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CD-Debüt des Quatour Arod
Mendelssohn mit vollem Risiko

Riskante Tempi, glühendes Spiel: Das Arod Quartett hat seine erste Duftmarke gesetzt. Auf ihrer Debüt-CD widmen sich die vier jungen Männer ganz dem Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy, der sie von Anfang an elektrisierte.

Am Mikrofon: Klaus Gehrke | 29.10.2017
    Die Musiker des Arod Quartetts heißen Jordan Victoria, Alexandre Vu, Corentin Apparailly, Samy Rachid.
    Elektrisierendes CD-Debüt: das französische Arod Quartett (Richard Dumas)
    Zu den Streichquartetten von Felix Mendelssohn Bartholdy hat das Arod Quartett aus Frankreich eine ganz besondere Beziehung – und das in mehrerlei Hinsicht. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass ihre jetzt beim Label Erato erschienene Debüt-CD dem deutschen Komponisten gewidmet ist.
    Musik 1: Mendelssohn, Quartett op. 13, Intermezzo
    Vielleicht war es die poetisch melancholische Schlichtheit des Intermezzos aus Mendelssohns 2. Streichquartett in a-Moll op. 13, die an seine Lieder ohne Worte erinnert; vielleicht war es auch einer der dramatisch auffahrenden impulsiven Ecksätze: Jedenfalls hatten die vier jungen Franzosen bei ihrer ersten Quartettprobe in einem Übungsraum des Pariser Conservatoire 2013 dieses Werk auf den Notenpulten, welches sie sofort überwältigte und gefangen nahm. Mendelssohns Quartett verhalf dem damals neu gegründeten Arod Quartett schon ein Jahr später zu einem ersten internationalen Wettbewerbserfolg. Und auch beim ARD-Wettbewerb in München, bei dem die vier 2016 in der Kategorie Streichquartett antraten, war das Stück mit im Gepäck.
    Zwischen Studium und Konzert
    Mit dem ersten Preis beim ARD-Wettbewerb startete das Arod Quartett seine internationale Karriere; so war es seitdem unter anderem in der Londoner Wigmore Hall, dem Salzburger Mozarteum oder in der Tonhalle Zürich zu hören und trat in Deutschland beispielsweise beim Musikfest Bremen oder dem Heidelberger Frühling auf. Dabei sind die vier jungen Musiker im Alter zwischen 21 und 25 Jahren genau genommen noch in der Ausbildung: Sie studieren derzeit in Paris bei Mathieu Herzog, dem ehemaligen Geiger des Quatour Ébène, und seinem Kollegen Jean Sulem vom Quatour Rosamonde. Dazu erhält das Arod Quartett als Artist in Residence der Chapelle musicale Reine Elisabeth in Brüssel den letzten Schliff beim renommierten Artemis Quartett. Für seine Debüt-CD wählte das Ensemble Werke jenes Komponisten aus, der geradezu schicksalhaft ihren künstlerischen Werdegang begleitet hat: Felix Mendelssohn-Bartholdy. Und es ist wohl kein Zufall, dass dessen zweites a-Moll-Quartett dabei den Mittelpunkt bildet.
    Musik 2: Mendelssohn, Quartett op. 13, 1. Satz
    Einsatz für Mendelssohn
    Gerade 18 Jahre alt war Mendelssohn, als er 1827 das a-Moll-Quartett komponierte; und der junge Komponist präsentierte mit diesem Werk sogleich seine kompositorische Meisterschaft in einer Gattung, die damals als Königsdisziplin der Kammermusik galt. Stürmisch leidenschaftlich und mit einer unglaublich technischen Souveränität trumpft das Arod Quartett in seiner Einspielung des Werkes auf. Das recht forsche Tempo im gerade verklungenen Ausschnitt aus dem Allegro vivace-Teil des ersten Satzes macht direkt klar: Gemütliches Musizieren gibt es hier nicht, dafür aber ein elektrisierendes Spiel, das in punkto Emotionalität kein Risiko scheut und nicht selten hart am Limit liegt. Ihre Beziehung zum Komponisten und ihre Intention für die CD legen die Musiker im Booklet folgendermaßen dar, Zitat:
    "Felix Mendelssohn ist für unser Leben so wichtig geworden, dass wir beschlossen haben, uns in seine Biografie zu stürzen und dieses Album als ein Epos zu konzipieren, das das Leben des Komponisten durch das Prisma seines Oeuvres für Streichquartett erzählt. Dabei ist uns eines klar geworden: Es handelt sich nicht nur um eine Reise eines Mannes, sondern um eine Reise durch das Leben des Menschen schlechthin. Wie ein Echo aus alten Tagen, das uns in Erinnerung ruft, wer wir sind."
    Nachdenklich, vielleicht sogar etwas philosophisch, gab Mendelssohn sich vor allem in den langsamen Sätzen seiner Quartette. Hier schuf er wunderbare, manchmal leicht melancholische Melodiebögen von großer Eindringlichkeit. Diese zeichnet das Arod Quartett sehr einfühlsam nach und leuchtet deren Tiefen sensibel aus – ohne jegliche Spur von Sentimentalität.
    Musik 3: Mendelssohn, Quartett op. 13, 2. Satz
    Forsche Interpretation
    Neben dem zweiten hat das Arod Quartett noch Mendelssohns viertes Quartett in e-Moll op. 44, 2 aus dem Jahr 1837 sowie die vier Stücke op. 81 eingespielt. Letztere erschienen erst nach dem Tod des Komponisten und bilden eine Zusammenstellung von kleineren Werken aus unterschiedlichen Schaffensperioden; möglicherweise stammen die ersten beiden Stücke, ein Andante in E-Dur und ein Scherzo in a-Moll aus einem Streichquartett, das Mendelssohn 1847 nach dem plötzlichen Tod seiner geliebten Schwester Fanny nicht mehr vollendete. Das Andante ist als Thema mit überaus raffinierten Variationen angelegt, die in sehr unterschiedliche Stimmungslagen und zu einem aufwühlend dramatischen Höhepunkt führen. Auch hier zeigt das Arod Quartett ein unglaublich hohes Maß an musikalischer Durchdringung der Stimmen und Linienführung sowie technischer Perfektion. Allerdings hätte dem Satz für mein Empfinden ein bisschen weniger Tempo auch nicht geschadet.
    Musik 4: Mendelssohn, Andante op. 81
    Studenten und Profis
    Zwar studieren sie noch – aber gemessen an der interpretatorischen Qualität sind die vier Musiker des Arod Quartetts absolute Profis im positiven Sinne: leidenschaftlich engagiert, technisch wie klanglich brillant und mit einer fast grenzenlosen Spielfreude. Sie präsentieren Mendelssohns Werke nicht durch die Elfenbrille a la Sommernachtstraum, sondern machen gerade in den raschen Sätzen deutlich, dass der Komponist zeit seines Lebens auch ein Getriebener war. Vor diesem Hintergrund bekommt die zum Teil bestürzende Dramatik in den Interpretationen des Arod Quartetts auf ihrer Debüt-CD noch zusätzliches Gewicht.
    Musik 5: Mendelssohn, Quartett op. 44, 2
    Ein Ausschnitt aus dem Finale des Streichquartetts e-Moll, op. 44, 2 von Felix Mendelssohn-Bartholdy mit dem Arod Quartett. Das war übrigens vorletzte Woche zu Gast im Deutschlandfunk Kammermusiksaal und eröffnete dort die neue Saison der Raderberg-Konzerte. Den Mitschnitt des Konzertes, in dem das Arod Quartett auch Mendelssohns e-Moll-Quartett spielte, können Sie am 30. Oktober im "Musik-Panorama" ab 21.05 Uhr hören.
    Felix Mendelssohn-Bartholdy
    Streichquartette op. 44, 2 und op. 13
    Vier Stücke op. 81, "Frage" op. 9
    1 in der Bearbeitung für Sopran und Streichquartett
    Quatour Arod, Marianne Crebassa, Mezzosopran (Erato 0190295761127)