Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Carl Schmitt und die Juden

So recht zu greifen ist Carl Schmitt bisher noch nie gewesen. Im "Glossarium", seinen spät veröffentlichten Tagebuchnotizen zwischen 1947 und 1951, hat er einmal geschrieben: "Der Feind, der auf mich schießt, trifft bestenfalls den Punkt, an dem ich eine Sekunde vorher gestanden habe." Vielleicht hatte der Staatsrechtler in allen Phasen seiner Karriere auch deshalb sowohl auf politische Freunde als auch Gegner erheblichen Einfluß.Die eigentümliche Aura des Stichwortgebers einer "Politischen Theologie" hat auch verhindert, seine schillernden Begriffe und Positionen genauer in den Kontexten zu lesen, auf die er sie immer wieder zielen ließ: vom Kampf gegen den Weimarer Parlamentarismus und - nach 1933 - für eine nationalsozialistische Rechtslehre im Namen des "totalen Staates" bis hin zu seinen Großraumordnungs-Konzepten, die unmittelbar vor Beginn des 2.Weltkriegs den nationalsozialistischen Planspielen zur europäischen Eroberungspolitik völkerrechtlich sekundierten.

Uwe Pralle | 27.09.2000
    War Schmitt nur ein skrupelloser Opportunist? Oder - wie oft spekuliert wurde - eher ein fintenreicher konservativer Revolutionär, ein hartnäckiger Etatist oder gar ein Reichstheologe in der Linie christlich-abendländischer Eschatologie, der sich hakenschlagend in den Vorhöfen der Macht seine Wege bahnte? Raphael Gross hat jetzt versucht, den Punkt zu treffen, auf dem Schmitt bei aller Beweglichkeit immer gestanden habe- seinen Antisemitismus. Daß solche Versuche vorher unterblieben waren, gehört - wie Gross zu Recht anmerkt - zu den Merkwürdigkeiten einer lange von Schmitt und seinen Schülern beeinflußten Rezeption, deren geschickte Vernebelungsstrategien allerdings in der Nachkriegszeit gerade für die belasteten deutschen Eliten innerhalb und außerhalb der Universitäten bezeichnend waren. Spätestens seit der Veröffentlichung des mit antisemitischen Ausfallen gespickten "Glossarium" war eine grundliche Beschäftigung mit diesem Innenfutter seines Denkens früher oder später unausweichlich.

    Gross muß weit ausholen, um die antisemitischen Motive in den Quellen und Kontexten von Schmitts Denken aufzusparen - denn bis auf die Jahre der NS-Zeit, als er sich zum 'Kronjuristen' des Regimes aufzuschwingen suchte und 1936 etwa bei der berechtigten Tagung der "Reichsgruppe Hochschullehrer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes" über "Das Judentum in der Rechtswissenschaft" seinen ganz und gar unzweideutigen Antisemitismus offenbarte, hat Schmitt ja meistens nur angedeutet, wen er ständig als "den Feind" im Visier hatte. So beschreibt dieses Buch fast ein Panorama nicht nur des deutschen, sondern auch des europäischen Antisemitismus im 19. Jahrhundert - denn beeinflusst haben Schmitt nicht nur entsprechende Strömungen im deutschen Katholizismus und Protestantismus oder in der politischen Philosophie etwa des Junghegelianers Bruno Bauer, sondern neben klassischen Theoretikern der katholischen Gegenrevolution wie de Maistre, Bonald und Donoso Cortiäs auch "katholische Atheisten" wie Charles Maurras und in der Action Francaise, die mit antisemitischen Ausfallen gegen alle emanzipatorischen und universalistischen Folgen der Französischen Revolution agitierten.

    An diesen verschiedenen Strömungen ist allerdings schon zu erkennen, wie der traditionelle christliche Antijudaismus nach der Französischen Revolution immer stärker in einen politischen Antisemitismus überging, der quasi seine sakularisierte Fortschreibung unter den politischen Vorzeichen der Moderne war. Genau diese Bahn sieht Gross auch Carl Schmitt durchlaufen. Er sei in noch zwischen Antijudaismus und Antisemitismus oszillierenden Strömungen des deutschen Ressentiments mitgetrieben, bis mit dem Machtantritt des Nationalsozialismus auch für ihn das Stichwort fiel, seinen vorher noch stark verschlüsselten Antisemitismus politisch offenzulegen und ihn juristisch wie theoretisch im Sinne des Nationalsozialismus weiter zu entwickeln - und zwar auf der irrationalen Basis eines rassisch-völkischen Denkens, das den früher theologisch begründeten Antijudaismus fast völlig überwucherte.

    Schmitts Selbstoffenbarung nach 1933 beleuchtet für Raphael Gross auch seinen versteckten Antisemitismus in den Jahren zuvor. Hermeneutisch mag das nicht allzu befriedigend sein, was aber auch an den Zweideutigkeiten jenes latenten Antisemitismus liegt, der vor 1933 gerade in den katholischen und akademischen Milieus grassierte. Entscheidender - und auch evidenter - sind allerdings die Versuche von Gross, an markanten Begriffskonstellationen bei Schmitt vorzufahren, wie in diesem Kritiker des universalistischen Gleichheits-Postulats der Französischen Revolution schon der Ideologe eines biologischen "Artgleichheits"-Postulats steckte. An Begriffspaaren wie FreundFeind, Nomos-Gesetz oder Antichrist-Katechon, die für Schmitts Denken fundamental waren, gelingt es Gross immer wieder, die antisemitische Paranoia Schmitts deutlich zu machen - ein offenbar tiefverwurzeltes Feindbild, das schon an der Entstehung mancher dieser Begriffe in der Weimarer Zeit entscheidenden Anteil hatte, als er sich vor allem auf die im Grunde schon immer als Ausdruck "jüdischer" Abstraktheit und Bodenlosigkeit halluzinierten parlamentarischen, liberalen und rechtsstaatlichen Züge der Moderne eingeschossen hatte.

    So wie Schmitt letztlich die gesamte Moderne als das Werk von jüdischen Beschleunigern verworfen hat, so waren für ihn diese Feinde eines "artreinen" deutschen Reiches stets um so bedrohlicher, je weniger sie sichtbar waren: eine paranoide Halluzination, deren Linie direkt zu den gelben Sternen führte, mit denen die unsichtbaren Feinde dann schließlich von Staats wegen markiert wurden, bevor ihre Vernichtung begann. Auf welchem Humus die Paranoia vor diesen unsichtbar ins Machtinnere eindringenden "Fremden" nicht nur bei Schmitt gediehen ist, bleibt in der vor allem begriffs- und theoriegeschichtlichen Optik von Gross allerdings eher ausgeklammert. Ein Effekt dieses längst überfalligen Buches könnte aber sein, daß sich der tiefgründige Theoretiker Schmitt künftig nicht mehr so elegant von dem antisemitischen Ideologen trennen läßt.