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Bundeswehrverband kritisiert geplante Verkürzung der Wehrpflicht

Sechs statt neun Monate Wehrpflicht: Eine politische Entscheidung ohne Konzept, bemängelt der Vorsitzende des Bundeswehrverbands Kirsch - und will auf der heutigen Tagung seines Verbandes der Regierung zehn Fragen zur Umsetzung der Verkürzung vorlegen.

24.11.2009
    Silvia Engels: Der Bundeswehrverband vertritt rund 200.000 Bundeswehrangehörige, ehemalige und aktuelle Wehrpflichtige, Berufssoldaten sowie deren Angehörige. Er gilt als wichtigste Interessenvertretung der Soldaten und heute eröffnet der Vorsitzende, Oberst Ulrich Kirsch, die Hauptversammlung des Bundeswehrverbandes. Er ist nun am Telefon; guten Morgen, Herr Kirsch.

    Ulrich Kirsch: Einen wunderschönen guten Morgen!

    Engels: Der Koalitionsvertragsentwurf hat ja eines festgeschrieben: Die Wehrpflicht soll von neun auf sechs Monate verkürzt werden. Sie haben dieses Vorhaben begrüßt, es schaffe mehr Wehrgerechtigkeit. Inwiefern?

    Kirsch: Ich habe erst einmal begrüßt, dass damit die allgemeine Wehrpflicht nicht weggefallen ist. Ich habe auf der anderen Seite aber auch davor gewarnt, dass das nicht der Einstieg in den Ausstieg ist, weil man sich in der Tat fragen muss, was ist in sechs Monaten denn eigentlich möglich, was kann man an Ausbildung durchführen, welche Ziele erreicht man und wo sind Abholpunkte für denjenigen, der als freiwillig Wehrdienstleistender dann länger machen will, oder als Zeitsoldat.

    Engels: Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan spricht heute in der Zeitung "Die Welt" davon, der Bundeswehr stehe ein Strukturwandel in der Ausbildung bevor, eben durch diese Verkürzung. Wissen denn schon etwas genauer, wie das aussehen wird?

    Kirsch: Der Strukturwandel ist zwangsläufig. Wenn ich in kürzerer Zeit mehr junge Männer ausbilden will, dann brauche ich eine andere Ausbildungsorganisation. Die ist im Übrigen aufwendiger und wird aller Voraussicht nach auch mehr Geld kosten.

    Engels: Im vergangenen Jahr wurden nur rund 15 Prozent eines Jahrgangs eingezogen. Nun könnten durch die Verkürzung mehr eingezogen werden. Das ist das, was Sie auch als mehr Wehrgerechtigkeit bezeichnen. Allerdings heißt das, die einzelnen lernen weniger in dieser Zeit und die Bürokratie erhöht sich. Ist das Wehrgerechtigkeit ohne inhaltlichen Nutzen?

    Kirsch: Man hat ja jetzt erst mal politisch entschieden, ohne ein Konzept vorher zu haben. Das ist ja jetzt das Schwierige bei der ganzen Geschichte, dass aufgrund der politischen Entscheidung jetzt erst mal Konzepte erarbeitet werden müssen. Aber ich denke, es wird in der Tat schwieriger werden, und ich kann nur noch mal sagen, wenn das vom einen oder anderen auch deswegen so entschieden worden ist, um einen Einstieg in den Ausstieg zu versuchen, dann wäre das nicht sehr gut und wäre fatal.

    Engels: Kritiker wie der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Bagger sagt, die Verkürzung sei Unsinn, in sechs Monaten könne man gerade einmal Grundkenntnisse vermitteln.

    Kirsch: Die Bandbreite derjenigen, die sagen, das ist gut, bis hin zu denjenigen, die sagen, das ist Unsinn, ist ja sehr, sehr groß. Wir haben als Interessenvertretung mal Folgendes gemacht: Wir haben mal zehn Fragen formuliert, die wir der Bundesregierung stellen werden, wie sie sich das denn nun eigentlich in der Umsetzung vorstellt. Wir sind gespannt auf die Antworten.

    Engels: Das klingt alles sehr unkonkret. Wollen Sie da nicht selber mit einem eigenen Konzept vielleicht nach vorne gehen?

    Kirsch: Wir sind immer gut dafür, auch eigene Konzepte zu entwickeln. Das haben wir in der Vergangenheit ja auch schon getan. Es gibt ja sogar ein Buch darüber, das durch unsere Grundwehrdienstleistende geschrieben worden ist. Es hat nur auch sehr viel mit unserem Grundgesetz zu tun, was machbar ist und was nicht machbar ist. Wenn ich jetzt gerade den Vorschlag der Jungen Union höre, die von einer allgemeinen Dienstpflicht spricht, so muss man denjenigen sagen, die das tun, dann müssten wir das Grundgesetz ändern, das würde zwei Drittel Mehrheit voraussetzen. Also Sie sehen: Die Bandbreite ist sehr groß und die öffentliche Diskussion nimmt Fahrt auf. Ich denke, das ist auch nicht verkehrt, dass wir mal breit darüber diskutieren, wie wir denn künftig mit der allgemeinen Wehrpflicht umgehen.

    Engels: Herr Kirsch, Sie haben es schon angesprochen: Es gibt diesen Vorschlag der Jungen Union, statt der Wehrpflicht soll eine allgemeine Dienstpflicht für junge Männer eingeführt werden. Das soll heißen, Zivil- und Katastrophenschutz soll künftig auch die Pflicht abdecken, also ein erweiterter Sicherheitsbegriff. Sie deuten an, das gibt Probleme mit dem Grundgesetz, da müsse die Verfassung geändert werden. Wäre es denn sinnvoll, die Wehrpflicht möglicherweise auch auf den Zivil- und Katastrophenschutz auszuweiten?

    Kirsch: Da kann man sicherlich drüber nachdenken. Dann müsste man aber zunächst einmal – und das ist auch etwas, was überfällig ist und durch die Bundesregierung geleistet werden muss – die Legitimation der Wehrpflicht im aktuellen sicherheitspolitischen Umfeld auch mal begründen, denn wenn uns keine Aufgabe vorgegeben ist (und das muss derjenige tun, der das Gewaltmonopol in der Hand hat), wenn die Aufgabe nicht vorgegeben ist, dann ist es in der Tat schwierig, mit der allgemeinen Wehrpflicht umzugehen, denn dann würde die Begründung fehlen. Auch dazu haben wir entsprechende Fragen gestellt, und man muss sich doch die Frage stellen, inwiefern ist die Wehrpflicht sicherheitspolitisch unverzichtbar, inwieweit ist sie militärisch sinnvoll und inwieweit ist sie gesellschaftlich wünschenswert. Das sind doch die Kernfragen und da haben sich alle in der Vergangenheit viel zu sehr gedrückt, um hier die richtigen Antworten drauf zu geben.

    Engels: Da habe ich aber auch noch keine Antwort gehört, wie Sie denn jetzt zum Sinn oder Unsinn dieser Dienstpflicht stehen, abgesehen von den gesetzlichen Problemen.

    Kirsch: Das ist aus unserer Sicht relativ einfach. Ich denke mal an 1989, ich denke mal an 2001. Das sind alles Dinge, die so von keinem vorhersehbar waren, insbesondere wenn ich "Nine-Eleven" nehme. Solche Dinge können auch wieder auf uns zukommen und insofern muss man sich genau überlegen. Das ist wie in einem Dorf, wo es 100 Jahre nicht gebrannt hat, da wird keiner die Feuerwehr abschaffen. Da wird man sich genau überlegen müssen, wie man den Schutz Deutschlands und seiner Bürger organisiert. Wir haben jetzt Fragen gestellt und wir erwarten Antworten von der Bundesregierung und wir erwarten Antwort von der schwarz-gelben Koalition, denn die haben die Wehrpflicht auf sechs Monate gekürzt, das waren ja nicht wir.

    Engels: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass solche Vorfälle wie "Nine-Eleven" – Sie haben es angesprochen – auch in Zukunft möglicherweise Auslandseinsätze notwendig machen für die Bundeswehr. Nun sorgt ja die Wehrpflicht dafür, dass viele Mittel für Logistik und Ausrüstung im Inland gebunden bleiben. Wehrpflichtige gehen nicht in den Auslandseinsatz. Leiden darunter die Auslandseinsätze?

    Kirsch: Nein, das tun sie nicht. Ganz im Gegenteil: Wir würden uns sehr, sehr schwer tun, wenn wir die freiwillig Wehrdienstleistenden nicht zur Verfügung hätten in den Auslandseinsätzen. Das sind diejenigen, die über den allgemeinen Grundwehrdienst bis zu 23 Monate Wehrdienst leisten. Die sind ganz zentral für uns, was die Auslandseinsätze angeht.

    Engels: Das sind die, die freiwillig dann in den Auslandseinsatz gehen?

    Kirsch: Ja.

    Engels: Dennoch: Wehrpflichtige auf der einen Seite, freiwillige Wehrpflichtige und Berufssoldaten auf der anderen Seite. Sind wir auf dem Weg in eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft innerhalb der Bundeswehr?

    Kirsch: Wissen Sie, diese Frage ist schon oft gestellt worden. Es ist den Streitkräften immer gelungen, nicht mehrere Klassen zuzulassen. Da bin ich ganz zuversichtlich, dass wir da nicht hineinschlittern werden.

    Engels: Schauen wir noch auf den Afghanistan-Einsatz. Da sind ja die Worte lauter geworden, die von einem Abzugsplan und für eine Verkleinerung des Kontingents sich aussprechen. Wofür plädieren Sie?

    Kirsch: Ich würde mich über jeden Tag freuen, wo unsere Frauen und Männer aus Afghanistan wieder eher zurück sind. Das ist überhaupt keine Frage. Auf der anderen Seite muss man die Dinge, die wir in Afghanistan zu leisten haben, mit sehr viel Augenmaß angehen. Das funktioniert ja nur, wenn die afghanische nationale Armee dementsprechend gut ausgebildet ist, die afghanische Polizei dementsprechend ausgebildet ist, damit auch der Übergang in die innere Sicherheit geordnet stattfinden kann. Grundsätzlich bin ich sehr dafür, dass ein geordneter Übergang stattfindet, und wenn es Regionen gibt, die befriedet sind und wo keine Streitkräfte mehr erforderlich sind und wo der zivile Aufbau mehr greifen muss, dann bin ich sehr dafür, dass das genauso laufen kann.

    Engels: Oberst Ulrich Kirsch, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes. Vielen Dank für das Gespräch.

    Kirsch: Gerne!