklich von Freunden umgeben. Das heißt, wir werden unsere Landesverteidigung sicherlich auch dort wahrnehmen, wo die Risiken für uns mit entstehen. Das Verfassungsgericht hat das bereits ausdrücklich bestätigt, dass man im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme eben nicht nur das eigene Land verteidigt, sondern die Sicherheitsinteressen unserer Bündnispartner und die Sicherheitsinteressen im Grunde genommen auch der gesamten Welt, wenn die Vereinten Nationen, die NATO um so ein Engagement bitten. Exakt dies ist ja in Afghanistan geschehen. Sowohl was den OEF anlangt: Die UNO hat zuletzt im Herbst letzten Jahres gesagt, ISAF und OEF sollen eng kooperieren. Dieses ISAF-Mandat - dafür sind die Tornados ja weggeschickt - ist eine ausdrückliche Legitimation der UNO. Wenn dies der Fall ist, werden wir uns jedes Mal ernsthaft überlegen müssen, ob wir können, ob wir wollen, ob es der deutschen Interessenlage auch entspricht.

    Heinlein: Wäre es da nicht ehrlicher, wenn man sagen würde, die Aufgaben der NATO haben sich verändert, auch der Text des NATO-Vertrages - dieser Text stammt ja aus dem Jahre 1949 - muss tatsächlich weitergeschrieben, fortentwickelt werden?

    Arnold: Der Text ist ja im Prinzip mit der neuen Strategie der NATO fortentwickelt. Die Frage, ob hier das Vertragswerk insgesamt nicht mal neu gestaltet wird und damit selbstverständlich auch der Deutsche Bundestag über ein Zustimmungsgesetz eine Debatte führt und abstimmt, die Frage kann man durchaus stellen. Nur man muss sehen: Die Welt hat sich in den letzten Jahren ja nicht verändert, weil die NATO ihr strategisches Konzept geändert hat, sondern diese Veränderung des Konzeptes ist ein Reflex auf eine rasant veränderte Sicherheitslage durch Terrorismus und durch zerfallene Staaten am Rande Europas und damit auch in unserem Sicherheitsinteressenraum.

    Heinlein: Die Frage würde sich durchaus stellen, sagen Sie, Herr Arnold. Würden Sie es denn grundsätzlich begrüßen, wenn das Bundesverfassungsgericht in einem zu erwartenden Grundsatzurteil der Bundesregierung dann klare Grenzen vorgibt, was innerhalb dieses NATO-Vertrages an Bundeswehrauslandseinsätzen möglich ist und was nicht?

    Arnold: Nein, das würde ich nicht begrüßen, weil ich nicht glaube, dass wir diesen Streit, der letztlich von der PDS ja ein politischer ist. Das Verfassungsgericht ist ja nur ein Vehikel. Die PDS will ja nicht, dass wir den NATO-Vertrag ändern. Die PDS will ja gar nicht, dass wir teilnehmen an diesen internationalen Krisenbewältigungsoperationen. Insofern glaube ich, wir sollten den Streit tatsächlich dann politisch führen und nicht von den Richtern entscheiden lassen. Das Gericht wird sicherlich auch nicht Einfluss nehmen wollen auf die Vertragsgestaltung der NATO. Deutschland ist ja dort schließlich nicht alleine. Wir sind Partner und wir müssen immer wieder Kompromisse innerhalb der NATO-Gremien suchen.

    Heinlein: Also aus Sicht des Politikers sagen Sie, das Bundesverfassungsgericht darf nicht aktiv den außenpolitischen Spielraum der Bundesregierung begrenzen?

    Arnold: Ich halte es schon für wichtig, dass die Bundesregierung in einer sich rasant verändernden Welt auch den außenpolitischen Handlungsspielraum erhält, und ich bin sehr dafür, dass wir dann den Streit um die Sinnhaftigkeit solcher Mandate politisch in erster Linie führen und nicht juristisch. Ich sage noch einmal: Die PDS will ja keine juristische Regelung; die PDS will keine solchen Einsätze. Die haben ja bisher alles abgelehnt, auch die präventiven Einsätze in Mazedonien, auch den erfolgreichen Einsatz in Afrika im Kongo, der dort ein Stück weit geholfen hat weiterzukommen. All dies lehnt die PDS ab, und darüber sollten wir dann auch inhaltlich streiten.

    Heinlein: Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rainer Arnold heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Arnold, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Arnold: Schönen Tag wünsche ich noch. Auf Wiederhören.