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Camerons Verhandlungen mit der EU
"Es wird um eine ganz dünne Suppe gekämpft"

Das, was der britische Premierminister David Cameron in Brüssel mache, sei "einfach unehrlich", sagte der britische Journalist Peter Bild im DLF. Cameron müsse der konservativen Partei zeigen, "dass er irgendwie gegen Europa gekämpft hat und für etwas". Dass werde er dann als etwas Großes verkaufen.

Peter Bild im Gespräch mit Christoph Heinemann | 19.02.2016
    David Cameron und Jean-Claude Juncker in Brüssel.
    David Cameron und Jean-Claude Juncker in Brüssel. (dpa/picture alliance/Olivier Hoslet)
    Christoph Heinemann: Am Telefon in London ist der britische Journalist Peter Bild. Guten Abend!
    Peter Bild: Guten Abend.
    Heinemann: Herr Bild, bemühen wir Ihren großartigen Landsmann William Shakespeare. "Much ado about nothing", viel Lärm um nichts, oder "Der Widerspenstigen Zähmung", "The Taming oft the Shrew". Was wird in Brüssel gespielt?
    Bild: Ich meine, was hier gespielt wird ist ein insularisches Beispiel für ich weiß nicht, für Politik, wo man sich sagt, aha, wir wollen im Amt bleiben und daher müssen wir zeigen, dass wir hart kämpfen. Sie fragten früher, ob die Wurst schon gar sei. Hier wird eigentlich um eine ganz dünne Suppe gekämpft, ein Süppchen eigentlich von ganz kleinen Änderungen im Sozialsystem. Es ist nämlich so unehrlich, finde ich, von Cameron zu suggerieren, aha, wenn wir jetzt kämpfen, damit die Sozialleistungen gesenkt werden für Migranten, das ist dann die große Rettung. Die meisten Migranten kommen ja nicht nach England, um unsere Sozialleistungen zu genießen, sondern um zu arbeiten. Und das ist wirklich Kleingeld, worum hier gespielt wird. Es ist einfach unehrlich. Aber in der konservativen Partei muss er zeigen, dass er irgendwie gegen Europa gekämpft hat und für etwas. Ich weiß nicht, ob Sie das Interview mit ihm in Brüssel heute Nachmittag gesehen haben. "Ich kämpfe um einen Deal!" Ein Deal zeigt, als ob man da einen Gegner hat. Wir sind ja Mitglied im Augenblick noch von dieser Europäischen Union, und wie kann man da um einen Deal kämpfen. Eigentlich ist das eine Verhandlung um eine Verbesserung vielleicht der Regeln der EU und nicht um einen Deal mit einem Gegner.
    Heinemann: Ist Cameron für Sie eher Otello, oder ehr Hamlet?
    "Es ist beschämend zuzusehen, was dort in Brüssel geschieht"
    Bild: Er ist eher Otello. Er irrt sich, wenn er meint, dass irgendwie jemand ihm untreu gewesen ist. Er ist sich, glaube ich, selber untreu. Es ist wirklich beschämend, hier auf dieser Insel so insularisch zuzusehen, wie das dort jetzt in Brüssel geschieht.
    Heinemann: Was muss er denn mitbringen nach London, damit ihm die Wählerinnen und Wähler beim Brexit- oder eben nicht Brexit-Referendum die Treue halten?
    Bild: Es ist eigentlich völlig egal, was er von Brüssel jetzt nach Hause bringt. Er wird es irgendwie versuchen zu verkaufen. Wenn er wirklich nicht einmal eine dünne Suppe bekommt, dann wird er wahrscheinlich noch kein Referendum halten. Er wird sagen, aha, ich habe nicht den Deal, den ich hier verlangt habe. Er hat ja Zeit. Er kann theoretisch bis Ende nächsten Jahres warten. Aber natürlich ist dann der Druck auf die europäischen Partner, die eigentlich natürlich keinen Brexit wollen, denn Großbritannien ist ja ein Gegengewicht entweder für Deutschland oder für Frankreich, wenn sie sich gegenüber streiten. Daher ist mir nicht völlig klar, dass es eigentlich überhaupt was ausmacht, was eigentlich in Brüssel vereinbart wird. Worauf es ankommt, wird eigentlich die britische Politik sein innerhalb der konservativen Partei, wo es so viele Euroskeptiker gibt, und Cameron ist vielleicht ein bisschen skeptisch, aber er will nicht raus. Er sieht eigentlich die Realität, dass das keinem was nutzt.
    Heinemann: Nicht raus möchte auch der größte Teil der Wirtschaft, jedenfalls die großen Verbände. Von denen sind eher Warnungen zu hören. Was spricht eigentlich für einen Austritt?
    "Ein Appell an unsere Engstirnigkeit in Großbritannien"
    Bild: Unsere nationalistischen Gefühle. Ich kann es nicht anders zum Ausdruck bringen. Natürlich gibt es sehr viele Schönheitsfehler innerhalb der EU, vor allem in Brüssel. Es gibt dort so ein Defizit an Demokratie und daran könnte und soll eigentlich Cameron und andere Reformwillige anknüpfen. Aber die Art, wie es gemacht wird, das ist ein Appell an unsere Engstirnigkeit in Großbritannien, und das finde ich beschämend. Es gibt ja Dinge, die man wirklich reformieren soll innerhalb Europas. Die Art, wie da Geschäfte gemacht werden, ist nicht immer sehr schön. Aber das so zu gestalten, Großbritannien will etwas, und wenn es das nicht bekommt, dann werden wir rausgehen, so ist eigentlich keine vernünftige Politik zu machen.
    Heinemann: Herr Bild, französische Präsidenten wissen, bei Referenden beantworten die Wähler immer andere Fragen als diejenigen, die gestellt wurden. Wird das Referendum möglicherweise auch in Großbritannien eine Abstimmung über Cameron und gar nicht über die EU?
    Bild: Ja, es ist wahrscheinlich kein großer Unterschied. Cameron spielt da mit einer wirklich geschwächten Opposition. Cameron ist vielleicht nicht der populärste Premierminister, den wir jemals gehabt haben, aber wen hätten wir denn sonst. Das ist ja das Problem. Es könnte sein, wenn für einen Brexit gestimmt wird, dass er dann zurücktreten würde, aber nicht unbedingt. Aber sein natürlicher Nachfolger wäre vielleicht Osborne, aber der ist genauso im selben Lager wie Cameron. In der Opposition unter Corbin, die ist noch gespaltener, wenn das möglich ist, als eigentlich die Regierungspartei. Daher ist es eigentlich leicht für ihn, wie gesagt, ein dünnes Süppchen nach Hause zu bringen und das irgendwie zu verkaufen als was Großes. Aber auch wenn es ein Referendum über David Cameron ist, meine ich, dass er es wahrscheinlich knapp gewinnen wird.
    Heinemann: Mit Dank und kontinentalen Grüßen auf die Insel an den britischen Journalisten Peter Bild. Einen schönen Abend Ihnen.
    Bild: Insularische Grüße zurück.
    Heinemann: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.