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Can Dündar
Einblick in das System Erdogan

Der ehemalige Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, genießt derzeit eine Art politisches Asyl in Deutschland. Zuvor war er ein halbes Jahr in der Türkei inhaftiert. Seine "Aufzeichnungen aus dem Gefängnis" hat er nun unter dem Titel "Lebenslang für die Wahrheit" auch auf Deutsch vorgelegt.

Von Gunnar Köhne | 17.10.2016
    Der türkische Journalist und bisherige Chefredakteur der türkischen Zeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, in Hamburg.
    Can Dündar, als er noch Chefredakteur der "Cumhuriyet" war. (picture alliance / dpa / Bodo Marks)
    "Dafür wird er bitter büßen müssen - der kommt mir nicht so einfach davon. Denn diese Zeitung ist Teil dieser ganzen Spionage geworden. Ich habe meine Anwälte angewiesen, unverzüglich eine Klage einzureichen."
    Als der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan im Juni vergangenen Jahres diese wütenden Worte sprach, war Can Dündars Schicksal wohl besiegelt. Seiner Zeitung "Cumhuriyet" waren Dokumente zugespielt worden, die belegen sollen, dass der türkische Geheimdienst unter dem Deckmantel humanitärer Hilfslieferungen Waffen an radikalislamistische Gruppen in Syrien geliefert hat - und das offenbar im Auftrag der Regierung. Für Erdogan war die Veröffentlichung Hochverrat - und dass die weitgehend gleichgeschaltete türkische Justiz tun würde, was der Präsident verlangt, war bloß eine Frage der Zeit. Im November 2015 werden Dündar und der Ankara-Korrespondent von Cumhuriyet, Erdem Gül, wegen "Geheimnisverrat" verhaftet und inhaftiert. Drei Monate später werden sie nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtes vorläufig auf freien Fuß gesetzt.
    Mit seinen Aufzeichnungen über seine Zeit im politischen Gefängnis Silivri vor den Toren Istanbuls gibt Dündar einen wertvollen Einblick in das herrschende System Erdogan, das ja schon vor dem gescheiterten Putschversuch vom Juli dieses Jahres totalitäre Züge trug. Die 473-seitige Anklageschrift gegen Dündar - mit der zweimal lebenslänglich gefordert wird - zeigt die groteske Willfährigkeit der türkischen Justizbeamten:
    "Zweiundfünfzig meiner Kolumnen fanden sich in dem Text wieder. Es war, als hätte Staatsanwalt Fidan meine Texte zusammengetragen und unautorisiert ein Buch damit herausgegeben. Allerdings hatte er nicht dazu geschrieben, was diese Texte beweisen sollten. Uns mit sich selbst verwechselnd, behauptete er, wir schrieben "auf Anweisung", für unsere "Schuld" hatte er dann allerdings keinen anderen Beweis als die Artikel gefunden. Damit bot er uns wiederum den besten Beweis dafür, dass wir allein wegen journalistischer Tätigkeit angeklagt wurden."
    Mehr Einordnung hätte gut getan
    Dündar kommt zunächst allein in eine Zelle, später darf er sie sich mit seinem Kollegen Gül teilen. Seine Gedanken, die er mit Blick auf den Gefängnishof niederschreibt, sind sehr persönlich, streckenweise wirken sie selbstbezogen. Zweifellos: Drei Monate in einem türkischen Gefängnis sind ein schwerer Eingriff in die körperliche und seelische Integrität eines Menschen. Das ist niemanden zu wünschen. Aber angesichts von inzwischen über 120 anderen Autoren, die in der Türkei einsitzen, hätte man sich auf den 300 Seiten mehr von jener allgemeinen politischen Einordnung gewünscht, die Karen Krüger von der "FAZ" in einem Nachwort übernimmt. Man hätte auch gerne mehr erfahren über die wechselhaften Bedingungen, unter denen Dündar und seine Kollegen in den vergangenen Jahren gearbeitet haben - einschließlich Selbstkritik. Zensur und Selbstzensur gibt es in der Türkei schließlich nicht erst seit Erdogan. Alle früheren Arbeitgeber von Dündar hatten sich den jeweiligen Regierungen angedient.
    Dündar schreibt von 200 Anwaltsbesuchen in drei Monaten. Dazu die Visiten von Oppositionsabgeordneten, Delegationen, Freunden und Familienangehörigen. Weltweit gibt es Solidaritätsaktionen, Artikel und Resolutionen für seine Freilassung. Teilweise kann Dündar die Aktivitäten sogar aus dem Gefängnis heraus unterstützen. Seine Selbstvergleiche mit Nelson Mandela oder Nazi-Gefangenen wirken da deplatziert. "Wer nicht gesessen hat, wird nicht Schriftsteller genannt", zitiert Dündar ein trauriges geflügeltes Wort unter türkischen Intellektuellen. Als ob Knasterfahrung adelte.
    Das Buch liest sich leicht, hat aber Längen und leidet unter Wiederholungen. Stellenweise bekommt jeder Satz einen eigenen Absatz. Das ist typisch türkischer Schreibstil, für den deutschen Leser allerdings ermüdend. Gewöhnungsbedürftig ist auch Dündars pathetische Sprache:
    "Dann wurden Fingerkuppen und Handflächen auf eine tintige Fläche gedrückt und registriert. Die Tinte, die all die Jahre das Blut unserer Federn war, hielt jetzt unser Strafregister fest."
    Dündar soll erneut angeklagt werden
    Als Dündar und Gül nach einer Eilentscheidung des türkischen Verfassungsgerichts - dessen Zusammensetzung von der Regierung inzwischen zu ihren Gunsten verändert wurde - Ende Januar vorläufig freigelassen werden, appelliert Dündar an die türkische Öffentlichkeit:
    "Wir sollten uns dem Hass und der Verachtung, die uns beide in dieses Gefängnis gebracht haben, verschließen. Das ist ein gefährliches Gift. Aber dennoch sollten wir in unserem Kampf weiter machen, mit noch lauterer Stimme als zuvor. Dieser Kampf ist noch lange nicht vorbei."
    Wie recht Dündar behalten sollte: Nach Abgabe des Buchmanuskripts kam es zum Putschversuch gegen Erdogan, dessen wahre Hintergründe wohl nie vollständig aufgeklärt werden. Erdogan vermutet die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen hinter dem Umsturzversuch. Eine landesweite Hexenjagd gegen Gegner aller Couleur rollt seitdem über das Land. Auch Dündar soll nun im Auftrag von Gülen die Enthüllungsartikel geschrieben haben und dafür noch einmal angeklagt werden. Dündar hat daraufhin die Chefredaktion von "Cumhuriyet" verlassen und entschieden, vorerst in Deutschland zu bleiben. An eine baldige Rückkehr in die Türkei ist unter diesen Umständen nicht zu denken.
    Seine Frau Dilek wird von den Behörden derweil als eine Art Geisel gehalten. Sie darf das Land nicht verlassen. Wann sie ihren Mann wiedersehen kann, bleibt ungewiss. Immerhin: Can Dündar ist in Sicherheit, auch dank der Solidarität des Auslandes. Da hat er mehr Glück gehabt als die vielen anderen, weniger bekannten Schriftsteller, die noch immer in den Gefängnissen der Türkei einsitzen.
    Can Dündar: "Lebenslang für die Wahrheit. Aufzeichnungen aus dem Gefängnis"
    Hoffmann und Campe Verlag, 2016, 304 Seiten, 22 Euro