Dienstag, 19. März 2024

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Bus auf Abruf
"Mobilität von morgen kann gar nicht anders organisiert werden"

Ein Bus auf Abruf als Alternative zum Individualverkehr. Ein solches System könne günstiger sein als Privat-Pkw, sagte Stephan Herminghaus vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation im Dlf. Die Idee soll den Nahverkehr umweltfreundlicher und nutzerfreundlicher machen.

Stephan Herminghaus im Gespräch mit Arndt Reuning | 19.06.2018
    Weniger Abhängigkeit von Linienbussen ist das Ziel
    Gesucht: ein Bus wie ein Anrufsammeltaxi (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
    Stephan Herminghaus: Das System EcoBus ist im Grunde basierend auf dieser alten Idee des Anrufsammeltaxis. Die Kunden melden entweder telefonisch oder moderner jetzt per Web-App oder direkt übers Internet ihre Fahrtwünsche an, und das System sammelt die alle auf einem Zentralcomputer und verteilt sie eben auf Fahrzeuge, in dem Fall eben Kleinbusse, solche Achtsitzer, und sammelt sie so, dass möglichst ähnliche Fahrtrouten kombiniert werden und auf die Weise eine möglichst hohe Auslastung der Fahrzeuge erreicht wird. Dadurch kann man dann eben auch die Kosten drücken und ein günstiges Angebot machen.
    Arndt Reuning: Wo sehen Sie denn den großen Vorteil dieses öffentlichen Bussystems nach Bedarf?
    Herminghaus: Sie haben gerade im ländlichen Raum eigentlich kein bedarfsgerechtes oder geschweige denn bedarfsgetriebenes Verkehrssystem mehr. Deswegen steigen die Leute alle auf den Privat-Pkw um, weil der halt immer und jederzeit und für jede Start- und Zielposition zur Verfügung steht. Und wenn Sie dann zwei Stunden auf einen Liniendienst warten müssen, dann ist das einfach unattraktiv. Und das Problem ist, dass auf diese Weise der größte Teil tatsächlich des Massentransports mit dem Privat-Pkw vonstattengeht. Und das macht unseren ganzen Verkehrsinfarkt, den wir überall jeden Tag beobachten können.
    "Sehr wohl eine Nachfrage danach"
    Reuning: Aber diese Familien auf dem Lande, die sind ja üblicherweise schon mobil, also die besitzen mindestens ein Auto. Warum sollten diese Menschen denn überhaupt auf den EcoBus umsteigen?
    Herminghaus: Wenn Sie die Leute fragen, stellen Sie fest, dass denen das trotzdem ziemlich auf die Nerven geht. Die haben meistens zwei oder drei Autos pro Familie, und warum? Weil es keine Alternative gibt. Aber das Mama- oder Papa-Taxi, das ist alles andere als beliebt. Die machen das wirklich nur, weil es keine Alternative gibt. Und die sind alle ziemlich begeistert, dass wir jetzt dieses Angebot wenigstens mal ausprobieren, und das hat auch guten Zuspruch. Es ist nicht so, dass die Leute das nicht wollen. Die Leute haben sehr wohl eine Nachfrage danach. Und sie wissen ja auch, was sie ihr Auto kostet.
    Reuning: Sie haben ja schon erwähnt, dass es mit den Anrufsammeltaxis bereits ähnliche Systeme gibt. Was ist denn das Besondere am EcoBus?
    Herminghaus: Das Besondere bei uns, was wir jetzt anders machen als diese vielen anderen Systeme, die gerade in den Markt drängen - es gibt ja alle möglichen, die gerade solche Startups machen. Uber Pool ist ja nur einer von ganz vielen. Die kannibalisieren sich aber, wie man so in dieser Branche sagt, gegenseitig. Die drängen dann in den Markt, versuchen, einen Marktanteil zu erhaschen, und da ist dann jeder jedem spinnefeind. Was wir sehen und wo wir den großen Bedarf und auch die Zukunftschance sehen, ist, dass im Grunde ja man gar nicht mehr Fahrzeuge oder nicht viel mehr Fahrzeuge auf die Straße bringen muss von öffentlichen Personenverkehren, weil es so viele Unternehmen schon gibt. Die wissen ganz genau, wie Fahrzeugflotte geht. Es gibt Taxiunternehmen, es gibt Kleinbusunternehmen. Es gibt Anrufsammeltaxen. Es gibt die öffentlichen Liniendienste, die auch Behälter auf Rädern haben und genau wissen, wie man die betreibt. Was man braucht, ist ein System, dass all diese Bedarfe in geeigneter Weise orchestriert, sodass sie eben zusammenwirken und nicht jeder gegen jeder. Und was der Kunde sehen soll, ist eigentlich nur noch ein Angebot, bei dem er nicht mehr schauen muss, welchen Anbieter muss ich mir denn jetzt raussuchen, sondern der Kunde sagt nur noch, ich möchte von A nach B, und zwar entweder jetzt oder erst nachher um 15 Uhr, und das System macht den Rest und bietet ihm was an. Und wenn er dann auf "Buchen" drückt, dann kommt ein Vertrag zustande mit diesem Gesamtsystem. Und das kann eigentlich nur funktionieren, wenn das unter der Ägide der Zweckverbände wie üblich, ich sag es noch mal, orchestriert wird als ein Gesamtsystem, das dann nach den üblichen Verfahrensregeln mit Ausschreibung und allem vonstatten geht, das ja gut eingespielt ist. Ich glaube, dass die Mobilität von morgen gar nicht anders organisiert werden kann, weil Mobilität ein Grundbedürfnis ist. Damit ist es ein Teil der Daseinsvorsorge, und Daseinsvorsorge ist Sache der öffentlichen Hand. Das geht gar nicht anders.
    Ziel: Hürde überspringen
    Reuning: Stichwort Marktdurchdringung - muss es da nicht eine bestimmte Schwelle, einen Schwellenwert geben, ab dem sich dieses System überhaupt erst rechnet?
    Herminghaus: Absolut, da haben Sie völlig recht. Das ist genau das, was uns so elektrisiert hat. Als wir angefangen haben, darüber zu forschen. Wenn Sie nämlich mit den Mitteln der statistischen Physik sich diesem System nähern und da mal so eine Theorie hinschreiben, wie denn überhaupt die Klasse aller möglichen solcher Anrufbussysteme funktioniert, dann sehen Sie, dass die so einen richtigen Phasenübergang macht, wie zum Beispiel bei Wasser zwischen fest und flüssig. Es gibt zwei Phasen, in denen so ein System laufen kann am Markt. Das eine ist ein Bassin, wo das System hinstrebt, und das ist dann nur ein Nischenmarkt, und der ist relativ teuer, drei- bis viermal so teuer wie ein Privat-Pkw. Es gibt aber noch eine zweite Version, also eine andere Phase gewissermaßen, so wie die flüssige Phase, in der das System günstiger ist als die Privat-Pkw und praktisch den gesamten Markt bedient. Und dazwischen ist eine große Hürde, da ist eine große Barriere dazwischen, wie bei einem Phasenübergang bei Wasser von fest nach flüssig auch, da müssen Sie die Schmelzwärme aufwenden. Wie müssen praktisch über diese Hürde drüber, und unser Forschungsprojekt hat zum Gegenstand, wie überwinden wir diese Hürde, wie können wir es vielleicht durchbohren, durchtunneln. Das sind eigentlich die Fragen, die uns umtreiben.
    Von der Theorie zur Praxis
    Reuning: Sie sind ja Physiker, und Sie beschäftigen sich am Max-Planck-Institut mit "Kollektiven Phänomenen fern vom Gleichgewicht", so steht es auf Ihrer Homepage. Da geht es um Muster, die in der Natur entstehen, zum Beispiel um Strukturen, die sich in Bakterienkolonien bilden, oder um das Verklumpen von kosmischem Staub rund um junge Sterne in den sogenannten Akkretionsscheiben. Wie kommen Sie von dieser harten Wissenschaft zu diesem doch anwendungsnahen System von fünf Kleinbussen?
    Herminghaus: Das ist halt mit das Faszinierende an der Physik, was also richtig Spaß macht. Wenn Sie halt tief in die Systeme eindringen und schauen, was ist denn der Kern, was sind die Kernmechanismen, die am Werk sind - das sind halt genau die Systeme, nach denen wir Physiker suchen -, dann sehen Sie oft, dass scheinbar ganz verschiedene Systeme nach ganz ähnlichen Prinzipien funktionieren, und dann können Sie auch die Methoden, die Sie benutzen, um zum Beispiel ein granulares Gas oder auch Schwärme von Bakterien oder von Plankton oder von Staren oder auch Schwärme von Menschen, die in ihren Karossen über die Straßen fahren, mit ganz ähnlichen Methoden, eigentlich mit denselben Methoden behandeln können und dann auch auf ganz ähnlichem Wege mit ganz ähnlichen Lösungstechniken auch zu wirklich ganz konkreten Antworten kommen oder Voraussagen, die Sie dann eben, wie wir das üblicherweise machen, am Experiment überprüfen können. Und was sonst das Experiment ist im Reagenzglas im Labor, das ist eben jetzt unser Pilotprojekt in Bad Gandersheim. Das ist an der Systemstelle des Experiments. Wir haben jetzt theoretische Vorhersagen, die wollen wir jetzt überprüfen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.