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C-Waffen in Heidelandschaft
Ein Teich voller Weltkriegs-Altlasten

Chemische Kampfstoffe mitten in der Lüneburger Heide? Im Dethlinger Teich nahe Munster versenkte die britische Besatzungsmacht nach 1945 Munitionsbestände der Nazis. Heute lassen sich giftige Substanzen aus Bomben und Granaten im Grundwasser nachweisen. Doch eine Sanierung des Geländes ist heikel.

Von Dietrich Mohaupt | 17.05.2018
    "Toxic" steht auf einem Hinweisschild am 16.03.2017 nahe der Ortschaft Dethlingen (Niedersachsen) an einer Bohrstelle. (zu dpa "C-Waffen-Reste in der Heide beschäftigen Behörden" vom 28.03.2017) Foto: Philipp Schulze/dpa | Verwendung weltweit
    Am besten, Sie packen Ihre Koffer und ziehen hier weg, hörte ein Anwohner 1989 von einem Toxikologen (picture alliance / dpa / Philipp Schulze)
    Auf einem schmalen Feldweg irgendwo im Nirgendwo in der Lüneburger Heide – links Ackerflächen, rechts Wald, nur eine kleine Senke mit einem Durchmesser von etwa 60 Metern verrät, wo der Dethlinger Teich einst lag. Die Bäume sind hier gefällt, der Bereich ist mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Carsten Bubke, Umwelttechniker beim Landkreis Heidekreis, rollt eine Karte aus.
    "Wir befinden uns jetzt an dieser Stelle… Westlich gelegen von der ehemaligen Muna war eine große Luftwaffenliegenschaft, wo Kampfstoffe gelagert wurden. Westlich liegt hier die Bundesstraße. Die B71, diese Karte, die wir hier erstellt haben, ist auf Grundlage von Luftbildern und Vermessungen entstanden… Das sind eben alles Gebäude für die Munitionslagerung gewesen, über 180 Gebäude insgesamt."
    Carsten Bubke, Umwelttechniker beim Heidekreis blickt am 16.03.2017 nahe der Ortschaft Dethlingen (Niedersachsen) auf einen alten "Luftbildplan der ehemaligen Lufthauptmunitionsanstalt Muster-Oerrel". (zu dpa "C-Waffen-Reste in der Heide beschäftigen Behörden" vom 28.03.2017) Foto: Philipp Schulze/dpa | Verwendung weltweit
    Umwelttechniker Carsten Bubke vor dem Luftbildplan der ehemaligen Lufthauptmunitionsanstalt Munster-Oerrel (picture alliance / dpa / Philipp Schulze)
    In der Muna, der "Munitionsanstalt", wurden alle möglichen chemischen Kampfstoffe produziert, in Bomben und Granaten abgefüllt und gelagert. Nach der Kapitulation 1945 übernahmen die Briten kampflos die Anlage – mitsamt etwa 100.000 Kampfstoffbomben. Einen Großteil der Munition transportierten sie ab, einiges landete damals aber eben auch im Dethlinger Teich. Wie viel und was da im Einzelnen drin verschwand – keine Ahnung, muss Carsten Bubke einräumen.
    "Also – eigentlich weiß man, muss man ehrlich sagen, fast gar nichts! Es gab Zahlen, die mal ein früherer Mitarbeiter der Stadtverwaltung zusammengesucht hat, aber auch nur aufgrund von Augenzeugenberichten."
    Die aber nicht exakt belegbar seien. Vermutlich müsse man unter anderem mit einigen tausend Kampfstoffgranaten, mit hunderten Phosgenbomben und mit etwa 100 Fässern mit dem Hautkampfstoff LOST, auch bekannt als Senfgas oder Gelbkreuz, rechnen.
    Der Teich ist nicht dicht, wie man ursprünglich dachte
    1952 wurde der Dethlinger Teich mit Bauschutt verfüllt, auch um Anwohner daran zu hindern, aus der Grube weiterhin das wertvolle Metall der Granathülsen zu bergen. Das Areal wucherte langsam zu und geriet bei manch einem regelrecht in Vergessenheit. Erst vor fast 30 Jahren begannen Anwohner wieder, sich Sorgen wegen der giftigen Hinterlassenschaften zu machen – sie gründeten eine Bürgerinitiative.
    Die gibt es zwar nicht mehr. Aber die Sorgen, die sind bis heute geblieben, auch bei Michael Dübeke aus dem nur gut einen Kilometer von dem Teich entfernten Ort Kohlenbissen. Allzu präsent sind ihm noch die Warnungen eines Toxikologen aus dem Jahr 1989:
    "Der sagte: 'Wissen Sie, was Sie am besten machen… Sie packen Ihre Koffer und ziehen hier weg!' Nun sind wir aber natürlich hier groß geworden und unsere Kinder leben hier, da macht man sich dann andere Gedanken und will nicht unbedingt wegziehen – man möchte natürlich, dass diese Altlast beseitigt wird auf irgendeine Art und Weise. Man hat ja auch Enkelkinder die größer werden – und man hat immer die Angst: Da kann was passieren!"
    Diese Sorge besteht offenbar nicht zu Unrecht. Ursprünglich ist der Dethlinger Teich durch den Abbau von Kieselgur bis in die 1920er-Jahre entstanden. Dieses erdige Gestein besteht hauptsächlich aus den Schalen fossiler Kieselalgen. Die beim Abbau entstandenen Gruben seien absolut wasserundurchlässig und könnten deshalb auch das Gift aus den Bomben und Granaten vom Grundwasser fernhalten, glaubte man ursprünglich. Ein fataler Irrtum, erläutert Dietrich Wiedemann von den Grünen im Landkreis Heidekreis.
    "Man hat bisher gedacht, dass diese Kieselgur-Grube eine Sondermülldeponie ist, die nach unten dicht ist – sozusagen eine Tasse, die hier im Gelände liegt. Nach neuerer Erkenntnis muss man aber von einem Trichter sprechen. Dieser Bodengrund ist löcherig und entlässt eben diese giftige Substanz in das Grundwasser – und die Grundwasserfahne geht dann in Richtung Celle."
    Arsen und Abbauprodukte eines Kampfstoffs im Grundwasser
    Gut 15.000 Anwohner leben im näheren Umfeld des Dethlinger Teichs – seit Ende der 1990er Jahre wurden im Grundwasser in dieser Region immer wieder erhöhte Konzentrationen von Arsen nachgewiesen, das sich in verschiedenen Verbindungen in chemischen Kampfstoffen befindet. In den Proben fanden Experten aber auch diverse Abbauprodukte von LOST. Keine Frage – das Zeug muss endlich raus, fordert Halina Dübeke, die sich schon 1989 in der Bürgerinitiative engagiert hatte.
    "Wir lieben diesen Ort und wir wollten, dass hier mal sauber gemacht wird – so auf Deutsch gesagt! Das ist ja wie ein Geschwür in der Erde, und das ist jetzt nächstes Jahr 30 Jahre her und es arbeitet immer noch in einem, dass man immer denkt: Die Gefahr ist leider immer da, dass sich das alles zersetzt und kontaminiert."
    Immerhin – mehr als 70 Jahre nach Kriegsende geschieht endlich etwas. Voraussichtlich im kommenden Frühjahr werde man mit einer Sondierungsbohrung beginnen, erläutert Carsten Bubke. Der Umwelttechniker vom Landkreis Heidekreis klettert unter der Absperrung hindurch und nähert sich der zugeschütteten Teichfläche.
    Carsten Bubke, Umwelttechniker beim Heidekreis, kontrolliert am 16.03.2017 nahe der Ortschaft Dethlingen (Niedersachsen) eine Bohrung, die unweit vom Dethlinger Teich in die Erde führt. (zu dpa "C-Waffen-Reste in der Heide beschäftigen Behörden" vom 28.03.2017) Foto: Philipp Schulze/dpa | Verwendung weltweit
    Schon seit rund 20 Jahren werden in den Böden Gifte nachgewiesen (picture alliance / dpa / Philipp Schulze)
    "Wir befinden uns hier auf der ehemaligen sogenannten Rampe – und circa 15 Meter von uns weg ist aufgrund unserer jetzigen Erkundungen der Hotspot, wo wir wahrscheinlich reingehen werden."
    Reingehen – das heißt, dass ein rund neun Meter tiefes Loch mit einem Durchmesser von drei Metern entstehen soll, gut abgeschirmt von der Außenwelt durch eine noch zu errichtende Halle. Von Sanierung könne aber noch keine Rede sein, betont Carsten Bubke.
    "Das ist jetzt alles ja noch eine Erkundung… und da wollen wir eben auch feststellen, ist dieses Material, was wird dort vorfinden werden, überhaupt handhabungssicher für uns."
    Finanzierung der Komplettsanierung ist noch unklar
    Rund zwei Millionen Euro wird allein die geplante Bohrung kosten, das Land Niedersachsen hat entsprechende finanzielle Hilfen bis 2020 bereits fest zugesagt. Wie es allerdings danach weitergeht – das ist derzeit noch völlig unklar. Auch für Christine Meyer-Dittrich, eine der Mitbegründerinnen der alten Bürgerinitiative:
    "Wenn man es birgt, muss man es dann ja auch irgendwo wieder lassen – da kommt noch einiges auf uns zu an technischen Schwierigkeiten, aber ich denke auch an finanziellen Schwierigkeiten. Das ist eine ganz teure Angelegenheit."
    Richtig – Experten rechnen, sehr vorsichtig geschätzt, mit Kosten von rund 50 Millionen Euro für eine Komplettsanierung des Dethlinger Teichs. Wenn die überhaupt technisch möglich ist.