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Cannabis auf Rezept
"Verwendung von Drogen als Medizin ist nicht so besonders"

Der Bundestag hat beschlossen, Schwerkranken den Zugang zu Cannabis zu erleichtern. Das Besondere an THC oder Cannabis sei, dass es ein breites Einsatzspektrum habe, sagte Franjo Grotenhermen von der AG Cannabis als Medizin im DLF. Es müsse einfach ausprobiert werden, ob es helfe und ob es vertragen werde, so der Arzt.

Franjo Grotenhermen im Gespräch mit Doris Simon | 19.01.2017
    Cannabis-Pflanze in der Nähe der nordisraelischen Stadt Safed
    Die Patienten sollen Cannabis nicht als Ersttherapie bekommen, sagte Franjo Grotenhermen im DLF. (dpa / picture alliance / Abir Sultan)
    Doris Simon: Dr. Franjo Grotenhermen ist Mediziner und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin. Diese AG gehörte zu den geladenen Sachverständigen des Bundestages. Guten Abend, Herr Grotenhermen.
    Franjo Grotenhermen: Guten Abend.
    Simon: Was wird mit dem Gesetz für Schmerzpatienten besser als bisher?
    Grotenhermen: Nun, es eröffnet sich nicht nur für Schmerzpatienten, auch für viele andere Patienten eine weitere Therapieoption. Es ist immer so, dass bei chronischen Erkrankungen bestimmte Medikamente helfen. Opiate sind oft sehr wirksam. Bei einem Teil der Patienten helfen sie nicht und bei einem Teil dieser Patienten helfen dann Cannabis-Produkte.
    Simon: Bis jetzt gab es aber auch schon die Möglichkeit, Cannabis-Produkte zu bekommen.
    Grotenhermen: Genau das ist richtig. Man konnte auch bisher Cannabis, zum Beispiel Dronabinol oder THC oder Cannabis-Extrakt Sativex oder in Ausnahmen auch Cannabis-Blüten bekommen. Das Problem war immer, die Patienten müssen selber zahlen, und viele chronische Patienten sind nicht mehr im Arbeitsleben, und für die ist dann 300, 400, 500 oder 600 Euro eine Menge Geld, sodass sie oft untertherapiert waren.
    "Patienten sollen Cannabis nicht als Ersttherapie bekommen"
    Simon: Das heißt, das Geld beziehungsweise jetzt die Erstattung ist ein Vorteil aus Ihrer Sicht. Nach wie vor müssen die Krankenkassen die Cannabis-Abgabe genehmigen. Ist das zurecht so?
    Grotenhermen: Ja, das hat man ein bisschen abgeschwächt. Es ist schon so, dass man sagt, die Patienten sollen jetzt Cannabis nicht als Ersttherapie bekommen. Es soll schon klar sein, dass schon Einiges ausprobiert worden ist. Ab einem bestimmten Punkt soll aber Arzt und Patient sagen dürfen, jetzt reicht es aber mit dem Ausprobieren und jetzt ist eine Cannabis-Therapie indiziert. Es ist jetzt nicht eine ganz strenge Austherapiertheit. Man hat das sicherlich deswegen gemacht, weil man bei vielen Indikationen einfach zu wenig klinische Daten hat, um jetzt einen breitflächigen Einsatz von Cannabis zu rechtfertigen bei allen Indikationen. Aber man hat natürlich auch gesehen, dass Cannabis vielen Patienten hilft, und man möchte dieses Dilemma lösen, trotz fehlender klinischer Daten zu sagen, okay, den Patienten, wo es offensichtlich hilft, wollen wir jetzt die Möglichkeit geben, dass sie es auch wirklich bekommen können und nicht nur theoretisch auf dem Papier mit einer Erlaubnis, sondern auch dann, wenn sie es sich nicht leisten können, auch diese Therapie durchführen können.
    Simon: Sie arbeiten als Arzt ja schon länger mit Cannabis als Medizin. Was ist so gut an Cannabis als Schmerzmittel?
    Grotenhermen: Grundsätzlich gibt es keine besonderen Vorteile. Es gibt vielleicht ein paar Besonderheiten. Die erste Besonderheit ist sicherlich die, dass es sicherlich keine Substanz gibt auf der Welt wie THC oder Cannabis, die ein so breites Einsatzspektrum hat: chronische Schmerzen, chronische entzündliche Erkrankungen, Appetitlosigkeit, bestimmte psychiatrische Erkrankungen, neurologische Erkrankungen. Ansonsten hilft Cannabis einigen Patienten, anderen nicht, wie bei anderen Medikamenten. Man muss es einfach ausprobieren. Der Nachteil ist, viele Patienten vertragen es nicht. Die akuten Wirkungen, die psychischen Wirkungen und so weiter, werden oft nicht gut toleriert. Der Vorteil ist, die chronische Verträglichkeit ist sehr gut. Es gibt keine Magenschädigung, Leberschädigung, Nierenschädigung und so weiter, was man von vielen anderen Medikamenten nicht sagen kann.
    Simon: Aus Ihrer Erfahrung mit Cannabis als Medizin - haben Sie festgestellt, dass es als Schmerzmittel auch abhängig machen kann?
    Grotenhermen: Ja. Auf jeden Fall hat Cannabis ein Abhängigkeitspotenzial. Es gibt da auch Untersuchungen zu dem Thema. Man kann sich das ungefähr so vorstellen, dass der Entzug von Cannabis ungefähr so stark ist wie von Tabak. Wer jetzt zwei, drei Jahre Tabak konsumiert hat in moderaten Dosen, kann relativ einfach aufhören. Wer das seit dem 15. Lebensjahr nimmt und mit 50 Jahren aufhören will, hat große Probleme. Es ist nicht so was wie bei Benzodiazepinen oder Opiaten oder bestimmten anderen Medikamenten, die auch abhängig machen können, aber es gibt ein gewisses Abhängigkeitspotenzial.
    "Das ist ja nicht die einzige Droge, die medizinisch verwendet wird"
    Simon: Viele verbinden Cannabis ja mit Droge, mit Rausch. Wer Cannabis als Medizin verschrieben bekommt, erlebt der annähernd dieselbe Wirkung wie jemand, der es raucht?
    Grotenhermen: Na ja, das ist ja nicht die einzige Droge, die medizinisch verwendet wird. Wir geben Kindern, die ein paar Jahre ADHS haben, schon mit zehn Jahren Ritalin, was eine Amphetaminsubstanz ist.
    Simon: Also ein Aufputschmittel?
    Grotenhermen: Genau. Wir behandeln mit Opiaten, wir behandeln mit Benzodiazepinen, die missbraucht werden können, als Schlafmittel, Beruhigungsmittel und so weiter. Die Verwendung von Drogen als Medizin ist jetzt nicht so was Besonderes.
    Simon: Wenn Mittel, die bislang nicht so verfügbar waren, freigegeben werden, wenn auch mit Einschränkungen, dann entsteht oft ein großer grauer Markt. Wie groß sehen Sie die Gefahr von Missbrauch, wenn Cannabis jetzt als Medizin verschrieben werden kann?
    Grotenhermen: Das halte ich jetzt nicht für so wirklich relevant. Wir hatten früher das Thema, sagen wir mal vor zehn Jahren, dass die 16-jährigen, 15-jährigen Schüler problemlos an Cannabis herankommen, der MS-Patient mit 50 Jahren im Rollstuhl aber nicht, und das soll jetzt einfach geändert werden. Das wird aber nicht dazu führen, dass der 16-Jährige einen besseren Zugang hat. Den hat er heute sowieso schon.
    "Es ist ein großes therapeutisches Potenzial"
    Simon: Ein Punkt ist auch neu mit diesem Gesetz. Weil die Cannabis-Langzeitwirkung - Sie deuteten es eben auch an - nicht so erforscht ist wie vielleicht bei anderen Schmerzmitteln, müssen Cannabis-Patienten ihre Daten anonymisiert für weitere Studien zur Verfügung stellen. Zurecht?
    Grotenhermen: Das hat man ja ein bisschen abgeändert. Das anonymisiert ist wichtig. Der Patient muss nicht mehr irgendwie einwilligen. Er wird sozusagen nicht mehr teilnehmen, sondern der Arzt gibt die Daten weiter, und das ist eine vernünftige Sache. Das werden wir auch unterstützen. Es ist einfach gut, wenn Daten gesammelt werden. Die große Pharmaindustrie hat nicht so ein großes Interesse daran. Es ist ein großes therapeutisches Potenzial, aber es wird doch eher dann an synthetischen Cannabis-Rezeptor-Modulatoren und so weiter gearbeitet und weniger an der wirklichen Substanz. Und wenn man da jetzt im Großversuch in Deutschland die Patienten vollständig erfassen kann und sehen kann, aha, bei denen hat die Medikation jetzt eingesetzt, die und die Dosis wird gebraucht und so weiter, dann ist das eine gute Sache.
    Simon: Das heißt aber, die ersten, die das jetzt bekommen, die sind auch so ein bisschen noch Versuchskaninchen für die Langzeitwirkung.
    Grotenhermen: Nein, eigentlich nicht. Es geht eigentlich nicht um Langzeitverträglichkeit, weil THC und Cannabis ist in den letzten Jahrzehnten so gut erforscht worden, jetzt nicht unbedingt im Bereich der Medizin. Aber wir kennen sehr gut die akuten Wirkungen, wir kennen die Langzeitwirkungen. Wir brauchen nicht etwas zu erwarten wie bei anderen Medikamenten, die frisch auf den Markt kommen, dass man dann feststellt, aha, Viagra macht in Kombination mit Nitropräparaten Herzinfarkte, da gehen Leute drauf.
    Simon: Wenn jetzt Cannabis als Medikament akzeptiert ist, auch mit diesem Gesetz, sehen Sie damit Cannabis insgesamt auf dem Weg zur Legalisierung?
    Grotenhermen: Das sind ja zwei verschiedene Sachen. Wenn man jetzt miteinander vergleicht, die Verbesserung mit Opiaten in der Palliativmedizin hat jetzt sehr wenig zu tun mit Heroin-Abgabe in Fixerstuben. Das kann man nicht vergleichen. Man wird die Palliativmedizin mit Opiaten verbessern können, ohne eine Heroin-Abgabe zu machen. Das sind zwei verschiedene Dinge. Das wird in anderen Bereichen auch nicht gemacht. Ich weiß nicht, wieso es bei Cannabis passiert.
    Simon: … sagt Dr. Franjo Grotenhermen. Er ist Arzt und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin. Herr Dr. Grotenhermen, vielen Dank.
    Grotenhermen: Ja, gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.