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Bundesweites Netzwerk
Organisierter Betrug bei Pflegediensten

Mehr als 230 meist russischsprachige Pflegedienste stehen im Verdacht, ein bundesweites Betrugssystem gespannt zu haben. Dabei geht es laut einem Abschlussbericht von Sonderermittlern nicht nur um falsche Abrechnungen, sondern auch um Geldwäsche und Steuerhinterziehung.

Von Arne Meyer-Fünffinger, ARD-Hauptstadtstudio | 30.05.2017
    Eine Mitarbeiterin eines Pflegedienstes misst einer Patienten den Blutzuckerwert. Mit lilafarbenen Gummihandschuhen tupft sie einen Bluttropfen v on der Hand der Patientin ab.
    Eine Mitarbeiterin eines Pflegedienstes misst einer Patienten den Blutzuckerwert. (dpa/ epd)
    Professionell organisierter Betrug bei Pflegedienstleistungen - das legt ein Abschlussbericht einer Sonderermittlungsgruppe von Bundeskriminalamt und dem Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen nahe, der dem Bayerischen Rundfunk und der Tageszeitung "Die Welt" vorliegt. Demnach ist die Mehrheit dieser Dienste über Netzwerke organisiert.
    Ambulante Pflegedienste sollen zum Beispiel Leistungen abgerechnet haben, die von ihnen nicht erbracht worden sind. Außerdem seien Pflegedokumentationen gefälscht und nicht qualifiziertes Pflegepersonal eingesetzt worden. Auf allen Ebenen habe der mutmaßliche Betrug stattgefunden - durch die Betreiber der Pflegedienste, durch Ärzte und Apotheken.
    Scheinfirmen im In- und Ausland
    Bei einem Teil der Unternehmen konnten die Ermittler Verbindungen des jeweiligen Personals zur Organisierten Kriminalität feststellen. So habe in diesen Fällen das Personal bzw. die Geschäftsführung der betroffenen Pflegedienste im In- und Ausland Scheinfirmen eingerichtet, außerdem bestünden "enge Verflechtungen der Beteiligten zur Glücksspielbranche".
    Zudem seien Firmenverantwortliche "rechtmäßig wegen Mordes verurteilt" worden. Auch mit Geldwäschedelikten konnten die Behörden die in den Fokus geratenen Personen in Verbindung bringen.
    Regionale Schwerpunkte sind laut Bericht mit weitem Abstand Nordrhein-Westfalen und Berlin. Alleine in diesen beiden Bundesländern haben 141 "phänomenrelevante Unternehmen" ihren Sitz. Danach folgen Niedersachsen (17 Pflegedienste), Brandenburg (14) und Bayern (13).
    Ganze Wirtschaftsbranche beschädigt
    "Es zeichnet sich ein System ab, in welchem von Berlin ausgehend deutschlandweit ein Netzwerk von Pflegedienstunternehmen eingerichtet und betrieben wird, welches mit mehreren Varianten des Abrechnungsbetruges, der Hinterziehung von Abgaben und Steuern und daraus folgender Geldwäsche vorgeht und eine ganze Wirtschaftsbranche beschädigt", so die Autoren des Berichtes.
    Damit liegt erstmals eine detaillierte Analyse über das Ausmaß der Organisierten Kriminalität und den Abrechnungsbetrug durch russischsprachige Pflegedienste vor.
    Ermittler: Neue Kontrollbefugnisse unzureichend
    Der Bayerische Rundfunk und die "Welt am Sonntag" hatten bereits im April vergangenen Jahres über eine erste allgemeine BKA-Untersuchung rund um dieses Kriminalitätsphänomen berichtet. Darauf hatte die Bundesregierung mit einer Gesetzesänderung reagiert und die Krankenkassen mit weiteren Kontrollbefugnissen ausgestattet. Diese halten die Ermittlungsbehörden allerdings für unzureichend.
    "Durch polizeiliche Maßnahmen allein ist eine nachhaltige Bekämpfung des Kriminalitätsphänomens nicht möglich. Aus Sicht der Projektgruppe bedarf es einer umfassenden Reform auf allen Ebenen", schreiben die Autoren des LKA in NRW in dem Bericht mit Datum vom 5. Mai 2017.
    Vertreter von Polizeibehörden, Krankenkassen und von Staatsanwaltschaften hatten den Bericht in der vergangenen Woche in einer internen Sitzung diskutiert.
    Nach Einschätzung von Experten gibt es bundesweit etwa 13.000 ambulante Pflegedienste.