Donnerstag, 25. April 2024

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Bundeswehrverband
"Keine Reform in der Reform"

"Wir haben noch aus den alten Reformen genügend Überkipper", sagt der scheidende Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, im Interview der Woche. Nach wechselhaften Jahren mit drei Verteidigungsministern in fünf Jahren brauche die Bundeswehr Zeit, um sich zu konsolidieren.

Ulrich Kirsch im Gespräch mit Rolf Clement | 24.11.2013
    Rolf Clement: Herr Kirsch, Sie waren praktisch in den letzten Tagen im Amt als Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, als die neue Koalitionsvereinbarung abgesegnet worden ist. Wie bewerten Sie die?
    Ulrich Kirsch: Also diese Koalitionsvereinbarung beinhaltet eine Menge unserer Forderungen als Berufsverband. Zum Beispiel geht es um die Wahlfreiheit, wenn man umzieht, dass man sich eben auch anders entscheiden kann, dass man eben pendelt und dass diese Wahlfreiheit halt eben auch durchs Gesetz geregelt ist. Das ist ein Punkt neben vielen anderen. Das steht jetzt so drin und das ist berücksichtigt. Ich denke, da können wir aus den sozialen Gesichtspunkten, die so ein Berufsverband wie der unsrige natürlich immer ganz nach vorne stellt, schon ganz zufrieden mit sein. Das heißt, wie haben unsere Argumente offensichtlich auch so scharf weitergegeben, dass das angenommen werden konnte.
    Rolf Clement: Wir hatten ja bis vor vier Jahren schon mal eine Große Koalition. Welche Erfahrungen haben Sie denn damals mit einer Großen Koalition gemacht als Interessenvertreter der Soldaten?
    Ulrich Kirsch: Ja, das war eine spannende Zeit für uns. Das war deswegen spannend, weil wir natürlich die sozialen Themen dann gerne über die Sozialdemokratische Partei Deutschlands angeschoben haben und andere Themen dann halt eben über die Christlich Demokratische und Christlich Soziale Union. Das haben wir natürlich auch genutzt, das muss man einfach sagen. Es wäre ja auch eigenartig, wenn es anders wäre. Was wir hinterher natürlich als sehr schade empfunden haben, dass dann viele Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei mit einem Mal von der Bildfläche weg waren. Das war ja nun das Ergebnis dieser Großen Koalition. Und der Verlierer war eigentlich dann die Sozialdemokratie. Das haben wir als sehr schade empfunden, weil da viele dabei waren, mit denen wir exzellent zusammengearbeitet haben. Aber insgesamt unterm Strich haben wir einiges setzen können in dieser Zeit. Das war jetzt etwas schwieriger in den letzten vier Jahren. Das war aber auch deswegen schwierig, weil wir auch ständige Wechsel hatten.
    Große Koaltion wird "spannend"
    Rolf Clement: Demnach haben Sie Hoffnung auf die nächsten vier Jahre?
    Ulrich Kirsch: Ja, was heißt Hoffnung? Das ist eine Möglichkeit, mit der wir natürlich fest rechnen, dass das nun so ausgeht, wie es im Moment angedacht ist. Nun muss aber ja trotzdem auch noch das Parteimitglied der SPD auch hinterher zum guten Schluss noch einen Haken dran machen – das wird ja schon auch spannend. Aber nehmen wir mal an, es geht so aus, dann rechnen wir natürlich auch damit, dass das eine oder andere Thema wieder kommt, was vielleicht gerade in den letzten vier Jahren nicht gesetzt worden ist, wie zum Beispiel die Frage: Bleibt es bei dem Versorgungsniveau bei den Beamten, Soldaten und Richtern? Das ist ja eine ganz spannende Frage. Da werden wir schon höllisch aufpassen müssen, denke ich, dass da nicht mit einem Mal Dinge angegangen werden, die vorher nicht möglich waren, weil man vielleicht eine Zweidrittelmehrheit für irgendetwas braucht. Wenn ich mir jetzt die Konstellation anschaue – CDU, CSU und SPD –, dann ist das ja durchaus denkbar, dass man eben auch relativ günstig Dinge verändern kann, die eine Zweidrittelmehrheit notwendig machen.
    Ulrich Kirsch

    Geboren am 4. September 1951 in Merzhausen/Ziegenhain. 1971 trat er in die Bundeswehr ein, war zuletzt Oberst des Heeres der Bundeswehr. Von Anfang 2009 bis 2013 war er der Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes, eines Interessenverbandes aktiver und ehemaliger Angehöriger der Bundeswehr.
    Rolf Clement: Wo haben Sie da konkret Befürchtungen?
    Ulrich Kirsch: Also, ich gehe mal auf das Thema Versorgungsniveau. Wir haben ja eine Absenkung in der Vergangenheit gehabt von 75 Prozent auf 71,75. Da gibt es durchaus Versicherer, die rechnen schon ganz anders. Das könnte ein Ansatzpunkt sein, wobei ich immer nur darauf hinweisen kann, dass das Bundesverfassungsgericht damals, als die Absenkung auf 71,75 stattfand, gesagt hat: Das hat doch irgendwo sein Ende. Auf der anderen Seite bin ich aber fest davon überzeugt, dass wir uns im öffentlichen Dienst auch sehr ehrlich machen müssen, denn es kommt schon darauf an, dass wir das am konkreten Beispiel deutlich machen, was es denn für einen – ich bleibe jetzt natürlich bei den Soldaten – was es für einen Soldaten auf Zeit heißt, dann irgendwann in Rente zu gehen und was es für einen Berufssoldaten heißt. Und da ist es bei uns eben so, dass die Soldaten auf Zeit sehr benachteiligt sind. Im Übrigen auch ein Thema, das wir in die Koalitionsvereinbarung mit hineingegeben haben – die Dienstzeitversorgung der Zeitsoldaten, so nennen wir das. Denn der Zeitsoldat wird in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert und das bei einem abgesenkten Brutto, das er an sich hat dadurch, dass wir keine Sozialabgaben zahlen. Da hat er wirklich echte Nachteile gegenüber demjenigen, der mit zwei Standbeinen der Versorgung hinterher gesegnet ist. Und da müssen wir ran, da ist eine Unwucht drin. Aber das haben diejenigen, die im Moment verhandeln, erkannt, haben auch unsere Argumente angenommen. Wir sind der festen Überzeugung, dass auch die Zeitsoldaten aus dem Versorgungstopf etwas erhalten müssen, denn da zahlen sie auch ein. Das wäre also nur allzu gerecht.
    "Keine Reform in der Reform"
    Rolf Clement: Das große Thema Bundeswehrreform hat natürlich bei den Koalitionsverhandlungen nun auch eine Rolle gespielt. Es wurde gesagt, da wird nicht viel dran gerüttelt. Ist das glaubhaft?
    Ulrich Kirsch: Also die Aussage: "Keine Reform in der Reform" kommt ja im Wesentlichen von mir. Ich habe das immer wieder so gesagt: keine ständigen Veränderungen. Jetzt haben wir drei Minister in fünf Jahren gehabt, ständige Neuanfänge. Und wir haben noch aus den alten Reformen genügend Überkipper, mit denen wir erst mal noch umgehen müssen. Also insofern kommt es schon darauf an, dass wir vielleicht irgendwie mal ein bisschen eine Chance haben, uns ein wenig zu konsolidieren. Dass wir ständigen Veränderungen unterliegen, was die Rahmenbedingungen angeht, das ist jedem klar. Aber jetzt nun von Grund auf wieder nachzudenken, ob man vielleicht die Kommandos Heer, Luftwaffe, Marine, Streitkräftebasis und Sanitätsdienst, die jetzt ausgegliedert worden sind, vielleicht wieder ins Ministerium zurückholt – solche Überlegungen gab es ja schon mal –, also das halte ich alles nicht für zielführend. Jetzt muss man an einem – ja – gefassten Entschluss endlich auch mal festhalten und muss das mal zu Ende bringen. Denn das ist auch notwendig, damit die Soldatinnen und Soldaten die Planungssicherheit erfahren, die sie brauchen, um mit ihren Familien auch letztendlich zu wissen, wie sich die Zukunft gestaltet. Also von daher kommt es darauf an, dass möglichst viel bleibt von dem, was jetzt entschieden worden ist. Es muss an vielen Stellen nachjustiert werden. Die Überleitung war sehr schlecht organisiert. Ich nenne ein simples Beispiel. Da gab es Kompanien, die hatten vorher 140 Frauen und Männer und hatten dann in der Überleitung, nach Aussetzung der Wehrpflicht, dann mit einem Mal noch vielleicht 60 oder 70, hatten aber die gleichen Aufträge wie vorher – das kann natürlich keiner lösen. Also, da ist vieles an Unwuchten da gewesen. Deswegen werden Nachjustierungen erforderlich sein, und es kommt natürlich auch darauf an, dass evaluiert wird und geguckt wird, wo haben wir jetzt unser Ziel erreicht und wo gilt es noch, eben massiv nachzusteuern. Damit verbunden sehe ich auch die Frage nach Standortentscheidungen. Denn ich kann nicht einfach hergehen und kann sagen, der Sack ist zu, sondern ich muss es davon doch abhängig machen, was ist auch betriebswirtschaftlich sinnvoll. Deswegen meine ich, muss man an der einen oder anderen Stelle schon noch mal genau nachdenken.
    Rolf Clement: Ja, das ist eine Frage, die auch die SPD eingebracht hat in die Koalitionsverhandlungen, dass man über den einen oder anderen Standort noch mal nachdenken muss, nachdenken soll. Dem würden Sie zustimmen?
    Ulrich Kirsch: Also Peer Steinbrück hat das, als er bei uns im Bundesvorstand war – wir hatten ihn eingeladen – auch noch mal deutlich gemacht. Die SPD sieht das so. Die sind da jetzt wohl etwas ruhiger geworden oder zurückhaltender geworden – sage ich mal so –, zumindest ist das das, was ich von Minister de Maizière weiß. Aber ich halte das für einfach notwendig. Wenn ich sehe, dass betriebswirtschaftlich etwas ungünstig läuft oder im Sinne der Menschen etwas ungünstig läuft und ich nicht durch eine neue Entscheidung irgendwo an anderer Stelle Ungerechtigkeit erzeuge, dann kann ich es doch machen. Und da gibt es Beispiele, und das, denke ich, ist aber auch nicht auszuschließen. Das meinte aber der damalige Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auch nicht das. Ich glaube, das war schon im größeren Stil angedacht und war natürlich auch dem Wahlkampf geschuldet.
    Rolf Clement: Welchen Standort würden Sie denn noch mal auf den Prüfstand stellen?
    Ulrich Kirsch: Ich gehe mal noch ganz anders ran. Ich stelle mir die Frage: Wo sind denn die Regionen, wo wir guten Nachwuchs bekommen? Ich nehme mal das Saarland. Da sind üblicherweise immer die Fallschirmjäger gewesen und bleiben ja auch dort. Im Saarland gibt es ganz viele junge Frauen und Männer, die zur Bundeswehr wollen, aber da gibt es gar nicht genügend Standorte. Das heißt, die junge Frau oder der junge Mann aus dem Saarland will, aber kann nicht. Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, wenn man dem sagt: Du gehst jetzt am besten nach Torgelow – das ist so ganz oben im Norden – oder du gehst nach Mittenwald, dann sagt der Saarländer, das findet er gar nicht so gut, weil der nicht sehr beweglich ist. Nun kann man das bedauern, aber es ist halt so. Deswegen muss man die Frage stellen: Ist es nicht günstiger, dann dort auch mehr Standorte zu haben, wo die Menschen halt eben auch bereit sind zu den Streitkräften zu gehen? Das Gleiche gilt für den Bayerischen Wald – das nehme ich auch mal als Beispiel. Im Übrigen auch eine Region, wo es gut gelingt dann, wenn jemand aus der Bundeswehr ausscheidet – nach zwölf, 15, vielleicht sogar 25 Jahren –, dem dann auch eigentlich schon den Job zu garantieren. Das macht man da in der Region so. Der Bataillonskommandeur, der dort verantwortlich ist, der hat mit den Firmen Kontakt und da werden die jungen Frauen und jungen Männer schon vermittelt, wenn die aus der Bundeswehr ausscheiden. Das ist also idealtypisch eigentlich. Und deswegen meine ich, müsste man diese Frage mal nach oben stellen: Wo sind wir denn heutzutage richtig aufgehoben?
    Rolf Clement: Wird dann die Bundeswehr eine Armee in strukturschwachen Gebieten?
    Ulrich Kirsch: Diese Gefahr kann man natürlich jetzt hier drin sehen. Nun denke ich, man wird irgendeinen Mittelweg finden müssen. Aber es ist ja nicht sehr intelligent, wenn ich die Regionen, wo Menschen bereit sind, diesen Berufsweg zu gehen, wenn ich in diesen Regionen nicht präsent bin. Das ist einfach nicht klug. Und deswegen kann ich nur raten, da mal drauf rum zu denken.
    Innerer Zustand in den Streitkräften "nach wie vor sehr angespannt"
    Rolf Clement: Herr Kirsch, Sie haben in Ihrer Abschiedsrede auf die Kampagnenfähigkeit des Bundeswehrverbandes hingewiesen. Sie haben Umfragen gestartet in Ihrer Amtszeit, wo die Unzufriedenheit der Soldaten mit ihrem Arbeitgeber manifestiert wurde. Man hält dagegen: Das war in der Zeit des Umbruchs, wo man noch gar nicht wusste genau, wer wo hinkommt. Wie empfinden Sie das, wie ist der innere Zustand der Bundeswehr nach Ihrer Einschätzung heute?
    Ulrich Kirsch: Also der innere Zustand in den Streitkräften ist nach wie vor sehr angespannt, nach wie vor sehr schwierig. Man muss aber hier, wie immer, differenzieren. Es gibt Standorte, da ist quasi die Welt in Ordnung. Und es gibt Standorte, da ist sie überhaupt nicht in Ordnung, weil dort so gravierende Veränderungen stattfinden, dass die Familien nicht wissen, wie es weiter geht. Ich nehme mal jetzt ganz gezielt zwei Beispiele heraus. Wenn sie auf die Schwäbische Alb gehen, nach Meßstetten, da gab es den Einsatzführungsverband, der sich mit Luftbeobachtung beschäftigt hat. Na ja, auf jeden Fall werden die nun zugemacht, und die Familien haben alle dort Häuschen gebaut und jetzt wollen die umziehen, können aber das Haus nicht verkaufen, weil es keinen Käufer gibt. Also die wollen sogar, aber es geht nicht, der Markt gibt es nicht her. Das macht dann deutlich, wie da die Stimmung ist, das kann man sich gut vorstellen. Dann gibt es andere Standorte, die quasi struktursicher sind – ich gehe mal zum Aufklärungsbataillon nach Eutin. Da sagen die: Bevor wir aufgelöst werden, wird die Bundeswehr aufgelöst, weil so viele Generale aus diesem Bataillon herausgekommen sind. Aber sei es drum, es gibt eben ... in diesem Truppenteil ist die Welt in Ordnung. Oder auch wenn Sie nach Beelitz gucken oder sie gucken auch in das eine oder andere Fallschirmjägerbataillon. Also es ist sehr unterschiedlich in der Bundeswehr in den Streitkräften und so wird es auch unterschiedlich empfunden. Auf der anderen Seite, wenn sie in die Ämterbereiche schauen – ich gehe mal ins Rheinland –, da muss nun mancher jetzt wechseln hier in die Region Berlin, zum Bespiel zum Kommando Heer nach Strausberg. Das wird nicht so ganz gut angenommen. Das wird deswegen nicht so ganz gut angenommen, weil es auch keine vorbereitenden Maßnahmen gegeben hat, um solche Dinge abzufedern. Es gibt das Berlin/Bonn-Gesetz nach wie vor für diejenigen, die zwischen Berlin und Bonn hin und her pendeln, aber für diejenigen, die aus einer anderen Region kommen, gibt es das nicht. Und die sitzen dann im gleichen Flugzeug neben demjenigen, der nach dem Berlin/Bonn-Gesetz abgefunden wird und selber haben sie entsprechende Nachteile. Man muss eben etwas finden, um es abzufedern – das muss man aber vorher machen. Und ich finde es immer sehr schade, dass wir dann erst mal kommen müssen und müssen sagen: Jetzt mal Butter bei die Fische, lasst euch da mal was einfallen – wir machen konkrete Vorschläge, wie man es abfedern kann. Das hätte man anders gestalten können. Nun machen wir ja auch solche Veränderungen nicht zum ersten Mal. Das bemängele ich sehr.
    Rolf Clement: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk der scheidende Bundesvorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch. Sie haben ebenfalls in Ihrer Abschiedsrede gesagt, dass die politische Verantwortung für das Scheitern von Einsätzen nicht beim Militär liegen dürfe. Sind die Einsätze denn wirklich gescheitert in Afghanistan?
    Ulrich Kirsch: Spannender Punkt und wichtiger Punkt. Ich habe mich ja an das gehalten, was der Bundespräsident am 20. Juli dieses Jahres vor dem Reichstag gesagt hat. Der hat gesagt: Aber was ist denn, wenn die Einsätze nicht den Erfolg gebracht haben, den man sich vorgestellt hat, wenn ein Einsatz scheitert. Und ich habe mir einfach erlaubt, darauf aufmerksam zu machen, dass es dann nicht an den Soldatinnen und Soldaten lag, denn die haben ihre Aufträge, die sie erhalten haben, alle erfüllt. Sie haben in der Regel sie auch erfolgreich erfüllt. Sie haben sie manchmal auch verloren. Das sehen wir daran, dass wir Kameradinnen und Kameraden haben, die nicht mehr unter uns sind, die gefallen sind. Und es haben auch viele ihre Gesundheit hergegeben, an Körper und Seele oder an Körper oder Seele. Von daher haben die Soldatinnen und Soldaten alles getan, was sie tun konnten. Wenn das scheitert, was ich nie hoffe – ich hoffe immer, dass es eine gute Zukunft gibt, keiner hofft das mehr als ich ganz persönlich und meine Mitstreiter im Verband –, aber wenn es denn scheitert, dann liegt es letztendlich an den politischen Konzepten, die hier angelegt wurden. Und dann müssen sich diejenigen fragen, die das politisch zu verantworten haben. Und wie schwer wir uns mit vielen Dingen getan haben, haben wir doch gesehen. Ich denke mal einfach zurück an die Frage: Um was für einen Konflikt handelt es sich denn überhaupt in Afghanistan und wie lange hat es gedauert, bis dann der Außenminister mal gesagt hat, dass es sich um einen sogenannten nicht international bewaffneten Konflikt handelt, quasi Guerillakrieg handelt. Und das hat ewig gedauert. Warum? Warum brauchen politische Eliten so lange, um das einfach zu definieren?
    Afghanistan "ist ja nie eigentlich eine Erfolgsstory geworden"
    Rolf Clement: Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, was Sie gesagt haben, gibt es zwei Punkte: eine Ehrlichkeit in der Beschreibung dessen, was in einem Einsatzland los ist. Und zum Anderen: Das politische Konzept stimmt nicht oder es wird nicht schlüssig umgesetzt, aber nicht von den Soldaten, sondern zum Beispiel von den zivilen Institutionen, von Wirtschaftshilfe, von Hilfe beim Verwaltungsaufbau und, und, und. Ist das richtig?
    Ulrich Kirsch: Also ich mache es vielleicht noch mal ein bisschen präziser. Wenn ich mir überlege, wie lange es gedauert hat, nachdem nun Soldaten ein stabiles Umfeld einigermaßen geschaffen hatten, bis dann alle anderen Maßnahmen gegriffen haben – Polizeiausbildung, Verwaltungsausbildung –, bis dann letztendlich mal überlegt wurde, wie gehen wir denn mit der Justiz um, das ist ja nie eigentlich eine Erfolgsstory geworden – bei der Polizeiausbildung ist es insgesamt besser geworden. Dann natürlich auch die Unterstützung, um ein Land dann auch wieder wirtschaftlich zur Blüte zu bringen. Alles das hat ewig und drei Tag gedauert im Übergang. Und da haben wir zig Jahre verloren. Und jedes Jahr, was wir verlieren, bedeutet, dass man Soldaten dort behalten muss. Und je länger Soldaten in einem Land sind, um so komplizierter wird es, weil die immer mehr das – so drücke ich es mal militärisch aus – Feuer des Gegners auf sich lenken. Und damit ist das kontraproduktiv, wenn ich so vorgehe. Und das bestreitet ja auch heutzutage keiner mehr so ganz richtig, das, was ich gerade gesagt habe. Es kommt eben aber auch darauf an, dass ich auch ein politisches Endstadium definieren muss. Ich muss aber auch natürlich ein militärisches Endstadium definieren, das eben dann auch klar und deutlich macht, dass ich dann auch wieder rausgehe. Und ich meine, wir hatten die Situation, dass sich alle viel zu sehr auf die rein militärische Karte verlassen haben. Und das ist deutlich geworden, dass das nicht funktioniert hat. Und da muss sich Politik fragen und muss sich Politik kritisch fragen und die politisch Verantwortlichen insbesondere – und die kennen wir alle, die in dieser Zeit Verantwortung getragen haben –, wenn wir in eine ähnliche Lage kommen, ob man das überhaupt noch mal jemals so macht. Ich glaube, eher nein.
    Rolf Clement: Das ist das große Problem. Zum Beispiel, wenn man jetzt auf andere Länder guckt, die mit Hilfe von außen aus einem Bürgerkrieg herausgeführt werden sollten, wie zum Bespiel Libyen, das auch noch im Chaos versinkt. Müsste man da nicht sich überlegen, wie man von außen helfen kann?
    Ulrich Kirsch: Ja, wenn Sie Libyen sagen, gucke ich gleich nach Syrien. Und wenn ich nach Syrien gucke – ich könnte das jetzt so fortsetzen –, gucke ich noch in ganz andere Regionen dieser Welt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir überall helfen können. Also ich war dieses Jahr in Israel und mir ist in Israel deutlich geworden, dass das eine Region ist, für die es nicht wirklich eine Lösung gibt – nach meiner Einschätzung. Das war im Übrigen auch nicht nur meine Erkenntnis, sondern das ist die Erkenntnis von vielen Bildungswerken, die schon seit vielen Jahren dort sind. Es war ganz spannend, ich habe mich mit den Verantwortlichen dort unterhalten und einer sagte mir, nach zwei Jahren hätte er gemeint, wer würde diese Situation im Nahen Osten überschauen. Nn sei er vier Jahre da und sei eines Besseren belehrt worden, dass er selbst nach vier Jahren im Prinzip auch noch nicht alles überschaut. Also ich will da nur mit deutlich machen, dass das alles außerordentlich komplex ist und wir genau überlegen müssen, wo wir wirklich helfen können. Natürlich ist der humanitäre Ansatz immer ganz entscheidend und der muss ganz, ganz vorne stehen. Und da kann man natürlich sicherlich mehr machen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Aber militärisch einzugreifen, heißt halt eben, dass man sich ganz schnell festbeißt. Das haben wir in Afghanistan gesehen, das haben wir auf dem Balkan gesehen – nun ist der Balkan auch noch mal anders zu beurteilen, weil er direkt vor unserer Haustür ist. Aber da haben wir uns überall festgebissen. Und dann dauert es halt 17 Jahre, bis man irgendwo wieder rauskommt, so wie es in Bosnien-Herzegowina der Fall war. Also das muss man sich einfach vor Augen halten. Und dann muss man sich die Frage stellen: Wie weit geht man denn, was diese Hilfe angeht? Im Übrigen, egal, was man nimmt, ob den Irakkrieg ... und wenn man auf den Irak heute schaut, hat es funktioniert? Eigentlich nicht. Und der Diktator ist weg, ja, sicherlich, aber ansonsten ist es nicht wirklich eine Erfolgsstory. Und jetzt werden wir sehen müssen, wie sich das in Afghanistan darstellt. Und insofern bin ich dem Bundespräsidenten außerordentlich dankbar, dass er diese Frage jetzt auch mal so kritisch gestellt hat.
    Rolf Clement: Herr Kirsch, der Minister hat diese Woche gesagt – Minister de Maizière –, der Bundeswehrverband sei nicht das Gesicht der Bundeswehr, aber ein Gesicht der Bundeswehr. Sie waren lange Zeit in der öffentlichen Wahrnehmung das Gesicht der Bundeswehr. Stört Sie das, dass Sie als Einzelkämpfer in Uniform durch die Medien getingelt sind?
    Ulrich Kirsch: Ja, das stört mich in der Tat. Das stört mich deswegen, weil ich auch oft verwechselt worden bin. Also, ich bin mit der Bahn unterwegs gewesen in Uniform und bin oft gefragt worden: "Sagen Sie mal, Sie sind doch der Sprecher der Bundeswehr?!" Und ich habe dann gesagt: "Nee, bin ich nicht, aber Ihnen das jetzt zu erklären würde sehr lange dauern, da wird unsere Zugfahrt nicht ausreichen." Ich hielte es schon für sehr glücklich, wenn es mehr Soldaten gäbe, auch an führender Stelle, die sich öfter mal äußern würden. Da hätten wir als Berufsverband überhaupt kein Problem mit. So ist es aber eben nicht und es ist so, wie Sie es beschrieben haben. Und es hat unlängst mal ein Kollege von Ihnen auch das sehr kritisch beäugt und hat gesagt, das sei zum Teil hemmungslos, was wir da machen würden. Aber ich habe das eher als Kompliment verstanden, was unser Engagement angeht. Und ich kann nur eines sagen: Natürlich müssen wir rausgehen, wir müssen in die Öffentlichkeit gehen. Und ich habe natürlich einen großen Vorteil, ich kann es sehr gut machen oder konnte es sehr gut machen – mein Nachfolger wird es jetzt gut machen können -, weil der Bundesvorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes beurlaubt ist, ohne Geld- und Sachbezüge, er wird von seinem Berufsverband bezahlt. Und damit ist er natürlich in seinen Äußerungen außerordentlich frei. Ich habe mich aber auch immer bemüht, die Dinge zu erklären, auch aus militärischer Sicht, denn ich bin ja nun erst mal Soldat – so verstehe ich es auf jeden Fall. Ich bin also erst mal Soldat und ich bin dann der Vorsitzende einer Interessenvertretung, bin gewählt von meinen Kameradinnen und Kameraden mit dem Auftrag, ihre Interessen wahrzunehmen. In dieser Reihenfolge sehe ich es und deswegen habe ich mich auch immer bemüht, Dinge auch oft einfach militärisch zu erklären. Und von daher, denke ich, war das gar nicht so verkehrt. Ich gucke auf jeden Fall da ganz gelassen auf die Zeit zurück, in der ich medial unterwegs war. Das wird sich jetzt auch ändern, das wird jetzt mein Nachfolger machen. Das wird heute wahrscheinlich auch so das letzte Interview sein, was ich dann noch öffentlich gebe.
    Rolf Clement: Aber man merkt, es macht Ihnen immer noch Spaß. Warum hören Sie auf?
    Ulrich Kirsch: Ja, gute Frage. Das hängt damit zusammen, dass ich sehr krank war. Ich hatte einen Herzinfarkt. Und ich habe in dieser Zeit, als ich eben den auskurieren musste, gemerkt, dass man vielleicht auch noch auf andere Dinge gucken sollte und habe das dann auch begonnen, zu machen. Und jetzt freue ich mich einfach drauf, ein Leben außerhalb der Bundeswehr, außerhalb des Deutschen Bundeswehrverbandes und vor allen Dingen ohne große Verpflichtungen führen zu können. Denn wer eine solche Aufgabe wahrnimmt, der ist ja nicht selbstbestimmt, der ist ja sehr fremdbestimmt. Und ich möchte gerne jetzt dann selbstbestimmt sein. Und darauf freue ich mich sehr. Ich wohne in einer traumhaften Region in Deutschland, im Allgäu, und übe alle Sportarten aus, die man da ausüben kann. Und von daher schaue ich da ganz fröhlich in die Zukunft. Aber ich werde natürlich all den Themen immer verbunden bleiben. Und in der Tat, es hat mir außerordentlich viel Spaß gemacht und ich bin sehr dankbar, dass ich diese Aufgabe so lange ausüben konnte. Im Übrigen bin ich jetzt in einem Alter, das eigentlich noch nicht geeignet ist, aufs Altenteil zu gehen. Ich bin 62 Jahre alt, aber im soldatischen Bereich ist das nun mal ein bisschen anders. Und unlängst hat mir mal ein Hauptgefreiter in den Mantel geholfen und da habe ich mir gedacht: Ich glaube, jetzt wird es Zeit, dass ich mal überlege, ob ich nicht doch besser gehen soll.
    Rolf Clement: In diesem Sinne: "Ski heil", Herr Kirsch.
    Ulrich Kirsch: Danke schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.