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Bundeswehr soll aus Afghanistan "möglichst bald nach Hause kommen"

Vor seinem Besuch in Afghanistan setzt Dirk Niebel die Strategie: Mehr ziviles Engagement zugunsten einer Rückkehr der "militärischen Komponente" sowie Geld für ausstiegswillige Taliban: Nur Versöhnung führe zu einer friedlichen Zukunft.

01.04.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit nunmehr acht Jahren engagiert sich Deutschland neben vielen anderen Staaten an der Stabilisierung Afghanistans: militärisch, bei der Polizeiausbildung, beim Wiederaufbau. Doch nach wie vor ist man meilenweit davon entfernt, konkret über einen Abzug der deutschen Soldaten, geschweige denn der zivilen Helfer nachzudenken, und das dürfte wohl eine Weile noch so bleiben. Beispiel Polizeiausbildung, die maßgeblich in deutschen Händen liegt. Hier gab Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei seiner Afghanistan-Reise offenherzig zu, dass man noch nicht von einer Erfolgsgeschichte sprechen könne, und er setzte hinzu, man dürfe die Maßstäbe auch nicht zu hoch setzen. Gilt das auch für den Wiederaufbau? – Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel von der FDP ist soeben zu einem nicht angekündigten Besuch in Afghanistan eingetroffen.
    Vor dieser Sendung haben wir Dirk Niebel bei einer Zwischenlandung in Termes (Usbekistan) erreicht. Zunächst habe ich ihn gefragt, was der Zweck seiner Reise ist.

    Dirk Niebel: Ich bin nach Afghanistan gefahren, um neben politischen Gesprächen für die Umsetzung unserer neuen Afghanistan-Strategie mir auch Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit anzugucken und insbesondere in verschiedenen Orten Afghanistans zu versuchen, mir ein Bild über die zu verbessernde Koordinierung des deutschen Auftritts in Afghanistan insgesamt zu machen.

    Heckmann: Der Bundesinnenminister, Herr de Maizière, der war ja in den vergangenen Tagen auch in Afghanistan und hat gesagt, die Polizeiausbildung, die sei noch keine Erfolgsgeschichte. Gilt das auch für den Wiederaufbau in Afghanistan und für die deutsche Hilfe?

    Niebel: Ausdrücklich nicht! Wir haben in der Vergangenheit unter den letzten beiden Regierungen auch – und das will ich ausdrücklich sagen – Hervorragendes hier geleistet. Man erkennt das daran, dass Anfang des Jahres drei große Fernsehsender aus Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Deutschland eine Umfrage gemacht haben, wo die afghanischen Bürger zu 70 Prozent gesagt haben, dass sich ihre Lebensbedingungen verbessert haben, und zu 70 Prozent, dass sie davon ausgehen, dass sie sich auch noch weiter verbessern werden. Das heißt, wir haben schon viele Erfolge errungen, die allerdings oftmals in der medialen Berichterstattung leider hinter dem Militärischen zurückgefallen sind. Deswegen glaube ich und hoffe ich auch, dass durch diesen Besuch deutlich wird, dass die Bundesrepublik Deutschland einen Strategiewechsel durchführt, dass wir ein vermehrtes Gewicht auf den zivilen Aufbau legen, damit die militärische Komponente möglichst bald nach Hause kommen kann.

    Heckmann: Von Stabilität kann in Afghanistan aber dennoch keine Rede sein. Was ist da schief gelaufen?

    Niebel: Die Frage der Stabilität und der Sicherheit stellt sich von Ort zu Ort, von Region zu Region sehr unterschiedlich. Es gibt durchaus sichere Regionen in Afghanistan und es bedarf auch eines Minimums an Sicherheit, um entwicklungspolitisch arbeiten zu können, weil sie sich mit Entwicklungspolitik keine Sicherheit erkaufen können. Deswegen bedarf es eines vernünftigen vernetzten Ansatzes aller Beteiligten hier, und immer dann, wenn ein gewisses Maß an Sicherheit vorhanden ist, bedarf es der zivilen Komponente durch die Entwicklungspolitik, dafür zu sorgen, dass sich die Lebensbedingungen verbessern, dass die Menschen eine echte Friedensdividende bekommen. In der Vergangenheit war es leider oftmals so, wenn unsere Streitkräfte in irgendeinen Ort gekommen sind und man eine Gesprächsebene gefunden hat und die Bedürfnisse der Bevölkerung beschrieben worden sind, dass es oft zu lange gedauert hat, bis die Umsetzung, die Abwendung der Mängel ermöglicht worden ist, und wir wollen jetzt schneller werden, dafür haben wir neue flexible Instrumente eingeführt.

    Heckmann: Sie wollen ja in Zukunft die Entwicklungshilfe in Afghanistan dort konzentrieren, wo die Bundeswehr vor Ort ist. Jetzt kritisieren Hilfsorganisationen wie zum Beispiel Caritas International, dass das ein fataler Irrweg sei, denn zivile Helfer, die würden zur Zielscheibe von Terroristen, je näher sie den Kontakt eben mit dem Militär suchten. Setzen Sie also die Sicherheit der Aufbauhelfer aufs Spiel?

    Niebel: Überhaupt nicht, keinesfalls! Die Bundesrepublik Deutschland hat ein gemeinsames Ziel. Wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen in Afghanistan in Sicherheit leben können, dass sich ihre Lebensbedingungen verbessern und dass eine eigenständige Regierungsführung die Aufgaben der ausländischen Kräfte komplett übernehmen kann. Deswegen bedarf es eines vernetzten Ansatzes der Sicherheit und aus diesem Grund hat die Bundesregierung entschieden, dass die zusätzlichen Mittel – immerhin allein 250 Millionen Euro pro Jahr nur aus meinem Ministerium – auch dort eingesetzt werden, wo wir Verantwortung für die Sicherheit tragen, damit diese Friedensdividende erstens die Lebensbedingungen der Bürger vor Ort verbessert und zweitens auch positiv ausstrahlt auf Regionen, die weniger sicher sind.

    Heckmann: Und die Warnungen der Organisationen, die schlagen Sie in den Wind?

    Niebel: Ich hätte es Ihnen gerade beantwortet. Wer sich nicht daran beteiligen will, im Norden Afghanistans Projekte durchzuführen, der muss das auch nicht. Niemand wird dazu verpflichtet. Aber die Entscheidung, dass diese zusätzlichen Mittel dort eingesetzt werden, wo wir Verantwortung für die Sicherheit tragen, die ist richtig und die trage ich auch voll und ganz mit.

    Heckmann: Projekte nur noch da, wo die Bundeswehr präsent ist. Was ist denn mit den Regionen, wo die Bundeswehr eben nicht vor Ort ist? Ist das Leben der Menschen dort weniger wert?

    Niebel: Nicht Projekte nur noch da, wo die Bundeswehr ist, sondern Projekte da, wo die Bundeswehr Verantwortung für die Sicherheit trägt. Die Strategie im militärischen Bereich geht davon aus, dass wir weiter in die Fläche gehen, und der Aufbau in Afghanistan muss auch weiter in der Fläche sein. Wir haben mit den anderen internationalen Freunden uns Afghanistan aufgeteilt. Es gibt verschiedene Verantwortungsbereiche. Deutschland trägt Verantwortung für fünf große Provinzen im Norden Afghanistans mit einer Bevölkerung von fast fünf Millionen Menschen, und das ist etwas, worum man sich schon sehr kümmern muss, und das deutsche Steuergeld wird genau dafür eingesetzt, wo wir die Verantwortung übernommen haben.

    Heckmann: Herr Niebel Ex-SPD-Chef Kurt Beck, der hat vor Jahren gefordert oder ins Spiel gebracht, Verhandlungen mit den gemäßigten Taliban zu führen, und wurde dafür ausgelacht. Wie ist Ihre Position in dieser Frage?

    Niebel: Die Bundesregierung hat ja unter anderem auch einen Fonds eingerichtet mit 50 Millionen Euro, der eben dazu dienen soll, dass Menschen, die nicht durch und durch in der Wolle gefärbte Terroristen sind, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zum Beispiel zu den Taliban gekommen sind, eine Rückkehrchance in die Gesellschaft haben – nicht durch ein Handgeld oder Kopfgeld oder Ähnliches, sondern durch Perspektiven zum Beispiel einer beruflichen Ausbildung, der Möglichkeit, ein Einkommen zu erzielen, "Cash for work"-Programme. Das geht Hand in Hand mit den Projekten der deutschen Entwicklungspolitik.

    Heckmann: Haben Sie schon Informationen darüber, ob diese Angebote überhaupt angenommen werden?

    Niebel: Die Informationen können wir noch nicht haben, weil wir diese Angebote ja noch nicht implementiert haben. Der Haushalt ist ja erst in der vergangenen Woche im Deutschen Bundesrat beschlossen worden und muss jetzt noch in Kraft gesetzt werden. Aber ich bin fest davon überzeugt – und das zeigt sich ja auch in anderen Post-Konfliktstaaten -, dass eben dieser Versöhnungsaspekt das Entscheidende ist. Schauen Sie sich mal Ruanda an nach dem Genozid vor 15 Jahren oder Mosambik nach dem Bürgerkrieg vor 15 Jahren oder Namibia nach dem Bürgerkrieg vor 20 Jahren. Es ist immer wieder das gleiche Schema: Wenn man auf Versöhnung setzt, dann ist es zwar ein langer, schwerer Weg, aber es ist der einzige Weg, der zu einer friedlichen Zukunft führt.

    Heckmann: Sie sitzen gerade an einer Reform der Entwicklungshilfestrukturen. Sie möchten die GTZ, also die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, und den Deutschen Entwicklungsdienst mit der Bildungsagentur Inwent vereinigen. Wie wird sich das konkret auf die Lage in Afghanistan auswirken?

    Niebel: Die drei Durchführungsorganisationen für die technische Zusammenarbeit der staatlichen Entwicklungshilfe arbeiten heute oftmals nebeneinander her. Wenn sie die drei Organisationen zusammenlegen, so wie wir das vorschlagen, dann können sie einen zielgerichteten Einsatz mit weniger Doppelstrukturen organisieren, sie können effizienter und wirksamer werden und haben zudem noch den großen Vorteil, dass sie weniger Ansprechpartner für unsere Partnerländer haben. Insgesamt wird es auf jeden Fall für uns einfacher und preiswerter, das entwicklungspolitische Engagement durchzuführen, und für die Länder, mit denen wir zusammenarbeiten, wesentlich effektiver und auch wesentlich einfacher, diese entsprechenden Mittel umzusetzen.

    Heckmann: Ihre Kritiker sagen, den großen Wurf, nämlich die Verschmelzung mit der KfW, haben Sie nicht gewagt.

    Niebel: Ich glaube, die drei Organisationen der technischen Zusammenarbeit zusammenzuführen, ist schon mal eine sehr große Aufgabe. Wenn wir dann noch die Schnittstellen mit der finanziellen Zusammenarbeit besser koordinieren, als das heute der Fall ist, dann sind wir auf einem sehr guten Weg, und ich muss ja nicht alles das wiederholen, woran meine Vorgänger gescheitert sind.

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