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Bundeswehr
Woran die Rüstungsbeschaffung krankt

Ob Eurofighter oder Hubschrauber, die am Boden bleiben müssen: Affären um Rüstungsprojekte gibt es so lange wie die Bundeswehr selbst. Neu jedoch sind besorgte Anfragen aus der NATO nach der deutschen Waffenfähigkeit. Was läuft bei der Rüstungsbeschaffung der Bundeswehr schief?

Von Rolf Clement | 27.11.2014
    Ein Bundeswehrsoldat schaut durch die Zieleinrichtung einer 20-Millimeter Maschinenkanone.
    Auch Soldaten fragen sich: Warum läuft so viel schief bei der Bundeswehr? (picture alliance / dpa / DB Johannes Eisele (Pool))
    "An der Misere, die dieser Tage landauf, landab bejammert wird, dem Ausrüstungszustand der Bundeswehr, trägt die Industrie ihren Teil Verantwortung, das ist gar keine Frage. Wir haben Zusagen nicht eingehalten, Erwartungen enttäuscht, und in vielen Fällen Mehrkosten verursacht."
    Thomas Enders, der Airbus-Vorstandsvorsitzende, gestand in diesen Tagen zu: Die Ursachen für die Beschaffungsprobleme bei der Bundeswehr liegen auch - wohlgemerkt auch - bei der Industrie.
    Der Manager eines der größten deutschen Rüstungsunternehmen reagierte damit auf die Diskussion um Beschaffung und Zustand von militärischem Großgerät bei der Bundeswehr, die mit hämischem Unterton auch die Stammtische erreicht hatte.
    Vergangenes Jahr stoppte der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière die weitere Entwicklung der Aufklärungsdrohne Eurohawk wegen Zulassungsproblemen, was ihn selbst in politische Bedrängnis brachte. Seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen entließ nach Amtsantritt zwei wichtige Rüstungsverantwortliche wegen Missmanagements.
    Ein Schlaglicht auf die Einsatztauglichkeit von Bundeswehrgerät warf auch die pannenreiche Lieferung von Waffen an die Kurden im September, weil mehrere Exemplare des in die Jahre gekommenen Transportfliegers Transall am Boden stehen blieben.
    Bekommt die Bundeswehr die Waffen, die sie bestellt hat, und welche Systeme funktionieren überhaupt noch? Diese Fragen beschäftigten spätestens da nicht nur die nationale Szene, sondern führten auch im NATO-Bündnis zu halboffiziellen Anfragen - ein Zeichen, dass man sich dort Sorgen um den deutschen Partner machte.
    "Zu spät, zu teuer und mit Mängeln" - so lautete die Antwort, die sich Verteidigungsministerin von der Leyen diesen Oktober ausstellen ließ. Sie hatte seit dem Frühjahr einige wichtige Rüstungsbeschaffungen durch externe Wirtschaftsberater untersuchen lassen. Der Befund wunderte eigentlich niemanden - nur steht es jetzt auch in einem offiziellen Dokument: Diese Projekte laufen nicht rund. Immer weniger Gerät der Bundeswehr, so wurde deutlich, ist voll einsatzbereit. Die Fehler liegen dabei in der Administration ebenso wie in der Industrie. Insgesamt ein Ergebnis, für das von der Leyen ein klares Wort fand:
    Folgenschwere Sonderwünsche
    Affären um Rüstungsprojekte gibt es so lange wie die Bundeswehr selbst. Es spielen heute ganz ähnliche Ursachen eine Rolle wie schon beim ersten großen Skandal. Als die Bundeswehr Ende der 1950er Jahre entschied, das US-Kampfflugzeug Starfighter anzuschaffen, verlangte die deutsche Luftwaffe einige Spezifikationen, die den F 104 zu einem F 104 G, G für Germany, machten. Experten sagen, es waren folgenschwere Sonderwünsche: Diese Spezifikationen hätten dazu geführt, dass der Starfighter absturzanfällig wurde. Tatsächlich starben in den 1960er Jahren zahlreiche Piloten der Bundeswehr bei Starfighter-Abstürzen.
    Immer wieder kam es bei Rüstungsprojekten auch zu Preisexplosionen. In den 1980er Jahren wollte der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner bei der Planung eines neuen Kampfflugzeugs Lehren aus früheren Erfahrungen ziehen. Bei der Entwicklung des Jägers 90, der später als Eurofighter eingeführt wurde, sollte schon in den ersten Vertrag eine Kostenobergrenze aufgenommen werden, die nur mit der allgemeinen Preissteigerung wachsen sollte.
    Dieser Plan Wörners ging nicht auf. Schon weil das Flugzeug von vier Ländern gemeinsam - Deutschland, Spanien, Italien und Großbritannien - entwickelt wurde, konnte eine solche Grenze nicht fixiert werden.
    Hinzu kamen ab 1990 der Fall der Mauer und die Umwälzungen in Europa: Der mittlerweile amtierende Verteidigungsminister Volker Rühe wollte aus dem Projekt aussteigen, nicht jeder erkannte damals noch den Sinn eines Kampfflugzeugs. Doch wäre die Konventionalstrafe teurer geworden als die Beschaffung.
    Das Ergebnis war, dass jedes der vier Länder je nach strategischer Ausrichtung ein anderes Modell des Eurofighters bekam.
    Über dem Bundeswehr-Flughafen Rostock-Laage (Mecklenburg-Vorpommern) trainiert am 06.03.2014 ein Eurofighter des Jagdgeschwaders 73 "Steinhoff".
    Unter anderem das Großprojekt "Eurofighter" hat sich extrem verzögert. (Bernd Wüstneck, dpa)
    Während der schon aus politischen Gründen oft recht langen Entwicklungsphase werden Waffensysteme immer wieder modernisiert. Wie sich das auswirkt, berichtete der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, der SPD-Abgeordnete Hans-Peter Bartels, kürzlich am Beispiel des Kampfhubschraubers Tiger:
    "Also, ehrlich gesagt, ich habe nicht gewusst, dass die erste Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich darüber 1974 unterschrieben worden ist - und nach 40 Jahren kann man noch keine Waffen darunter hängen - aber demnächst."
    Ein neues Fluggerät, das nicht auf dem heutigen Stand ist, will keiner. Doch die Überarbeitung kostet Zeit und Geld.
    Ein gutes Beispiel für die Folgen von Nachrüstwünschen liefert auch der Schützenpanzer Puma. Er wurde zu Zeiten der rot-grünen Koalition beschlossen, doch während des Baus stellten sich Planungsmängel heraus. Mit fünf Rädern konnte der Panzer seine Aufgaben nicht erfüllen, also musste er sechs Räder bekommen. Kurz vor der geplanten Einführung stellte die Führung des Heeres dann fest, dass der Puma Schwarz-weiß-Bildschirme hatte, während der Marder, der ausgemusterte Vorläufer des Puma, zuletzt einen farbigen Bildschirm besaß. Den sollte doch bitte auch der Puma bekommen. Dafür aber sei es zu spät, hieß es, die ersten Pumas stünden unmittelbar vor der Auslieferung. Erst beim zweiten Los, also der zweiten Bau- und Lieferphase, könne der Farbbildschirm eingebaut werden - gegen Aufpreis. Diese Entscheidung fiel übrigens in diesem Jahr - unter Ursula von der Leyen.
    Ursachen für die Misere liegen auf zwei Seiten, bei der Industrie wie im Verteidigungsministerium. Manche meinen, beiden fehle das Verständnis füreinander. Die Angeordnete der Grünen im Bundestag, Katja Keul, findet dagegen, der Administration fehle bei den Verhandlungen der richtige Abstand zur Industrie.
    "Das ist, glaube ich, das Grundübel, dass es dort eine - um das Wort des Bundesrechnungshofs zu benutzen - Blauäugigkeit aufseiten des Ministeriums gibt, wenn es darum geht, Milliardenverträge abzuschließen. (...)
    Man kennt sich gut, aber man hat dabei auch aus den Augen verloren, (...) dass man da blind, auch blauäugig auf Angaben vertraut, weil man übersieht, dass man da Interessen vertreten muss."
    Aufseiten der Industrie verhandeln nicht mehr wie früher Techniker
    Verhandeln da die falschen Leute? Das Ministerium wird oft von Fachleuten, begleitet von Juristen, vertreten. Die Juristen im Verteidigungsministerium haben intern nicht den besten Ruf. Aufseiten der Industrie, so berichten Bundeswehr-Insider, verhandeln zunehmend Juristen und Kaufleute, nicht mehr allerdings Techniker wie früher. Das führt dazu, dass nach dem Motto abgeschlossen wird, das Airbus-Chef Enders so formuliert:
    "Wir haben ja sechs Jahre Zeit, wir kriegen das schon irgendwie hin, Hauptsache Auftragseingang, dann schauen wir weiter."
    Für Katja Keul ergibt sich daraus eine wichtige Forderung:
    "Ich würde mir wünschen, dass jetzt das Ministerium das Rückgrat zeigt, und mit der Industrie auch so verhandelt wie es sein muss. Man sitzt natürlich auf alten Verträgen, aus denen man so schnell auch nicht rauskommt. Aber für die Zukunft wünsche ich mir jetzt schon, dass die Verteidigungsministerin einen Vertrag, wie er bei Eurohawk geschlossen worden ist, nicht wieder schließt."
    Im Verteidigungsministerium wurde im vergangenen Jahr der Planungsprozess gestrafft. Noch unter dem Minister de Maizière wurde die sogenannte Materialverantwortung von den Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe und Marine in das Ministerium verlagert, das nun die Planung erstellt. Das weitere Management liegt dann beim Amt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr. 99 Prozent der rund 7.700 Beschaffungs-Verträge im Jahr laufen laut Insider-Angaben völlig unproblematisch und erreichen die die Spitze des Ministeriums nicht. Doch es sind die Großprojekte, die Ärger bereiten. Airbus-Chef Thomas Enders schildert auf der Berliner Handelsblattkonferenz, wie der Vertrag über den seit Jahren erwarteten Militärtransporter A 400 M entstanden ist:
    Ein Militärtransporter vom Typ Airbus A400M in einer Fertigungshalle in Toulouse im Südwesten Frankreichs.
    Ein Militärtransporter vom Typ Airbus A400M in einer Fertigungshalle in Toulouse im Südwesten Frankreichs. (AFP PHOTO / Remy Gabalda)
    "Beide Seiten, und das ist das Typische daran, haben sich hier in sehr kurzfristigem Denken sozusagen gegenseitig befruchtet. Für uns das Thema: Hauptsache Auftragseingang. Für die politische Seite die Möglichkeit, sich hinzustellen und zu sagen: Ha! Da haben wir einen tollen Deal mit der Industrie gemacht, wir haben denen ganz toughe Bedingungen gestellt, finanziell, und auf der Zeitachse. Sehr kurzfristig. Wenn man auf diese Art und Weise unehrlich miteinander umgeht, muss man sich nicht wundern, wenn sich das nach einigen Jahren für beide Seiten als eine Art Pyrrhus-Sieg herausstellt."
    Der Airbus-Fall ist beispielhaft. Sieben Regierungen mussten auf einen Nenner, die Vorstellungen von sieben Luftwaffen unter einen Hut gebracht werden. Die Regierungen dachten, da könne man ein Flugzeug auf der Basis eines bereits entwickelten Zivilflugzeugs bekommen - nur mit deutlich mehr Elektronik. Die Industrie wollte nach jahrelangen Verhandlungen endlich abschließen. Und dann passierte laut Thomas Enders Folgendes:
    "Wir haben Bedingungen akzeptiert, die wir im Nachhinein nicht hätten akzeptieren sollen. Lassen Sie mich das einmal so formulieren: Sehr ambitionierte Budget-, sehr ambitionierte Zeitpläne und viele Sonderwünsche der sieben Kunden A 400 M."
    Die Besteller wollten, dass europäische Technologie eingebaut wird. Enders:
    "Das herausragende Beispiel ist sicherlich die - ja, eigentlich - Auflage von drei Staatschefs, kein Triebwerk von Übersee in diesen Flieger einzubauen, sondern ein Triebwerk im europäischen Konsortium zu entwickeln. Das hört sich gut an, aber das Konsortium gab es damals überhaupt nicht."
    Das gestraffte Management bei der Bundeswehr soll nun dafür sorgen, dass Projektteams ein Waffensystem über den gesamten Lebensweg, wie es in den Dokumenten heißt, verantwortlich begleiten. Nicht jeder Schritt muss mehr im Ministerium unterzeichnet werden - eine Revolution in der Administration, deren Bewährung aber noch aussteht. Ursula von der Leyen hat die neue Rüstungsstaatsekretärin Katrin Suder an die Spitze dieser Projektbegleitung gesetzt:
    "Deshalb ist die Rüstungsstaatsekretärin Frau Dr. Suder jetzt bildlich gesprochen im Maschinenraum, sitzt mit den Projektleitern regelmäßig zusammen und kaut die Dinge durch, denn genau da sitzt das Detailwissen über die Projekte. Es muss in dem Moment, wo Probleme kommen, und es sind immer Probleme und Risiken da, keine Frage, schnell und ungeschminkt auch nach oben kommen."
    Natürlich weiß die Ministerin, dass bestimmte Informationen auf dem Weg nach oben in der Hierarchie geschönt werden. Schlechte Nachrichten will keiner weitergeben.
    "Als ich vor zehn Monaten begonnen habe, im Rüstungsbereich nachzufragen, da war der häufigste Satz, der mir begegnet ist: Frau Ministerin, das wollen Sie gar nicht wissen."
    Sie fordert eine neue Kultur der Transparenz, eine Kultur der Fehlermeldung nach oben. Auch das wäre für eine Administration, zumal für das Verteidigungsministerium, eine Revolution.
    Das Musterbeispiel dafür, wie es bisher schieflief, bietet die Drohne Eurohawk. Eigentlich waren Bundeswehr und Industrie vor allem am Aufklärungsradar interessiert, das in das Fluggerät eingebaut werden sollte. Dass die Drohne in Deutschland eine für den zivilen Luftverkehr taugliche Lizenz brauchte, wurde von allen Beteiligten lange ignoriert, weil das in anderen NATO-Ländern in dieser Form auch unbekannt ist. So staunten die Systembetreuer bei der Bundeswehr, als sie auf dieses Problem stießen. Als klar wurde, dass eine Lösung des Zulassungsproblems sehr teuer würde, musste man Minister de Maiziere reinen Wein einschenken. Er stoppte das Projekt. Inzwischen heißt es, der Eurohawk werde wieder belebt, weil jede Alternative noch kostspieliger würde.
    Die Aufklärungsdrohne der Bundeswehr auf der Internationalen Luftfahrausstellung in Berlin
    Die Aufklärungsdrohne der Bundeswehr auf der Internationalen Luftfahrausstellung in Berlin (Bundeswehr/Wilke)
    Doch nicht nur der Informationsfluss, auch der Abstimmungsbedarf im Ministerium hemmte effiziente Entscheidungen bislang. Im Ministerium müssen Rüstungsprojekt und Haushaltslage harmonisiert werden. Die Haushaltsabteilung verfolgt den Fortgang unter dem Aspekt, dass die für ein Kalenderjahr vorgesehenen Mittel auch abfließen. Denn zum Jahresende fallen nicht ausgegebene Mittel an den Finanzminister zurück.
    Nun sind im Verteidigungsministerium inzwischen sowohl die Rüstungs-Staatssekretärin als auch der Staatssekretär für den Haushalt Neulinge: Katrin Suder kommt aus der Unternehmensberatung McKinsey. Den Haushaltsstaatsekretär Gerd Hoofe hat Ministerin von der Leyen aus dem Arbeitsministerium mitgebracht. Einziger Bundeswehrkenner in der Führung ist nun Generalinspekteur Volker Wieker, der für die Planung zuständig ist. Die drei müssen jetzt beweisen, dass Rüstungsbeschaffung auch anders geht. Von der Leyen:
    "Die Inspekteure berichten jetzt direkt dem Lenkungsausschuss, in dem der Generalinspekteur mit den beiden beamteten Staatssekretären - dem Haushaltsstaatsekretär und der Rüstungsstaatssekretärin - sitzt."
    Die Ministerin kennt die Interessenunterschiede, und sie beklagt das starre Haushaltsrecht.
    "Idealiter müssten wir Rückstellungen machen. Dann könnte man sagen, ob das jetzt im Dezember kommt, der A 400 M, was fest versprochen ist, oder am 1. Januar, was das andere Haushaltsjahr wäre, ist an sich egal. Nur haushälterisch spielt das eine Rolle. Deshalb hat dieses Ressort immer das Problem, dass man parallel mehrfach planen muss. Und es braucht nur ein großes Rüstungsprojekt sich zu verzögern oder auszufallen, dann haben sie plötzlich der Vorwurf kommt, ihr gebt ja gar nicht das Geld aus, was ihr eingestellt habt."
    Karl-Theodor zu Guttenberg soll diese Praxis gestoppt
    Doch obwohl demnach eher das System als das Personal am Rückfluss bereitgestellter Mittel schuld ist, hat Ursula von der Leyen zum Jahresende auch ihren Haushaltsdirektor vor die Tür gesetzt und den Nachfolger, wie man hört, aus dem Arbeitsministerium abgeworben. Er muss sich nun in die Besonderheiten des Wehretats einarbeiten. Ältere Insider erzählen hinter vorgehaltener Hand, dass das Verteidigungsministerium seine Überschüsse bis vor einiger Zeit kurz vor der Jahreswende an eine Rüstungsagentur überwies, von wo sie dann nach dem Jahreswechsel wieder zurückkamen. Man hatte sich dann eben "vertan", heißt es vielsagend. Karl-Theodor zu Guttenberg soll diese Praxis in seiner Amtszeit gestoppt haben. Seitdem freut sich der Finanzminister über nicht ausgegebene Mittel im Verteidigungsetat.
    Geldmangel ist auch eine Ursache für die fehlende Einsatzbereitschaft einiger Großgeräte in diesen Wochen: Ersatzteile fehlen. Und dann sind da aber auch die hohen Anforderungen, die Ursula von der Leyen so benennt:
    Ursula von der Leyen will gezielt um Fachpersonal für die Bundswehr werben
    Ursula von der Leyen will gezielt um Fachpersonal für die Bundswehr werben (dpa / picture-alliance / Rainer Jensen)
    "Wenn ein Kratzer auf der Windschutzscheibe ist, wird die ganze Flotte gegroundet."
    Waffensysteme der Bundeswehr gelten nur dann als voll einsatzbereit, wenn sie auch am Straßenverkehr in Deutschland teilnehmen können. In keinem Einsatz werden solche Anforderungen gestellt.
    Wenn sich Beschaffungen verzögern, heißt das: Eigentlich überaltetes, von der Leyen spricht von "betagtem" Material, wird im Dienst gehalten. Das erhöht wiederum die Instandsetzungskosten. Ein kritischer Punkt ist die Bevorratung von Ersatzteilen:
    "Die ist runtergefahren worden, die muss wieder hochgefahren werden, und haben wir genug Techniker und Prüfer, um die Wartung und Instandsetzung des bestehenden Materials zu bewerkstelligen?"
    Seitdem die Pflege der Ersatzteil-Vorräte großenteils von der Bundeswehr auf die Industrie übergegangen ist, lagern immer weniger Ersatzteile in den Kasernen. Damit hat die Bundeswehr keinen präzisen Überblick über das Material, es kommt zu Nachschubproblemen. Die Mängel sind für Generalinspekteur Volker Wieker nicht ganz neu:
    "Sie sind allerdings auch nicht über Nacht entstanden. Seit gut eineinhalb Jahrzehnten erleben wir spürbare Eingriffe in die mittelfristige Finanzplanung. Umplanung und Priorisierung durch weitereichende wechselnde Einsatzerfordernisse, Nutzungsverlängerung unserer Hauptwaffensysteme durch Verzögerung bei Bestellung und Auslieferung, all das hat insgesamt zu Verdrängungseffekten geführt und uns in eine Situation manövriert, in der wir uns Handlungsspielräume erst wieder mühsam erarbeiten müssen."
    Schon eine von Verteidigungsminister Rudolf Scharping beauftragte Studie stellte 1998 fest, dass die Bundeswehr um fünf Milliarden Mark, also rund 2.5 Milliarden Euro, pro Jahr unterfinanziert ist, wenn man Aufgaben und Ausstattung nebeneinander legt. Geändert hat diese Erkenntnis jedoch nichts, im Gegenteil. Ursula von der Leyen erinnert sich an einen Auftritt ihres Vor-Vor-Vorgängers zu Guttenberg in der Sparklausur des Kabinetts vor knapp fünf Jahren:
    "Ich war Mitglied des Kabinetts bereits, als ein Acht-Milliarden-Sparversprechen ausgesprochen worden ist."
    Deutsche Soldaten sind in Kahramanmaras in der Türkei vor einer "Patriot" Feuereinheit angetreten
    Deutsche Soldaten sind in Kahramanmaras in der Türkei vor einer "Patriot" Feuereinheit angetreten (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Jetzt ging die Luftwaffe so weit zu erklären, der Eurofighter sei nicht voll für die NATO einsatzbereit. Davon will Generalinspekteur Wieker allerdings nichts wissen.
    "Wir sind in der Lage, unsere aktuellen Einsatzverpflichtungen zu erfüllen. Wir sind in der Lage, unsere Dauereinsatzaufgaben im In- und Ausland zu erfüllen. Wir verfügen durchgängig über ein abrufbereites Kräftedispositiv zur nationalen Krisenvorsorge und wir sind auch im Stande, kurzfristig auf neue Herausforderungen zu reagieren."
    Es gibt also keine einfache Formel dafür, warum die Rüstungsbeschaffung in Deutschland regelmäßig Affären produziert.
    Viele organisatorische Veränderungen sind auf dem Weg, aber es geht auch um ganz praktische Arbeitsweisen. Thomas Enders von Airbus nennt es mehr Ehrlichkeit im Umgang miteinander, Ursula von der Leyen eine neue Transparenzkultur. Und der Wehrbeauftragte Hellmuth Königshaus verweist darauf, wie wichtig gutes Material auch für die Motivation ist, überhaupt zur Bundeswehr zu gehen:
    "Der Soldat hat auch keine Lust, immer nur an alten Geräten herumzubasteln. Der Soldat will nicht in einem Technikmuseum arbeiten."