Donnerstag, 25. April 2024

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Caspar Wolf im Museum Basel
Die ästhetische Eroberung der Natur

Der Schweizer Landschaftsmaler Caspar Wolf hat im 18. Jahrhundert als einer der ersten die Alpen als grandioses Naturschauspiel festgehalten. Das Baseler Museum zeigt jetzt 120 Werke Wolfs und seiner Zeitgenossen sowie Fotos von den Entstehungsorten und bietet damit einen faszinierenden Blick auf die Entdeckung der Natur im 18. Jahrhundert.

Von Christian Gampert | 19.10.2014
    Unter den Natur- und Landschaftsmalern des 18. Jahrhunderts ist der Schweizer Caspar Wolf eine Art Landvermesser, ein Pionier. Er geht ins Hochgebirge, an Orte, wo vor ihm noch keiner war – vielleicht Einheimische, Almhirten, einsame Wanderer, aber jedenfalls niemand, der je darüber berichtet hätte.
    Allerdings: Wolf geht nicht alleine in den Berg, sondern zusammen mit seinem Auftraggeber, dem Verleger Abraham Wagner, und dem Berner Pfarrer und Naturforscher Jacob Samuel Wyttenbach.
    Wir sind mitten in der Aufklärung: Wagner will die Schweizer Alpen erstmals und in Gänze dokumentieren, mit geologisch kompetentem Text und Bildern von Wolf. Kurator Bodo Brinkmann:
    "Und ihm fällt im Rahmen dieser Expeditionen zu dritt die Rolle dessen zu, der für die visuelle Dokumentation zuständig ist. Die anderen machen Notizen, messen, schauen sich um, aber Wolf zeichnet und fertigt Ölskizzen an. Ölskizzen wohl deswegen, und nicht etwa Aquarell oder Gouache, also wasserlösliche Farben, weil das etwas besser gegen Unwetter hilft, falls er mal in ein solches gerät."
    Schüler eines wahrhaft Wahnsinnigen
    Der 1735 geborene Caspar Wolf stammt aus der kleinen Schweizer Gemeinde Muri, wo er in einer Benediktinerabtei für die Kunst zuständig ist – eine von ihm bemalte Archivtruhe bezeugt zu Beginn der Ausstellung diese eher dekorativen Anfänge. Dann aber reist er nach Paris und geht bei einem wahrhaft Wahnsinnigen in die Lehre, dem Maler sturmgepeitschter Meere und brutaler Schlachten: Philippe-Jacques de Loutherbourg. Auch diese Pariser Einflüsse sind im ersten Saal als Referenzen zumindest angedeutet, sie kommen bei Wolf aber erst später zum Tragen.
    Zunächst einmal ist er ein geduldiger Beobachter und Beschreiber der Natur, der unsere sinnliche Wahrnehmung der unbekannten Bergwelt schärfen möchte. Auch in der Darstellung von Felsformationen, schießenden Bergbächen oder düsteren Höhlen ist zunächst dokumentierende Zurückhaltung zu spüren, was man auch daran erkennt, dass Dalaschlucht, Staubbachfall oder Grindelwaldgletscher jeweils als Blick und Gegenblick, aus zwei meist einander gegenüberliegenden Perspektiven gezeigt sind, Berg und Tal, rechts und links, alles in zwei Motiven.
    Die Schrecken des Eises
    Andererseits, so behauptet es die Ausstellung, versuche Caspar Wolf aus der sinnlichen Wahrnehmung – wie Kant - vorzustoßen zu einem "Begriff" von Berg und Gebirge. Das ist kaum nachzuvollziehen; allerdings wird im Ausstellungs-Parcours dann immer klarer, wie stark Wolf die Schrecken des Eises und der Finsternis, nach anfänglicher Vorsicht, durch Vertikalisierung der Berge dramatisch aufzuladen beginnt – und das ist eben das, was er in Paris bei Loutherbourg gelernt hat.
    "Es ist der Schock der Auseinandersetzung mit diesen Naturphänomenen, die ungeheuer groß, erhaben sind. Also es ist nie eine 1:1-Abbildung, was vor Ort zu sehen war, sondern es ist immer auch eine ästhetische Redaktion, eine Umformung."
    Es ist tatsächlich die ästhetische Eroberung der Natur, die in dieser Ausstellung beschrieben wird – und von der so unterschiedliche Künstler wie die (eher metaphysisch aufgeladenen) Schweizer Bergmaler Hodler und Giacometti oder auch der ausgebildete Geologe Per Kirkeby profitiert haben mögen. Die Ausstellung führt uns staunenden Auges zu den Orten, die damals unentdeckt waren, und lenkt unseren Blick auf Wolfs Maltechniken: Allein die vielen verschiedenen Weiß-Abstufungen, mit denen er die Gletscher malt, oder die mit tupfendem Pinsel aufgebrachte Gischt der Wasserfälle sind einen Besuch wert.
    Die Einsamkeit des Entdeckungsreisenden
    Vor allem kündet die Ausstellung aber von der Einsamkeit des Entdeckungsreisenden, der, selbst wenn er als Systematiker die Alpen vermisst, zunächst mal ganz physisch den Naturgewalten trotzen muss. Manchmal flüchtet sich Wolf aus dieser Bedrohung auch in eine malerische Idylle. Aber die Ausstellung desillusioniert uns schon im Foyer: Dort hängen aktuelle Fotografien der Orte, an denen Caspar Wolf arbeitete. Und siehe: Die Gletscher, die er malte, sind großenteils nicht mehr da. So dokumentiert diese Schau nebenbei auch das, was wir verloren haben.