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BVB-Spiel nach Anschlag
"Wir überschätzen die Möglichkeiten, die der Sport hat"

Profisportler, die in eine Grenzsituation geraten sind, sollten in den Entscheidungsprozess über eine schnelle Einsatzfähigkeit mit einbezogen werden, forderte der Sportphilosoph Elk Franke im DLF. Bei Anschlägen wie in Dortmund sei die Frage, wie belastungsfähig ein Profisportler in dieser psychischen Situation ist.

Elk Franke im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.04.2017
    Der Doping-Experte und Sportphilosoph Elk Franke leitet seit 1995 die Abteilung Sportpädagogik und Sportphilosophie an der Humboldt-Universität Berlin.
    Der Doping-Experte und Sportphilosoph Elk Franke (dpa/picture alliance/Horst Galuschka)
    Tobias Armbrüster: Der Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund, er gibt nach wie vor viele Rätsel auf. Die Polizei ermittelt, geht von einem terroristischen Hintergrund aus. Aber aus welcher Richtung dieser Hintergrund kommt, das ist immer noch nicht ganz klar. Der Tatverdächtige, der gestern festgenommen wurde, hat offenbar doch keine Verbindung zu diesem Anschlag. Das hat die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe heute mitgeteilt.
    Mitgehört hat am Telefon Professor Elk Franke, Sportphilosoph in Berlin. Schönen guten Tag, Herr Franke.
    Elk Franke: Schönen guten Tag, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Franke, lassen Sie uns direkt bei diesem einen Aspekt bleiben. Ist das gut, so ein Spiel nachzuholen, nur einen Tag nach so einem Schockerlebnis für die Spieler?
    Franke: Ich glaube, Herr Armbrüster, wir sind alle im Augenblick in eine neue Situation getreten, die es im Nachhinein unter Umständen leichter oder auch schwerer macht, eine kluge Entscheidung oder Antwort zu geben, so dass man wie bei vielen anderen Dingen den Vorlauf und das Ergebnis, glaube ich, nacheinander bewerten muss. Die Entscheidung, ob innerhalb einer kurzen Zeit ein Spiel angesetzt werden darf, war, glaube ich, aus einem Kontext gefallen, der die Tragweite sowohl des Anschlages selbst mit seiner furchtbaren Möglichkeit, die Sie eben noch mal geschildert haben, nicht in dem Maße erfasst hat, und andererseits aber auch das, was den Sport in vielen Fällen ausmacht, dass man sagt, er ist ein Handlungssystem, in dem immer in Grenzsituationen gehandelt wird, und es kommt bei Profispielern darauf an, dass sie in 90 Minuten sich letztlich unabhängig von Fans oder anderen Dingen auf das Spiel konzentrieren können. Das scheint mir seitens der Vereinsführung dann den Ausschlag gegeben zu haben, nicht wie in üblichen Berufsfeldern zu handeln, denn dort gilt die Regel, dass ein Betroffener, von dem in dieser Weise auch letzten Endes ein Mordanschlag vermutet werden konnte, gefragt wird, ob er sich handlungsfähig findet. Und das scheint ja nach den Aussagen von Herrn Tuchel zumindest auf der Ebene der Trainer und Spieler nicht in dem Maße von der Vereinsführung praktiziert worden zu sein.
    "Wie belastungsfähig ist ein Profisportler in dieser psychischen Situation"
    Armbrüster: Aber wenn ich Sie da richtig verstanden habe, Herr Franke, dann wollen Sie schon sagen, dass ein Profisportler in der Lage sein muss, auch so ein Ereignis zumindest für 90 Minuten auszublenden, aus dem Kopf zu kriegen, um sich einzig und allein auf seinen Sport zu konzentrieren?
    Franke: Es fällt mir jetzt auch schwer. Ich habe direkt gestern gesagt, es gehört zum Profisystem dazu. Gleichzeitig, glaube ich, sollten wir nicht den Profibetrieb so weit überbewerten, dass wir zumindest nicht eine individuelle Rücksprache mit dem Getroffenen in unseren Entscheidungsprozess mit einbauen, und das würde ich langfristig dann auch den Sportorganisationen wünschen, denn wir werden mittelfristig damit rechnen müssen, dass so etwas, was wir jetzt nun schon in der dritten Ausführung, wenn man Paris und Hannover und die letzten Entwicklung dazuzählt, erlebt haben, dass das auf uns zukommen wird, und somit ist das auch eine Zäsur hinsichtlich der Frage, wie belastungsfähig ist ein Profisportler in dieser psychischen Situation.
    Armbrüster: Das heißt, Sie sagen, man müsste tatsächlich die Sportler selbst fragen, fühlt ihr euch fit genug, das morgen zu machen?
    Franke: Das, glaube ich, sollte man zumindest einmal, wenn man davon ausgeht, dass ein Profiverein, wie wir ihn hier kennen, ja nun nicht nur die elf Spieler hat und man das in einem Klima dann auch austrägt, wo jeder Einzelne zunächst erst mal offen ist hinsichtlich der Entscheidungsfindung und sich nicht von vornherein in einer Männerwelt als Weichei versteht, wenn er sagt, nein, ich kann nicht spielen. Das ist mir sehr wichtig, dass diese Voraussetzung gegeben sein muss. Aber dann würde ich tatsächlich auch individuelle Aspekte stärker mit einbringen als die rein logistischen organisatorischen oder finanziellen, die sicherlich hier auch eine Rolle gespielt haben.
    Armbrüster: Herr Franke, als Sie gestern Abend die Spieler dort gesehen haben bei dieser Partie, hatten Sie den Eindruck, da ist tatsächlich so etwas zu erkennen von Nachdenklichkeit oder von einem Gefühl, sie sind nicht ganz bei der Sache?
    Franke: Es ist schwer, von außen in die Köpfe von Spielern zu schauen, und die erste Halbzeit hatte ja auch den Verdacht aufkommen lassen, dass hier nicht die Mannschaft spielt, die wir kennengelernt haben. Somit spielt das vordergründig vielleicht eine Rolle. Gleichzeitig ist es aber auch im Bereich des Fußballs immer wichtig, darauf hinzuweisen: Ich habe das in einem anderen Zusammenhang mal ein inhaltsoffenes Drama genannt, was wir im Fußball erleben, was uns ja die Höhen und Tiefen und die individuelle Mitbegeisterung ermöglicht. Und wenn dieses Spiel gestern positiv für Dortmund ausgegangen wäre, dann hätten wir eine andere Diskussion heute. Ich glaube, wichtig ist, dass wir bei dieser abschließenden Bewertung uns selbstkritisch mit den Wirkungen, die ein Ereignis wie dieses Fußballspiel ermöglicht, dann auch auseinandersetzen, und da möchte ich doch noch darauf verweisen, dass genau hier auch sichtbar wurde: Wer den Beginn des Spiels erlebte mit dem Gesang und dann auch die fanübergreifende Solidarität, die bis in breite vereinsübergreifende Perspektiven sich ausweitete, hat gespürt, dieses professionelle System Fußball funktioniert auch auf einer emotionalen Basis und die kann, ähnlich wie damals bei der Todesandacht gegenüber Enke, zeigen, dass hier etwas transportiert wird, was unsere moderne Gesellschaft oftmals doch in der öffentlichen Form kaum noch kennt, das Austragen von Emotionen. Von dort her, glaube ich, ist Fußball hier in doppelter Weise gefordert, selbstkritisch mit dem umzugehen, das Spiel muss weitergehen. Wir kennen das von den Olympischen Spielen damals in München. Das ist der negative Touch. Andererseits aber auch: Die Gesellschaft darf sich nicht unterkriegen lassen durch solche Ereignisse, und hier dem Fußball dann seine einerseits organisatorischen Möglichkeiten, andererseits aber auch emotionale Potenziale anzuerkennen. Wenn das die Zukunft diskutierend bestimmen kann, dann würde ich das sehr begrüßen.
    "Wir überschätzen die Möglichkeiten, die der Sport hat"
    Armbrüster: Herr Franke, mit dieser Antwort bringen Sie mich auf mehrere Fragen. Ich will, weil wir ein bisschen unter Zeitdruck sind, nur eine herausgreifen. Wir hören jetzt immer wieder von diesem Spiel, auch wenn Dortmund es verloren hat, dass davon insgesamt ein positives Signal ausgeht, so nach dem Motto, nicht nur die Dortmunder, sondern generell die Gesellschaft lässt sich vom Terror nicht kleinkriegen, steht trotzdem auf und macht weiter. Kann eine Bundesliga-Mannschaft, eine Profi-Fußballmannschaft so eine gesamtgesellschaftliche Funktion tatsächlich ausfüllen?
    Franke: Hier haben wir immer wieder die Art und Weise, wie Gesellschaft hinsichtlich von Sportlern reagiert. Wir überschätzen die Möglichkeiten, die der Sport hat, bis hin auch zu den einzelnen Personen, die dann nach einem sportlichen Ereignis hinsichtlich ihrer politischen Einstellung befragt werden. Somit möchte ich nicht mich in die Gruppe derjenigen einreihen, die den Sport dann zur Speerspitze gesellschaftspolitischer Mobilisierung einstufen möchten. Aber ich möchte auf das Potenzial verweisen, was bei solchen Diskussionen berücksichtigt werden sollte, und von dorther sehe ich es weiterhin als eine Herausforderung, die Diskussionen anregt, und das ist mir manchmal wichtiger als gute oder schlechte Ergebnisse schon normativ vorwegzunehmen.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Mittag" war das der Berliner Sportphilosoph Elk Franke. Vielen Dank, Herr Franke, für das Gespräch.
    Franke: Danke auch, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.