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Castel Gandolfo
Die Sommer der Päpste

Castel Gandolfo - die Sommerresidenz der Päpste - wird zum Museum. Was die Besucher dort erwartet ist kein Barockpalast, aber ein großzügiges Anwesen mit einer bewegten Geschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Ensemble als Flüchtlingslager und auf dem Papstbett durften Schwangere ausruhen.

Von Thomas Migge | 25.10.2016
    Blick auf Castel Gandolfo am Lago Albano mit der Sommerresidenz des Papstes in der italienischen Provinz Latium.
    Blick auf Castel Gandolfo am Lago Albano mit der Sommerresidenz des Papstes in der italienischen Provinz Latium. (picture alliance / dpa / Udo Bernhart)
    Hier befand sich vor über 2000 Jahren eine Burg. Die wiederum erhob sich auf den Resten der Stadt Alba Longa. Im ersten Jahrhundert nach Christus ließ sich genau hier Kaiser Domitian eine Sommerresidenz bauen. Die zerfiel mit dem Ende des römischen Reiches. Im Jahr 1000 bauten sich die Herren von Castel Gandolfo an ihrer Stelle eine Trutzburg", erklärt Kunsthistoriker Sandro Barbagallo. Diese Burg gelangte anschließend in den Besitz der adligen Familie Savelli. Bis ins 16. Jahrhundert hinein: "Sie verloren diese Festung aufgrund ihrer hohen Schulden. Es war Papst Klemens VIII. der die Savelli-Schulden bezahlte, dafür aber, nach einigem hin und her, die Besitzungen in Castel Gandolfo für sich einheimste. Das war im Jahr 1596. Papst Paul V., er folgte auf Klemens, ließ eine antike Wasserleitung restaurieren, um den neuen Besitz mit Trinkwasser zu versorgen. Erst Urban VIII., seit 1623 Papst, urlaubte hier."
    Urban VIII. kannte und liebe die Gegend. Schon als Kardinal verbrachte er in Castel Gandolfo seine Sommerfrische. Seitdem verbrachten viele Pontifexe sommers eine gewisse Zeit in ihrer Residenz in Castel Gandolfo. Zuletzt Benedikt XVI. Und er wird auch der letzte Papst sein, der im Hauptgebäude der 55 Hektar großen Villenanlage mit verschiedenen Gebäuden und einem neubarocken Park urlaubte und Gäste empfing. Dort, wo Benedikt XVI. studierte, Bücher in der Bibliothek las, Fernsehen sah, seinen Morgenkaffee trank und zu Abend aß, wo er in seiner Privatkapelle betete und in einem Nebenraum schlief, können jetzt zahlende Besucher durch die Räume bummeln. Papst Franziskus machte aus der Papstwohnung im Palazzo Pontificio ein Museum.
    Der jetzt zu besichtigende Teil des Papstpalastes, auf dessen Dach sich eine voll funktionstüchtige Sternwarte erhebt, ein Geschenk der Weimarer Republik, ist in mehreren Jahrhunderten um- und ausgebaut worden.
    Sandro Barbagallo erzählt: "Auch die Päpste, die hier nicht urlaubten, bauten den Palast nach ihrem Geschmack um. Hier hinterließen Starbaumeister des Barock ihre Spuren, wie Carlo Maderno, Gian Lorenzo Bernini und Ferdinando Fuga. Papst Alexander VII. liebte diesen Ort dermaßen, dass er vor die Papstkapelle eine prächtige und mit Fresken ausgemalte Galerie anbauen ließ." Die ebenfalls jetzt besichtigt werden kann.
    Sollten Besucher allerdings einen prächtigen Barockpalast, mit Wänden voller kostbarer Gemälde, mit hochwertig antiquarischem Mobiliar, mit aufwändig gestalteten Dekorationselemente, also eine Art Papst-Versailles erwarten, werden sie enttäuscht sein: der Papstpalast von Castel Gandolfo ist sicherlich prächtig was die Größe der Räumlichkeiten angeht und was den umwerfenden Blick auf das ferne Rom und den See betrifft, aber von blendendem Prunk findet sich hier nichts.
    Zum Beispiel das päpstliche Schlafzimmer. Da steht ein sicherlich schönes, aber nicht gerade luxuriös gestaltetes Messingbett. Flankiert wird es von zwei eleganten aber schlichten Rokokokommoden. Darüber sind Appliken mit Glühbirnen an der Wand befestigt, und über dem Bett, in einem reich dekorierten Barockrahmen, schaut den Betrachter eine Madonna der Spätrenaissance an. Die Gardinen vor allen Fenstern des Gebäudes erinnern eher an ein Hilton-Hotel der Oberklasse als an einen Palast. Fast alle Wände sind entweder mit Seide bespannt oder cremefarben angestrichen. Eindrucksvoller vom künstlerischen und architektonischen Standpunkt aus sind die Galerie von Alexander VII., mit verspielten Schäferszenen, sowie der prächtige Thronsaal von Papst Innozenz X. aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
    Im Zuge der italienischen Staatseinigung 1870 kamen die Päpste, die ihren Staat in Mittelitalien verloren und sich ins Exil in den Vatikan zurück gezogen hatten, natürlich nicht mehr in ihre Sommerresidenz. Die wurde erst ab 1929, nach Unterzeichung der Lateranverträge zwischen dem faschistischen Staat und dem Heiligen Stuhl, wieder benutzt und von Pius XI. restauriert und modernisiert. Sein Nachfolger Pius XII. macht in den letzten Jahres des zweiten Weltkriegs aus der jetzt zu besichtigen Sommerresidenz ein Flüchtlingslager, erzählt Antonio Paolucci, Direktor der vatikanischen Museen, denen nun der Papstpalast untersteht: "Im Winter und Frühjahr des Jahres 1944 ging es hier dramatisch zu: Deutsche Soldaten kämpften gegen das Vorrücken alliierter Befreiungstruppen. Die Bevölkerung von Castel Gandolfo hungerte, viele verloren ihre Häuser und so nahm der Papst sie hier auf. Er gab ihnen ein Dach über dem Kopf und Nahrung."
    Und weil das päpstliche Bett im Papstpalast von Castel Gandolfo das größte und bequemste vor Ort war, wurde es in jener Zeit von Schwangeren genutzt.
    Antonio Paolucci sagt: "Hier im Schlafzimmer traf die Mikro- auf die Makrogeschichte: Zahlreiche hochschwangere Frauen brachten im Bett des Papstes ihre Kinder zur Welt. Viele der Kinder, die hier das Licht der Welt erblickten, wurden aus Dankbarkeit auf den Vornahmen von Pius XII. Eugenio getauft."
    Mit der Öffnung der vatikanischen Gärten vor rund einem Jahr und jetzt auch der Papstwohnung nimmt das Projekt Papstmuseum in Castel Gandolfo immer mehr Gestalt an. Bald soll auch die Papstfarm für Besucher zugänglich werden: ein Musterbauernhof, in dem die Hühner, die den Papst mit frischen Eiern versorgen, in einem hölzernen Edelstall leben, der einer Renaissancevilla nachempfunden wurde.