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Bunte Wiesen wider den Artenschwund

Ökologie. - Städtische Grünflächen sind oft genauso belebt wie grün angestrichener Beton. Der kurzgeschorene, intensiv bearbeitete Rasen zieht Insekten und anderen Wiesenbewohnern nur wenig an. In Tübingen haben Biologen daher begonnen, öffentliche Rasenflächen wieder in bunte Wiesen zu verwandeln. Die Artenvielfalt auf diesen Fläche ist drastisch gestiegen, Nachahmer in anderen Städten gibt es auch bereits.

Von Volker Mrasek | 02.08.2013
    "Kleine Flächen rund um Universitätsgebäude. Der kleine Rasen hinter dem Rathaus. Die kleine Wiese zwischen den Supermärkten."

    Das sind Flecken, auf die es Philipp Unterweger abgesehen hat. Und mit ihm einige andere Biologen von der Universität Tübingen. Normalerweise werden solche Rasen in der Stadt von den Grünflächenämtern intensiv bearbeitet. Unteweger:

    "Die fahren mit ihren Rasenmähern über diese Flächen, mulchen das achtmal im Jahr, halten das alles kurz und schön sauber, wie der normale Bürger das sagen würde. Für uns ist aber eigentlich nur eine bunte Wiese schön."

    "Bunte Wiese" - genau so heißt auch eine Initiative der Tübinger Biologen. Zustande kam sie 2010, im "Internationalen Jahr der Biodiversität". Damals beschloß eine Hand voll junger Forscher, die häufig gemähten und gemulchten Rasenflächen in Wiesen zu verwandeln. Um so die Artenvielfalt in der Universitätsstadt zu erhöhen. Das war jedenfalls das Ziel. Unterweger:

    "Unter Wiese verstehen wir eine Fläche, die wir nur zweimal im Jahr mähen und das Schnittgut entfernen, um die Fläche so abzumagern, das heißt Nährstoffe zu entziehen. Je weniger Nährstoffe eine Wiese hat, desto besser können verschiedene Kräuterarten dort existieren. Die Wiesen müssen mager sein, damit viele Blumen wachsen."

    Zwölf Grünflächen konnten die Tübinger Biologen bis heute in ihrem Sinne umgestalten. Mit Unterstützung der Uni, der Stadt und des Landes Baden-Württemberg. Acht der Wiesen haben sie inzwischen genauer untersucht. Und nachgezählt, wie viele Insekten dort heute vorkommen. Philipp Unterweger kümmerte sich dabei speziell um Wanzen. Daß mehr Insekten in den Wiesen leben als auf den kurzgehaltenen, eintönigen Grasflächen, ist sicher kein überraschendes Ergebnis, ...

    "... aber leider gab's noch keine ausreichenden Zahlen, die das auch wirklich untermauert haben."

    Diese Zahlen lieferte der Tübinger Biologe jetzt auf einer Fachtagung in Bonn, ausgerichtet vom Bundesamt für Naturschutz:

    "Wenn wir über eine Wiese laufen und dort mit dem Käscher Wanzen fangen, dann haben wir auf einer Rasenfläche von etwa 100 Quadratmetern vielleicht, wenn wir Glück haben, zwei Individuen. Und auf einer guten Wiese können wir durchaus einmal 40, 50 Individuen fangen."

    Das ist ein Faktor von 20 bis 25 mehr! Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Heuschrecken, Wildbienen und Käfern: Auch sie fehlen auf den Rasenflächen praktisch. In den bunten Wiesen aber sind diese Insekten zahlreich vertreten und bereichern heute die städtische Fauna. Unterweger

    "Durch solche Zahlen können wir das Argument der Gärtner widerlegen. Oft hören wir das Argument: Ja, Insekten, die leben ja woanders, die leben im Boden. Solche Argumente sind für Biologen natürlich nicht nachvollziehbar. Durch diese Arbeit konnten wir beweisen, daß durch das Stehenlassen von Wiesen die Artenvielfalt innerhalb der Stadt nachweislich nach oben geht."

    Die neue urbane Pflanzenvielfalt auf den Wiesen lockt offenbar Insekten aus dem Umland in die Stadt, wie Philipp Unterweger schmunzelnd anmerkt:

    "Ja, quasi die Landbevölkerung der Insekten zieht wieder in die Stadt. Wir konnten die Wiesen so anlegen im Stadtgebiet, daß es Korridorfunktionen zu benachbarten außerstädtischen Flächen gibt, so daß die Stadt durch ein Netz von bunten Wiesen wieder von außen besiedelt werden kann."

    Die Initiative der Tübinger Biologen findet mittlerweile erste Nachahmer. So steht jetzt auch in Potsdam eine Initiative Bunte Wiese vor der Gründung. Und Philipp Unterweger freut sich...

    "... über jeden, der uns kopiert und nachmacht und mit uns zusammenarbeitet."