Freitag, 19. April 2024

Archiv

Bundeswehr-Skandal in Pfullendorf
"Völlig unsoldatisches Verhalten"

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans Peter Bartels (SPD), hat die entwürdigende Behandlung von Rekruten im baden-württembergischen Pfullendorf als völlig inakzeptabel bezeichnet. Zwar sei die Vorbereitung auf gefährliche Außeneinsätze eine besondere Situation, doch dies keine Entschuldigung. Man müsse hart durchgreifen, sagte Bartels im DLF.

Hans-Peter Bartels im Gespräch mit Ute Meyer | 28.01.2017
    Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), am 24.01.2017 in der Bundespressekonferenz in Berlin.
    Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD) (picture alliance / Rainer Jensen/dpa)
    Es sei gut, dass entschieden worden sei, nach den Misshandlungsvorwürfen harte Konsequenzen zu ziehen. Wer als Soldat entlassen werden könne, etwa als Zeitsoldat, werde auch entlassen - "weil das ein völlig unsoldatisches Verhalten ist". Es habe zudem sechs Versetzungen gegeben, und es liefen bereits weitere Disziplinarmaßnahmen in dem Ausbildungszentrum.
    In jedem Fall sei es wichtig, dass in Pfullendorf ein Neuanfang gemacht werde, sagte Bartels (SPD) weiter. "Das wird sicher nicht ganz spannungsfrei ablaufen." Man müsse sich aber immer wieder klar machen, dass es nicht "zweierlei Bundeswehr" gebe - die Spezialbundeswehr für besonders harte Dinge und den Rest, in dem die Grundgesetze der inneren Führung gälten -, das dürfe nicht sein. "Es gibt nur eine Bundeswehr, und es gelten überall die gleichen Maßstäbe."
    Vorbereitung auf Auslandseinsätze ist keine Entschuldigung
    Man müsse die Ausbilder sensibilisieren und sich einer solchen Gefährdung in der Truppe noch bewusster werden. Es sei eben doch "eine besondere Situation, wenn man sich auf besonders harte Einsätze vorbereitet, aber das rechtfertigt in gar keiner Weise, Grundrechte außer Kraft zu setzen".
    Bartels betonte, er glaube nicht, dass die "großen Themen in der Bundeswehr" - zu wenig Personal und Material - dafür verantwortlich seien, wie man in der Ausbildung miteinander umgehe. Es sei eher eine Frage des Kulturwandels. Nach der Abschaffung der Wehrpflicht müsse man noch mehr auf den Umgang miteinander achten. Denn es bestehe die Gefahr, dass junge Leute "durch sinnlose militärische oder pseudomilitärische Rituale" abgeschreckt würden.
    Bartels äußerte auch "großes Verständnis" für die 40 Nato-Soldaten aus der Türkei, die in Deutschland Asyl beantragt hätten. Diese hätten angesichts der Meldungen von Verhaftungen Angst, in ihre Heimat zurückzukehren. In der Türkei herrsche "ein Klima der Angst und Unsicherheit", daher hätten sie jedes Recht auf ein Asylverfahren.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Ute Meyer: Am Telefon ist jetzt der Wehrbeauftragte der Bundeswehr, der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans Peter Bartels. Schönen guten Tag, Herr Bartels!
    Hans Peter Bartels: Ja, guten Tag, Frau Meyer!
    Meyer: Eine Soldatin, die an der Kaserne war, hat sich an Sie gewandt wegen dieser Sache. Was hat sie Ihnen genau berichtet?
    Bartels: Also sie wurde versetzt in die Ausbildungseinrichtung in Pfullendorf und hat da Praktiken erlebt in der Ausbildung oder als Pseudoausbildung, die ihr nicht nur merkwürdig vorkamen, sondern die sie für völlig inakzeptabel hielt, und daraufhin hat sie mir geschrieben, und, ich glaube, auch an die Ministerin, und wir sind der Sache dann hier vom Amt aus nachgegangen.
    Ich habe auch Ermittler da hingeschickt, die dort Gespräche geführt haben in Pfullendorf, und ich glaube, das hat schon ein bisschen was ins Rollen gebracht. Also mein Eindruck ist, man hat dann erst mal versucht, sich ein Bild zu machen, was kommt da eigentlich alles vor, und das letzte Ereignis, was wir jetzt hatten, waren diese Aufnahmerituale, wo Mannschaftssoldaten also untereinander quälerische Dinge getan haben mit oder ohne Alkohol, aber jedenfalls völlig unakzeptabel.
    Meyer: Erste Soldaten sind bereits entlassen worden. Die Ermittlungen an der Kaserne laufen aber noch. Womit rechnen Sie da noch?
    Bartels: Na es ist gut, dass der Generalvertreter, mit dem ich gestern auch Gelegenheit hatte zu sprechen, entschieden hat, dass dort wirklich hart durchgegriffen wird. Diejenigen, die man aus der Bundeswehr entlassen kann, also kürzer dienende Zeitsoldaten werden entlassen, weil das vollständig unsoldatisches Verhalten ist.
    Es hat Wegversetzungen gegeben, es wird Disziplinarmaßnahmen geben und es laufen inzwischen auch schon welche, und die Leitung der Schule müsste natürlich dann auch neu besetzt werden.
    "Es gibt nur eine Bundeswehr, und es gelten überall die gleichen Maßstäbe"
    Meyer: Sie haben es erwähnt, Führungskräfte sind versetzt worden. Reicht das aber bei diesen gravierenden Vorgängen? Können die an anderer Stelle nicht genauso weitermachen wie bisher?
    Bartels: Das muss man sehen, wie weit sie bewusst weggeguckt haben, wie weit ihnen also da an Verschulden nachzuweisen ist. In jedem Fall ist es erst mal gut, wenn man da einen Neuanfang macht in Pfullendorf. Das wird sicher nicht ganz spannungsfrei ablaufen, aber ich glaube, man muss auch grundsätzlich sich immer noch mal klarmachen, dass es nicht zweierlei Bundeswehr gibt, also die Spezialisten, Spezialbundeswehr für besonders harte Dinge.
    Und den Rest der Bundeswehr, wo das Grundgesetz und die Grundsätze der inneren Führung gelten, also das darf nicht sein. Es gibt nur eine Bundeswehr, und es gelten überall die gleichen Maßstäbe.
    Meyer: Trotzdem kommt es immer wieder verstärkt in Elitetruppen vor, wenn es denn mal Skandale gibt, und es gibt immer wieder Gewalt und auch obszöne Handlungen. Was muss sich denn ändern, damit Elite auch die Elite in Sachen Verhalten, Charakter und Kameradschaft ist?
    Bartels: Das geht los mit der Sensibilisierung der Ausbilder in diesen Schulen und am Ende dann auch in den Verbänden. Man muss sich dieser Gefährdung noch bewusster werden.
    Also es ist eben wahrscheinlich doch eine besondere Situation, wenn man sich auf besonders harte Einsätze vorbereitet, aber das rechtfertigt in gar keiner Weise, Grundrechte außer Kraft zu setzen. Also diese Sensibilisierung muss innerhalb der Bundeswehr stattfinden, und sie setzt bei den Ausbildern an.
    "Mit militärischer Ausbildung hat das, worüber wir jetzt reden, nichts zu tun"
    Meyer: Bereits im Jahr 2015 hat es in dieser Kaserne schon erste Hinweise auf schlechte Ausbildung und auf Mobbing gegen Frauen gegeben. Das hat keine Konsequenzen gegeben. Warum nicht?
    Bartels: Also das sagt mir im Moment nix. Wir sind 2016 aktiv geworden, nachdem man sich an uns gewandt hat, und ich denke, das hat jetzt Konsequenzen.
    Meyer: Vor einigen Tagen haben Sie Ihren Bericht über den Zustand der Bundeswehr vorgelegt. In dem schreiben Sie über zu wenig personalmangelnde Ausstattung und entsprechend schlechte Stimmung in der Truppe.
    Hat dieser Skandal, dieser Gewaltexzess auch etwas mit äußeren Umständen bei der Arbeit zu tun?
    Bartels: Das glaube ich nicht. Also die großen Themen in der Bundeswehr – zu wenig Personal, zu wenig Material – sind jetzt nicht verantwortlich dafür, wie man in der Ausbildung miteinander umgeht.
    Das ist mehr ein Thema, der Kulturwandel, den es vielleicht auch geben muss von der Wehrpflichtarmee zur freiwilligen Armee zu einer Armee, wo man noch mehr darauf achten muss, wie man sozusagen miteinander umgeht, was man in der Wehrpflichtarmee auch musste, aber noch stärker ist jetzt gefragt, wo ja auch junge Leute, die sowas lesen oder die neu in die Bundeswehr kommen, nicht abgeschreckt werden sollten durch sinnlose militärische oder pseudomilitärische Rituale. Also mit militärischer Ausbildung hat das, worüber wir jetzt reden, nichts zu tun, und es ist auch nicht soldatisch.
    "Jedem Asylantrag wird erst mal nachgegangen"
    Meyer: Herr Bartels, ich möchte zum Schluss unseres Gesprächs noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, und zwar sollen etwa 40 hochrangige NATO-Soldaten aus der Türkei in Deutschland Asyl beantragen. In der Türkei gelten sie als Terroristen und Unterstützer des Militärputsches gegen Erdogan. Wie, denken Sie, sollte mit diesen Soldaten verfahren werden?
    Bartels: Also jedem Asylantrag wird erst mal nachgegangen, und ich habe großes Verständnis dafür, dass türkische Soldaten, die jetzt in NATO-Einrichtungen außerhalb der Türkei stationiert sind, Angst haben, in die Türkei zurückzukehren, denn die Meldungen über Verhaftungen und über die Behandlung von Soldaten, die dann dort zu Geständnissen bewegt werden sollen, erschrecken doch sehr.
    Also es herrscht da ein Klima der Angst und Unsicherheit, und insofern - also die haben jedes Recht darauf, dass unser rechtstaatliches Asylverfahren ihnen offen steht.
    Meyer: Dankeschön! Hans Peter Bartels war das, Wehrbeauftragter des Bundestages von der SPD.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.