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Causa des deutsch-türkischen Journalisten
"Es gibt Menschen, die dort länger als Yücel im Gefängnis sitzen"

Im Fall des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel zeigt sich Frank Überall hinsichtlich einer schnellen Freilassung nicht optimistisch. Zudem sagte der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands im Dlf, auch das Schicksal von mehr als 100 eingesperrten türkischen Journalisten dürfe man nicht vergessen.

Frank Überall im Gespräch mit Christine Heuer | 14.02.2018
    Yücel sitzt als Gast einer Talkshow auf dem Podium.
    Deniz Yücel sitzt seit einem Jahr in der Türkei im Gefängnis (dpa/Karlheinz Schindler)
    Christine Heuer: Der Fall Deniz Yücel, vor anderthalb Stunden habe ich darüber mit Frank Überall gesprochen, dem Vorsitzenden des Deutschen Journalistenverbands, und ihn eingangs gefragt, ob er glaubt, dass Deniz Yücel jetzt vielleicht bald freikommt.
    Frank Überall: Das ist Kaffeesatzleserei. Ich habe meine Glaskugel nicht dabei. Es ist einfach unglaublich schwierig. Wir haben vom Ministerpräsidenten Yildirim gehört, dass er in Aussicht stellt, es könnte sich möglicherweise was tun. Was heißt denn dann "was tun"? Das könnte bedeuten, dass er aus dem Gefängnis möglicherweise entlassen wird, sich aber in der Türkei weiter aufhalten muss. Das verbessert seine Situation etwas, aber auch nicht wirklich.
    Es könnte auch bedeuten, dass er abgeschoben wird, aus dem Gefängnis entlassen und abgeschoben wird. Es könnte aber auch bedeuten, dass gar nichts passiert, dass das jetzt nur ein Wortgeklingel ist, er kommt jetzt nach Deutschland, er kommt zur Sicherheitskonferenz. Er will natürlich ernst genommen werden. Er merkt, wie deutsche Öffentlichkeit, wie deutsche und auch europäische Politik mittlerweile ziemlich ungeduldig werden. Insofern kann ich es gerade noch nicht wirklich einordnen, was damit tatsächlich gemeint ist.
    "Das Schicksal türkischer Journalistinnen wird bei uns kaum wahrgenommen"
    Heuer: Gesetz den Fall, Deniz Yücel würde auf freien Fuß gesetzt, wäre dann alles wieder gut?
    Überall: Nein, leider nicht. Das Problem ist, dass mehr als 100 Kolleginnen und Kollegen, Journalistinnen und Journalisten in der Türkei im Gefängnis sitzen. Das sind türkische Journalistinnen und Journalisten und deren Schicksal wird bei uns kaum wahrgenommen. Es ist alles sehr fokussiert auf Deniz Yücel, das ist auch richtig. Es ist ein Landsmann von uns. Aber wir dürfen nicht vergessen, die Pressefreiheit ist insgesamt in der Türkei massiv unter Druck. Das Rechtssystem ist völlig erodiert.
    Es sitzen ja auch Anwälte, es sitzen Staatsbedienstete, es sitzen Lehrer, Universitätsprofessoren hinter Gittern, die nichts anderes getan haben, als schlicht und ergreifend ihren Job zu machen. Wer da unangenehm aufgefallen ist, der wird mal schnell ins Gefängnis gesteckt. Ich sage das so salopp und so locker, weil es tatsächlich so ist. Es gibt keine Anklage, es gibt keinen Gerichtsprozess, ja die Vorwürfe werden noch nicht mal klar formuliert, und da gibt es Menschen, die noch länger als Deniz Yücel jetzt schon im Gefängnis sitzen. Es ist eine insgesamt dramatische Situation.
    Heuer: Sie sagen, ohne Prozess, ohne Anklage sitzen diese Menschen in Haft. Das stimmt. Nur noch mal kurz den Fall durchgespielt, Deniz Yücel käme nun auf welchem Wege auch immer tatsächlich frei. Dann hätte es diesen Prozess, diese Anklageschrift immer noch nicht gegeben. Wäre das dann der Beweis, dass Deniz Yücel eine politische Geisel der Türkei gewesen ist?
    Überall: Ich persönlich sehe das als politische Geiselnahme schon jetzt, auch ohne diese mögliche Anklage, wenn sie denn überhaupt mal irgendwann käme. Denn was soll da drinstehen? Es sind ja Gründe genannt worden, zum Beispiel im Verfahren gegenüber dem Europäischen Menschengerichtshof. Es geht um die Berichterstattung von Deniz Yücel. Die hat nicht gefallen. Das ist diese Situation, die in der Türkei im Moment immer wieder entsteht. Wir haben es gerade jetzt diese Woche gehört von Abgeordneten der HDP, die verurteilt worden sind, sie sollen Staatsgeheimnisse verraten haben. Um welche Staatsgeheimnisse geht es? – Um Waffenlieferungen der Türkei. Die wurden am Anfang abgestritten. Es wurde so getan, als ob das alles nicht stimmt.
    Das Bild zeigt Frank Überall, den Bundesvorsitzenden des DJV (Deutscher Journalisten-Verband).
    Frank Überall, Bundesvorsitzender des DJV (Deutscher Journalisten-Verband). (picture-alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Jetzt wird das plötzlich, was angeblich gar nicht stimmt, zum Staatsgeheimnis. Entweder oder! - Es ist auch instringent. Es ist einfach im Moment kein wirklich funktionierender Rechtsstaat mehr, und das in Zeiten, wo die Türkei ja sich Europa annähern möchte, wo sie Visafreiheit haben wollen. Das finde ich jammerschade, weil vor Erdogan war die Türkei eigentlich auf einem Weg, auch das Justizsystem besser aufzustellen, öffentlicher aufzustellen, fairer aufzustellen.
    "Verhandeln mit einem politischen Geiselnehmer? Sie können ja nicht die GSG9 hinschicken"
    Heuer: Nun hat Berlin in diesem vergangenen Jahr auf verschiedene Art und Weise versucht, Einfluss auf die Türkei zu nehmen, immer wieder natürlich in politischen, in diplomatischen Gesprächen. Ganz selten einmal wurde auch der Ton verschärft. Finden Sie, dass die deutsche Bundesregierung mit dem Fall adäquat umgegangen ist? Hätten die was besser machen müssen/können?
    Überall: Wir haben ja als Deutscher Journalistenverband immer wieder angemahnt, wir müssen jetzt mal einen schärferen Ton an den Tag legen seitens der Bundesregierung, so geht es nicht weiter. Aber verhandeln Sie mal mit einem Autokraten? Das ist gar nicht so einfach. Verhandeln Sie mal mit einem politischen Geiselnehmer? Sie können ja nicht die GSG9 da hinschicken. Es ist ein souveränes Land, es ist ein staatliches Gefängnis, es ist unglaublich schwierig. Ich habe bis zu einem gewissen Grad Verständnis, weil zeitweise der Ton in der Tat mir zu lasch war.
    Wenn ich es vergleiche, als diese Liste aufgetaucht ist, wo deutsche Unternehmen angeblich strafrechtlich verfolgt werden sollten, da wurde der Ton deutlich verschärft. Da wurden plötzlich Wirtschaftssanktionen ins Spiel gebracht, in die Diskussion gebracht, und die Liste war dann auch ganz schnell wieder weg. Das war alles ein großes Missverständnis. Insofern hätte auch in diesem Fall möglicherweise mehr getan werden können, was nicht heißt, dass nichts getan wurde, aber ich glaube, es ist auch unglaublich wichtig, auch die türkischen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich spreche – ich war ja auch mehrfach in der Türkei, habe mit denen gesprochen -, die sagen, bitte vergesst uns nicht. Es ist unglaublich wichtig, dass es eine Öffentlichkeit gibt, dass es auch eine politische Öffentlichkeit gibt, dass über uns gesprochen wird und dass dieser Druck aufgebaut und aufrecht erhalten wird.
    Heuer: Nun ist es ja nicht nur der türkische Premierminister, der andeutet, es gäbe jetzt Bewegung im Fall Deniz Yücel, sondern man hört das ja auch aus der Bundesregierung. Sigmar Gabriel hat sich relativ optimistisch geäußert. Wird da gerade was ausgedealt zwischen Berlin und Ankara? Ist das Ihr Eindruck?
    Überall: Es ist auf verschiedenen Ebenen kompliziert. Auf der einen Seite steht das Urteil des Europäischen Menschengerichtshofs vor der Tür. Das soll in wenigen Wochen fallen. Möglicherweise haben die Richter zumindest hinter den Kulissen den beteiligten Streitparteien schon deutlich gemacht, in welche Richtung das geht, und insofern ist durchaus denkbar, dass es sich auch mal wieder dann um ein diplomatisches Missverständnis handeln soll.
    Auf der anderen Seite ist es natürlich auch denkbar, dass da ein Deal hinter den Kulissen gemacht wird, wobei Deniz Yücel ja selbst gesagt hat, dass er einen schmutzigen Deal nicht will, dass er nicht zum politischen Spielball werden will und dass er nicht im Austausch gegen Putschisten oder mutmaßliche Putschisten, beispielsweise dass er nicht im Tausch gegen irgendwelche finanziellen Zahlungen oder Stillhalten bei problematischen Dingen ausgetauscht werden möchte. Das will er selbst nicht.
    "Das Kapitel kann die oppositionellen Kräfte in der Türkei stärken"
    Heuer: Wie würde er sich denn dann verhalten?
    Überall: Ich glaube, das Wichtigste ist: Ganz gleich, wie es zustande kommt, dass er freigelassen wird. Dann wird es ganz wichtig sein für uns hier in Deutschland, ihm zuzuhören, ihm zuzuhören, was er zu berichten hat, wie auch seine Einschätzung der Situation ist, was er hinter den Kulissen mitbekommen hat, was seine Anwälte mitbekommen haben. Ich glaube, das wird noch ein ganz spannendes Kapitel. Im Übrigen – und da mag ich den Optimismus auch nicht ganz aufgeben - auch ein Kapitel, das dazu beitragen kann, dass das in der Türkei, weil das Ganze reflektiert natürlich auch durch die Berichterstattung in die Türkei zu den Türkinnen und Türken, dass das in der Türkei die oppositionellen Kräfte auch tatsächlich stärken kann, dass da auch noch mal ein Nachdenken einsetzt, weil es so viele Fälle gibt, wo letzten Endes an den Vorwürfen nichts dran war.
    Heuer: Welches Signal aus Berlin würde helfen – vielleicht weiten wir das dann auch auf Europa aus -, welches Signal aus der EU auch würde vielleicht dazu beitragen, dass sich solche Fälle in der Türkei nicht wiederholen?
    Überall: Zum einen ist es ganz wichtig, dass nicht vergessen wird. Es ist jetzt der Jahrestag von Deniz Yücels Verhaftung. Jetzt war es wichtig zu berichten, natürlich sich auch öffentlich zu Wort zu melden. Das muss aber die ganze Zeit weiterlaufen. Man darf keinen deutschen Staatsbürger als Geisel nehmen und Journalistinnen und Journalisten, die ein Grundrecht ausüben mit ihrem Beruf, nämlich das der Pressefreiheit, erst recht nicht.
    Wir brauchen aber auch insgesamt auf dieser europäischen Ebene eine Wiederannäherung und es muss klar sein, beispielsweise Visafreiheit, da muss man es dann auch wirklich aus meiner Sicht verknüpfen. Visafreiheit kann es nur geben, wenn Grundrechte eingehalten werden, und darüber muss man dann auch die entsprechenden Verhandlungskapitel wieder aufnehmen, muss deutlich machen, wenn ihr diese Punkte nicht einlöst, dann ist auch diplomatisch hier zappen duster.
    Heuer: Vielen Dank fürs Gespräch.
    Überall: Ich danke auch.
    Heuer: Frank Überall war das, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.