Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Cannes-Bilanz
"Die Jury hat sehr, sehr gut entschieden"

Der Hauptdarstellerinnnenpreis für Diane Kruger, die Goldene Palme für Ruben Östlund oder Sofia Coppola als Regisseurin - die Jury habe in diesem Jahr treffsicher genau die richtigen Preisträger ausgewählt, sagt Maja Ellmenreich in ihrem Bilanzgespräch zu den Filmfestspielen von Cannes.

Maja Ellmenreich im Gespräch mit Christiane Kaess | 29.05.2017
    Diane Kruger und Fatih Akin auf dem Roten Teppich des Filmfestivals in Cannes
    Richtige Entscheidung laut Maja Ellmenreich: Diane Kruger bekam den Hauptdarstellerinnenpreis in Cannes. (dpa picture alliance / Pierre Teyssot/ MAXPPP)
    Christiane Kaess: Die berühmte Goldene Palme von den Filmfestspielen in Cannes ist in diesem Jahr noch wertvoller als sonst: Denn zum 70. Festivalgeburtstag ist sie zusätzlich mit 167 kleinen Diamanten besetzt.
    Gestern Abend wurde das kostbare Stück vergeben bei einer, wie es sich für Cannes gehört, glanzvollen Gala: Die schwedische Satire "The Square" hat die wichtigste Auszeichnung in Cannes erhalten. Doch auch der deutsche Film wurde gewürdigt: Diane Kruger bekam für ihre Hauptrolle im neuen Film von Fatih Akin den Darstellerinnenpreis von der großen Jury.
    Für den Deutschlandfunk hat Maja Ellmenreich aus Cannes berichtet, und sie ist, frisch zurückgekehrt, heute Morgen bei uns im Studio.
    Viele Jahre lang war das Filmland Deutschland gar nicht vertreten. Im vergangenen Jahr ging der Film "Toni Erdmann" wider Erwarten leer aus. Ist das jetzt so eine Art Trostpreis, dieser Darstellerinnenpreis für Diane Kruger?
    Nicht Fatih Akins bester Film
    Maja Ellmenreich: Nein, überhaupt nicht. Man muss wissen, dass diese Jury acht Preise insgesamt vergeben darf in unterschiedlichen Kategorien, und nur jede Produktion darf nur einen Preis bekommen. Somit ist jeder Preis der ganz großen Jury eben eine Würdigung. Und ich finde, dass die Jury sich mit dem Hauptdarstellerinnenpreis für Diane Kruger genau richtig entschieden hat. Sie spielt eine junge Mutter aus Hamburg, die ihren kurdischen Ehemann und das gemeinsame Kind bei einem Terroranschlag verliert. Die Täter waren Neonazis, die dann auch vor Gericht kommen, aber nicht verurteilt werden. Und Kruger spielt diese Mutter und ihr großes Leid, ihre bodenlose Verzweiflung und Trauer mit einer solchen Intensität und Dringlichkeit, dass sie diesen Film im besten Sinne dominiert.
    Ich finde, dass dieser Film an sich von Fatih Akin nicht sein bester Film ist. Somit hätte er auch keinen Preis für den Film oder für den Regisseur verdient. Aber sie, die hier zum ersten Mal in ihrer deutschen Muttersprache gedreht hat, finde ich, genau richtig ausgezeichnet. Der Film hat natürlich eine große Aktualität bekommen in Cannes durch den Anschlag von Manchester. Akin hatte sich durch die NSU-Morde sozusagen inspirieren lassen für diesen Film. Das war also auch eine Auszeichnung im größeren Rahmen.!!
    Kaess: Und wie steht es jetzt um den Hauptpreis? Die diamantene Palme? Ruben Östlund hat mit "The Square" eine Satire auf die Kunstwelt gedreht, heißt es…
    "Östlund nimmt uns aufs Korn"
    Ellmenreich: Ja, die Kunst- und Museumswelt bekommt ihr Fett weg, denn der Protagonist ist Kurator eines Museums für moderne Kunst in Stockholm. Aber eigentlich nimmt Östlund uns alle so ein bisschen aufs Korn, die wir – ich vereinfache jetzt mal ein bisschen – die wir in Mittel- und Nordeuropa uns als so moralisch einwandfrei empfinden: also gerecht und korrekt und mitfühlend. Dieser besagte Kunstkurator, der eben genau so ein ehrenwerter Typ ist, der verstrickt sich in einer ganzen Reihe moralischer Zwicklagen – und wir Zuschauer beobachten ihn dabei, wie er ganz schmerzhaft lernen muss, dass die Eigeninteressen einem ganz schön im Weg stehen können, wenn man sich sauber verhalten will.
    Dabei geht es zwar um ganz private, konkrete Situationen, aber auch um Situationen im Berufsleben, aber im Grunde geht es um große humanistische Themen: also Macht und Ehrlichkeit, Zivilcourage und Gerechtigkeit. Das ist also auch eine Parabel auf unsere Gesellschaft. Und was will man mehr von einem Film, der einen unterhält und der auch noch große Lehren mitgibt?! Die Jury hat, wie ich finde, ganz, ganz richtig entschieden.
    Die Schauspieler Claes Bang, Elisabeth Moss, Regisseur Ruben Ostlund, die Schauspieler Christopher Laeso und Dominic West während eines Pressetermins für "The Square" in Cannes.
    Ebenfalls ein Treffer für Maja Ellmenreich: Regisseur Ruben Östlund (Bildmitte) erhielt die Goldene Palme. (dpa picture alliance / Ekaterina Chesnokova/Sputnik)
    Kaess: Also, ich sehe schon, Sie sind mit den Auszeichnungen sehr zufrieden – ziehen Sie also insgesamt auch ein positives Fazit für diesen Jubiläumsjahrgang Cannes 2017?
    Ellmenreich: Ich glaube, ich klinge heute Morgen so begeistert, weil ich die Entscheidung der Jury so gut finde. Im letzten Jahr hat ja das Feuilleton ordentlich auf der Jury herumgehackt, weil eben "Toni Erdmann" gar keinen Preis bekam. In diesem Jahr hat die Jury sehr, sehr gut entschieden und hat aus diesem gar nicht so glänzenden Wettbewerb genau die richtigen Preisträger ausgewählt: Sofia Coppola zum Beispiel als Regisseurin; Joaquin Phoenix als bester Hauptdarsteller; ein Sonderpreis zum 70. Festivalgeburtstag ging an Nicole Kidman.
    "Das Überraschende, das Gutgemachte ausgezeichnet"
    Die Jury hat ganz treffsicher die guten Leistungen herausgegriffen. Und wir Journalisten sind mehr als einmal aus den Filmen herausgekommen und haben uns gesagt: Ja, schöne, gute Filme, aber das sind eigentlich keine Argumente für eine Palme. Somit finde ich, dass sie das Überraschende, das Gutgemachte auch ausgezeichnet haben.
    Und ich finde, dass sich die Filmwelt in diesem Jahr so intensiv mit den großen und den kleinen Bildschirmen beschäftigt hat, mit den Smartphones und den Streamingdienstleistern Netflix und Co. und die Frage gestellt hat: Ist das ernstzunehmendes Kino, wenn man es auf dem Smartphone guckt? Oder gehört das große Kino tatsächlich auch auf die große Leinwand – das war zudem auch noch eine Branchendiskussion, die sicherlich noch nicht zu Ende ist, die dieses Festival in Cannes in diesem Jahr aber auch erfrischend bereichert hat.
    Kaess: Wie war denn die allgemeine Stimmung in Cannes so kurz nach der Präsidentenwahl in Frankreich?
    "Sicherheitsvorkehrungen waren enorm"
    Ellmenreich: Von der Wahl Emmanuel Macrons war gar nicht so viel zu spüren – das war gar nicht das große Thema. Vielmehr aber natürlich, dass sich Frankreich nach wie vor im Ausnahmezustand befindet. Die Sicherheitsvorkehrungen waren enorm, wurden nach dem Anschlag von Manchester natürlich nochmals erhöht. Polizei- und Militärpräsenz waren überall – denn das Filmfestival in Cannes ist schließlich das größte Kulturereignis Frankreichs, wird von tausenden internationalen Gästen, und zwar sehr prominenten Gästen, besucht.
    Und natürlich darf man auch nicht vergessen, dass Cannes nur eine knappe Autostunde von Nizza entfernt ist. Der Boulevard des Anglais in Nizza, wo am 14. Juli 2016 der schwere Terroranschlag stattfand, ist quasi baugleich mit der Croisette. Und natürlich sind die Menschen dort in Südfrankreich ganz besonders empfindsam, was Terroranschläge angeht. Das war bei dem Festival schon sehr, sehr deutlich zu spüren.
    Kaess: Bei den Filmfestspielen in Cannes wurden gestern Abend die Preise vergeben. Maja Ellmenreich aus der Deutschlandfunk-Kulturredaktion hat für uns berichtet.