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Camorra, italienische Politiker und ein Haufen Dreck

Die Menschen in der Region um Neapel haben das Müllproblem satt. Die Berge von Unrat haben schon das Trinkwasser und die Luft verpestet. Sie demonstrieren gegen ihre Politiker. Doch das Geschäft mit dem Müll hat die Camorra - die Mafia - unter ihrer Kontrolle.

Von Karl Hoffmann | 21.10.2010
    In der letzten Nacht ist es bei Neapel erneut zu gewaltsamen Demonstrationen gegen eine Mülldeponie gekommen. Mehrere hundert Menschen lieferten sich in der Ortschaft Terzigno Straßenschlachten mit der Polizei. Die Region inklusive Neapel leidet seit Jahren unter dem Müllproblem. Immer wieder häufen sich Tonnen Müll in den Straßen, und selbst wenn der Müll auf eine Deponie gebracht wird, liegt er da noch lange nicht fachgerecht. Deshalb protestieren die Anwohner von Terzigno gegen den Bau einer neuen Deponie, schließlich hat schon die alte Grund- und Trinkwasser vergiftet und der Luft verpestet:

    Mit lauten Schreien stürmten die Bürger das Rathaus von Terzigno. Danach glich es einem Schlachtfeld. Später prügelten sich die Einwohner mit dick vermummten Polizisten unten auf der Straße: "Das gab es noch nie bei uns", sagen die Bewohner der Gemeinde an den Hängen des Vesuvs.

    "Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Szenen wie in einem Krieg gesehen. In unserem Städtchen herrscht Krieg."

    Es sind vor allem die Frauen, die sich mit Todesmut in die Schlacht stürzen:
    "'"Zwei Jahre lang haben wir friedlich protestiert. Jetzt ist Schluss. Man zwingt uns zur Gewalt"".

    Nur unter massivem Polizeischutz fahren gelegentlich voll beladene Müllautos in den alten Steinbruch, der nicht nur in unmittelbarer Nähe des Ortes liegt, sondern auch völlig ungeeignet ist für das Verklappen ungetrennten Mülls aus der Großstadt Neapel. Im Grundwasser unter der Müllhalde finden sich bereits Cadmium, Zink, und Nickel. Die massiven Proteste der Frauen von Terzigno sind nichts als pure Angst, sagt Schriftsteller Roberto Saviano:

    "'"Das Geschäft mit den Müllkippen hat die Camorra in der Hand. Deshalb weiß kein Mensch wirklich, was alles in den Deponien abgelagert wird. Auch der Staat kann keine Garantie dafür übernehmen, dass alles vorschriftsmäßig abläuft. Und dass da kein Giftmüll landet, der die Leute in der Umgebung krank macht. Diese Mütter sind nicht nur wegen des Gestankes der Müllkippe außer sich, sondern vor allem wegen der giftigen Abfälle, die in jedes verfügbare Erdloch gekippt werden.""

    Wieder einmal steht den Bürgern und vor allem den verantwortlichen Politikern der Müll bis zum Hals. Noch vor zweieinhalb Jahren hatte Ministerpräsident Silvio Berlusconi stolz verkündet, das Müllproblem in Neapel gelöst zu haben. Doch davon könne keine Rede sein, sagt Roberto Saviano:

    "Damals lag in Neapel überall der Müll und die Mülldeponien waren bereits alle randvoll. Diesen Notstand hat die Regierung von Silvio Berlusconi damals beseitigt, indem sie die Müllkippen zum militärischen Sperrgebiet erklärte und einfach weiteren Müll aufhäufte bis die geplanten neuen Müllverbrennungsanlagen in Betrieb gehen und Recycling das Problem lösen würden. Doch es ist nichts von alledem geschehen."

    Weder für die Müllverbrennungsanlagen noch für das Müllrecycling ist Geld vorhanden. Der Abfall von mehr als zwei Millionen Einwohnern landet weiterhin unsortiert in Erdlöchern oder in sogenannten Ökoballen, das heißt, in Plastik verschweißt und zu gigantischen Pyramiden aufgestapelt inmitten der Gemüsefelder vor der Stadt. Insgesamt acht Millionen Tonnen, die seit Jahren unter südlicher Sonne vor sich hinschmoren. Doch nun sind auch die letzten freien Fleckchen vollgemüllt und der verständliche Protest der Bürger der Umlandgemeinde Terzigno zwingt die nahe Großstadt Neapel schon nach wenigen Tagen in die Knie. Es ist nur eine Frage der Zeit: bis auch dort die Bürger auf die Barrikaden gehen.