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Business Class

Sie bevölkern Flughäfen und Mittelklassehotels und sind unübersehbar. In ihren grauen oder dunkelblauen Business-Anzügen einer Marke, die so heißt, wie sie sich fühlen - als Boss nämlich -, lassen sie sich präzise von der restlichen Bevölkerung unterscheiden, untereinander allerdings so gut wie gar nicht. Bösartig könnte man meinen, was früher der kleine Offizier gewesen ist, sei heute der mittlere Manager: ein um Anerkennung und Aufstieg ringendes Wesen, das nur Order und Ausführung kennt, nicht aber inhaltliche Erwägungen, geschweige denn eine eigene Lebensmoral. In diesem System der unkalkulierbaren Abhängigkeiten - von der Wirtschaftslage, von der Gunst des Vorgesetzten und den Intrigen der reichlich vorhandenen Konkurrenz - bleibt die eigentliche Arbeit auf der Strecke. Sie wird nach unten delegiert, dort wo Leute ohne Aufstiegschancen wirklich schuften müssen, oder einfach liegengelassen. Populistisch heißt das "Nieten in Nadelstreifen" und bevölkerte vor einiger Zeit die Bestsellerlisten.

Florian Felix Weyh | 30.07.2002
    Weniger drastisch und kein Sachbuch, dafür aber von feiner Boshaftigkeit durchwoben, sind die Wirtschaftskolumnen Martin Suters, die der mittlerweile renommierte Romancier über Jahre hinweg für die Züricher "Weltwoche" schrieb. Damals war das Schweizer Blatt noch eine ernsthafte Zeitung. Nicht angekränkelt vom Magazinitis-Virus und genau die richtige Plattform, um die Business-Class-Leute in einem schwachen Lesemoment zwischen Start und Landung zu erwischen. Suters Kolumnen erwarben Kultstatus in der Schweiz, in der die kleinste Handwerksklitsche schon als Aktiengesellschaft firmiert und die Verquickung von Armee und Wirtschaft Ausmaße erreicht, die eine unfreundliche Übernahme der letzteren durch erstere gänzlich überflüssig macht. Wer eine Konzernkarriere anstrebt, muß auch auf Nachtmärschen seinen Mann stehen, ohne Majorsrang der Reserve kann er den zivilen Aufstieg glatt vergessen. Es ist eine reine Männerwelt, die Suter aufs Korn nimmt, Angstneurosen und paranoider Beziehungswahn gelten als typisch weiblich, von ihnen läßt sich kein Manager irritieren - er lebt sie nur unbeirrt aus! Beinahe jeder Sutersche Fünf-Minuten-Held wird von Zwanghaftigkeit im Denken und Handeln geplagt. Eine Sekunde lang nicht aufgepaßt, eine flappsige Bemerkung nicht unterdrückt - schon ist der Traum vom Chefsessel perdu! Austauschbarkeit hat eben zwei Seiten: Man kann jederzeit den Platz des verhaßten Konkurrenten erobern, qualifikatorisch gar kein Problem. Aber der verhaßte Konkurrent kann einen auch selbst verdrängen. Rinderknecht schlägt Sommerhalder, Sommerhalder löst Maienfelder ab, Maienfelder findet immer noch Bertschi - so dreht sich der Reigen lustig weiter.

    Wer etwas über die Wirtschaftswelt erfahren will, ist bei Belletristik im allgemeinen schlecht bedient. Was Manager selber lesen, erscheint dem Laien dagegen schiere Zeitverschwendung und gibt auch wieder nur den Sollwert vor: Ratgeberbücher spiegeln eine Welt vor, die so nicht existiert, deren reibungsloses Funktionieren aber überall vorausgesetzt wird. Genau dieses Dilemma spießt Suter mit seinen funkelnden Glossen auf. Ständig wird geplant, ausgedacht, beraten - um im Ergebnis von einer winzigen, übersehenen Kleinigkeit aus der Bahn geworfen zu werden. In diesem aussichtslosen Aufbegehren gegen die Umstände schrumpft der Kämpfer an der Karrierefront auf handliches Zwergenformat und bleibt im Mißverhältnis zwischen Willen und Können immer als Mensch erkennbar. Das ist Suters größte Stärke: noch den schlimmsten Leuteschinder so darzustellen, daß er über sich schmunzeln könnte, läse er das Portrait. Management by Smiling - es muß ihm ja niemand verraten, daß andere bei der Lektüre desselben Textes in beißendes Hohngelächter ausbrechen. Zwei so unterschiedliche Lesearten zu ermöglichen, schaffen nur wahre Könner des Genres.