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Bunte Gefahr unter der Haut

Für Tattoo-Farbe gibt es keine internationalen Standards oder Kontrollen. Niemand weiß, wie sich die Farben unter der Haut verändern und welche Gefahren für Allergiker lauern. In Berlin diskutieren Wissenschaftler erstmals über die Risiken von Tattoos und Mittel dagegen.

Von Wolfgang Noelke | 04.06.2013
    Eine moderne Tätowierung, die der Stelle und Form wegen auch "Arschgeweih" genannt wird. Experten diskutieren nun über die Gesundheitsrisiken von Tattoos.
    Eine moderne Tätowierung, die der Stelle und Form wegen auch "Arschgeweih" genannt wird. Experten diskutieren nun über die Gesundheitsrisiken von Tattoos. (picture alliance / dpa / Heiko Wolfraum)
    Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Schwindel, Fieber? Die Ursache könnte von einer lange Zeit zurückliegenden Tätowierung stammen. Drei Prozent der 120 Millionen Tätowierten leiden 'systemisch' an den Folgen des Eingriffs, so Professor Andreas Luch, Leiter der Abteilung "Produktsicherheit" des Bundesamtes für Risikobewertung, BfR:

    "Systemischer Schaden heißt also, Belastungen, wie zum Beispiel Übelkeit, Fieber, Schmerzen, Lichtsensibilität und so was, bei immerhin drei Prozent. Das sind drei aus hundert Personen in der Statistik jetzt, die auch noch lange Zeit nach der Tätowierung klagen über gesundheitliche Einschränkungen."

    ...oft ohne die Ursachen zu kennen. Eine exakte Diagnose auf eventuelle Unverträglichkeit ist schwierig, bei unbekannter Zusammensetzung der Farbpigmente, zumal kaum jemand Farbproben seiner eventuell lang zurückliegenden Tätowierung zu Hause aufbewahrt. Hersteller betrachten ihre Inhaltsstoffe als Betriebsgeheimnis oder existieren gar nicht mehr. Eine Zulassungspflicht gibt es – noch – nicht, obwohl die Gefahr buchstäblich lebenslang unter der Haut lauert:

    "Es wird viel darüber diskutiert, ob solche Tätowiermittel auch Krebs auslösen können. Auch darüber gibt es keine belastbaren Befunde. Wir wissen über die Analytik, also die Feststellung der Zusammensetzung dieser Tätowiermittel, dass in vielen Proben zum Beispiel Nickel ist, dass in vielen Proben auch Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe nachgewiesen werden konnten, zum Teil auch Azur-Farbstoffe. Wenn man jetzt solche Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffe im Tierversuch einsetzen würde, würde man feststellen, dass die zum Teil krebserzeugend sind."

    So steht die Gesundheit der Kunden von Tattoo-Studios im Mittelpunkt des zweitägigen Symposiums. Das scheint notwendig zu sein, so Professor Luch, weil sogar bei Analysen moderner, aktueller Tätowiermittel Schwermetalle nachgewiesen werden und auch die Frage nicht geklärt ist, ob diese Schwermetalle ein Leben lang dort bleiben, wo sie einst injiziert wurden:

    "Cadmium zum Beispiel, da weiß man – das hat eine gewisse Affinität zur Niere. Cadmium sammelt sich gern in der Niere. Wenn's zur Aufnahme von Cadmium über die Nahrung geht, kommt – wenn es zu viel wird, dann ein Nierenschaden ins Spiel – und andere Metalle, Blei zum Beispiel, geht gern ins Hirngewebe. Es gibt eine gewisse Organ-Affinität zu den einzelnen Metallen und man muss davon ausgehen, dass das nicht vollständig ausgeschieden wird."

    Ungeklärt ist auch die Frage, welche Wechselwirkung durch Sonnenlicht entsteht oder – falls die Pigmente nach vielen Jahren per Laser entfernt werden sollen, ob die Pigmente sich im Laserlicht in gefährliche Bestandteile auflösen könnten oder, wie die Farben eines Gemäldes - nur ausbleichen.

    "Auch bei den Gemälden ist es nicht so, dass die farbgebende Komponente sich in Nichts auflöst. Das ist Chemie. Da bleibt was zurück. Da sind Fragmente da, die sind dann nicht mehr farbig, aber sie sind trotzdem da. Was der Körper damit macht, wo das hingeht, im Körper, wie die Belastung der einzelnen Organe ist, darüber kann Ihnen keiner eine Auskunft geben. Und deshalb auch diese Veranstaltung hier. Wir wollen einfach in diesen zwei Tagen den internationalen Kenntnisstand zusammenführen, darüber diskutieren, was wir brauchen, um überhaupt eine ordentliche Risikobewertung noch abgeben zu können. Und wir hoffen, dass wir zumindest eine harmonisierte europäische Regelung hinbekommen. Das BfR hat sich dafür ausgesprochen, dass wir im Bereich der Tätowiermittel so etwas, wie eine Positivliste machen, das heißt, Stoffe listet, die unbedenklich sind, die dann auch verwendet werden könnten."