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Cameron in Berlin
Hoffnungen ruhen auf Merkel

Es soll der Anfang für erste Verhandlungen sein: David Cameron wird heute in Berlin seine Forderungen nach EU-Reformen Nachdruck verleihen - allerdings wohl diplomatischer als man es bisher gewohnt war: Denn bei der Durchsetzung der Reformen braucht Cameron Angela Merkel.

Von Jochen Spengler | 29.05.2015
    David Cameron spricht an einem Rednerpult, im Hintergrund die britische Flagge Union Jack
    "Der Wandel, den wir herbeiführen können, ist nicht nur gut für Großbritannien, sondern für ganz Europa" - davon ist Großbritanniens Premier David Cameron überzeugt. (picture alliance / dpa / Stephanie Lecocq)
    Augenfällig war schon auf dem Ost-Europa-Gipfel in Riga letzte Woche, dass ein nach seinem Wahlsieg selbstsicherer Premierminister zunächst einmal weg will vom Image des Elefanten im diplomatischen Porzellanladen. Camerons neue Charmeoffensive - zuhören, erläutern, bloß keine polternden Forderungen, kein Sich-in-den-Mittelpunkt-Drängen:
    "Heute ist nicht der Beginn detaillierter Verhandlungen, es geht darum, einfach einen Anfang zu machen, mit den Partnern zu reden, unsere Probleme darzustellen und zu erläutern, was wir erreichen wollen. Ich erwarte keine schnelle Verständigung, die Gespräche verlangen Geduld und Beharrlichkeit; es wird Aufs und Abs geben, aber wenn wir im rechten Geist zusammenarbeiten, können wir die EU reformieren und unser Verhältnis zu ihr."
    Welche EU-Reformen David Cameron konkret durchsetzen will, das wird der britische Premierminister seinen Partnern persönlich erklären, keinesfalls schriftlich in der Öffentlichkeit fixieren, auch um den EU-Gegnern in den eigenen Reihen keine Munition zu liefern. Gestern Abend erklärte er in Paris:
    "Meine Priorität liegt in der Reform der Europäischen Union, um sie wettbewerbsfähiger zu machen und um die Bedenken des britischen Volkes aufzugreifen. Der Status quo ist nicht gut genug. Der Wandel, den wir herbeiführen können, ist nicht nur gut für Großbritannien, sondern für ganz Europa."
    So will das Land einer engeren Integration der Euro-Staaten nicht im Wege stehen, aber kein Teil davon sein. Manche britische Forderung wird leichter erfüllbar sein, etwa der Abbau der Brüsseler Bürokratie, den EU-Kommissar Frans Timmermans unter britischem Beifall bereits eingeleitet hat. Schwieriger dagegen wird es, wenn Cameron beispielsweise verlangt, dass nationale Parlamente ein Vetorecht gegen EU-Gesetze haben oder dass Einwanderer bestimmte Sozialleistungen erst nach einem vierjährigen Aufenthalt in Großbritannien bekommen sollten.
    "Du musst erst in ein System einzahlen, ehe Du daraus Geld erhältst. Wenn Du nach Großbritannien zum Arbeiten kommst und Deine Familie im Ausland bleibt, dann solltest Du nicht unser hohes Kindergeld kassieren können, wenn doch die Familie die hohen Lebenshaltungskosten in Großbritannien gar nicht tragen muss. Das sind Angelegenheiten des gesunden Menschenverstands, die Europa regeln muss."
    Inhaltlich große Schnittmengen mit Merkel
    Doch dafür könnt eine Änderung der EU-Verträge notwendig werden, die kaum jemand will, auf die Großbritannien derzeit aber pocht. Außenminister Philip Hammond:
    "Unsere Fachleute sagen, dass wir eine Vertragsänderung brauchen, insbesondere um Reformen der Einwanderungs- oder Sozialleistungsfragen durchzusetzen. Wenn unsere Partner uns nicht zustimmen, uns nicht helfen, das Bündel zu schnüren, dann schließen wir nichts aus."
    David Cameron setzt vor allem auf Angela Merkel, die nicht nur seine einflussreichste EU-Partnerin ist, sondern auch jene, mit der er inhaltlich die größten Schnittmengen vermutet. Ihr Credo:
    "Ich möchte ein starkes Großbritannien in der Europäischen Union."
    Zwar ist mit Merkel ein Rütteln an den Grundpfeilern der EU, etwa am freien Personenverkehr, nicht zu machen. Doch Cameron glaubt, dass er ein gutes Blatt in der Hand hält. Niemand will den Austritt Großbritanniens aus der EU und man kann sich trefflich darüber streiten, für wen die Nachteile am Ende größer wären.
    "Wir sind ein Nettozahler, die zweitgrößte Volkswirtschaft in Europa, die führende Militärmacht, wir haben das dichteste Netzwerk diplomatischer Vertretungen, den höchsten Entwicklungshilfeetat, denken Sie daran, was das allein für die Mittelmeerkrise bedeutet; es ist nicht nur so, dass Großbritannien von Europa den Wandel möchte, sondern umgekehrt möchte die EU, dass wir bleiben wegen des Einflusses, den wir bringen. Also ich bin zuversichtlich, aber es wird nicht leicht."