Freitag, 29. März 2024

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CD1: Klavierlieder von Henriette Bosmans

CD2: Titel: Klavierlieder von Théodore Gouvy picture: dot.gif label: Orfeo Labelcode: 8175

Frank Kämpfer | 24.01.1999
    Klavierlieder von Henriette Bosmans und Théodore Gouvy

    Am Mikrofon Frank Kämpfer. Ich stelle Ihnen heute zwei neue Klavierlied-CDs vor und auf diesen zwei wenig bekannte Namen der Musik. * Musikbeispiel: Henriette Bosmans - "Aurore" Zartheit, Zurücknahme, Poesie. "Aurore", die Morgenröte - das Gedicht von André Verdet. Dies zugleich war das Lieblingslied der Komponistin und es stellt klar, in welcher Zeit sie verwurzelt, beheimatet und schließlich vergessen worden war. Henriette Bosmans, die Tochter des Amsterdamer Solo-Cellisten Henri Bosmans, geboren 1895, gehörte zu jener Generation, in deren Jugend sich Tradition und Moderne ein für allemal klar voneinander schieden. Die hochbegabte Pianistin, in deren Elternhaus Julius Röntgen, Joseph Joachim und Carl Flesch verkehrten, war zunächst stark vom Geist der Vergangenheit angetan. Kein Wunder, hatte doch ihre Mutter, die berühmte Konzertpianistin Sara Benedicts, selbst noch mit Brahms vierhändig gespielt und der Vater gemeinsam mit Grieg konzertiert. Erst Willem de Pijper, bei dem Henriette mit Mitte 30 studierte, gelang es, sie von der Romantik zu lösen; er intendierte Sachlichkeit, Ökonomie und inspirierte zu Ausflügen in die Polytonalität.

    1934 sorgte Mosmans im Concertgebouw für lauten Tumult, als sie mit ihrem Verlobten Francis Koene Alban Bergs Kammerkonzert vortrug. In ihrer eigenen Kammer- und Orchestermusik - war die schlechthin unkonventionelle Frau weitaus weniger radikal; allenfalls zählte sie zur gemäßigten Moderne. Die Gattung Lied darf man bei ihr trotzdem als Experimentierfeld betrachten: In der Miniatur dokumentieren sich literarische Vorlieben, biographische Brüche, nicht zuletzt Bosmans Farb- und Formen-Vielfalt. Zumeist schmerzliche Welterfahrung als auch ein eruptives privates Befinden fanden hier eine geeignete Bewältigungsform. Hier als Beispiel Bosmans anspielungsreiche Vertonung von Jules Jou’s Gedicht vom Lumpensammler: "La Chanson du Chiffonier", komponiert zunächst für die Wunschinterpretin Edith Piaf, nach dem Krieg an die Stimme der französischen Sopranistin Noemie Perugia geknüpft. * Musikbeispiel: Henriette Bosmans - "La chanson du chiffonier" Henriette Bosmans "Chanson du chiffonier", dargeboten von der Sopranistin Julia Bronkhorst und dem Pianisten Maarten Hillenius, beide Absolventen des Utrechter Konservatoriums. Auf der CD, die 1998 entstand und beim holländischen Kleinlabel GLOBE erschien, finden sich neben mehrsprachigem Liedwerk der Bosmans auch einige Songs ihres bereits erwähnten Mentors Willem de Pijper sowie der 20 Jahre älteren Bertha Frensel Wegener-Koopman, mit deren Tochter wiederum Bosmans befreundet gewesen war. Zweifellos wird diese Platte kein Hit und niemals die heute modischen Charts der Klassik- und Crossover-Industrien erobern - umsomehr schließt sie, unspektakulär, aber seriös produziert, eine musikhistorische Lücke und gibt Einblick in das Klavierlied der holländischen Moderne der Vorkriegszeit.

    Gleichfalls aus den Archiven erlöst ist der Komponist der nächsten CD: Louis Théodore Gouvy, geboren 1819 in Saarbrücken, aufgewachsen in einer deutsch-französischen Familie, die in erster Instanz nicht der Kunst sondern der Stahlindustrie nahestand. Zeitlebens materiell ohne Abhängigkeit, lebte Gouvy seine Leidenschaft für die Musik. Neben dem akademischen Violin- und Kompositionsunterricht suchte er die Begegnung mit namhaften Größen der Musik: er verkehrte bei Adolphe Adam, er traf Rungenhagen und Liszt, Rossini, Nils Gade, Chopin, Berlioz und Ambroise Thomas. Erfahrungen mit der Virtuosenkultur haben ihn geprägt, die deutsche Romantik und der französische Salon. Dennoch hat er sich für keinen der erfahrenen Stile entschlossen und ist bis zuletzt ein Alleingänger geblieben. * Musikbeispiel: Théodore Gouvy, "Chanson" Der Bariton Yaron Windmüller, begleitet von Thomas Hans, mit dem "Chanson" des französischen Romantikers Theodore Gouvy. Eingespielt im Bayerischen Rundfunk für das Münchener Label ORFEO. Windmüller, ausgebildet in Tel Aviv, Brüssel und München, präsentiert das unbekannte Repertoire ohne falsche Ehrfurcht, schnörkellos und direkt, klangvoll und klar. Im Zusammenspiel mit Hans, einem Schüler Norman Shetlers, werden die flüssigen, melodiös-feinnervigen Miniaturen Gouvy’s auf beredte Art transparent. Die Mehrzahl seiner Liedzyklen schrieb der Komponist nach 1850. Zunächst, in dichter Folge, vertonte er etwa 40 Texte des Renaissance-Dichters Pierre de Ronsard, aus denen vorliegende CD gut ein Drittel vorstellt: Zeugnisse lyrischer Schwärmerei, gefühlvoller Begeisterung für die schöne Natur. Ein theatralischer Zug scheint manchen von ihnen nicht gänzlich fremd. Hier zum Abschluß der Sendung noch zwei Titel aus der Feder Gouvy’s: zunächst aus der Frühzeit "A l'absente" aus den "Six melodies allemandes" nach Hartmann und danach die poetologische Selbstbetrachtung "Le poéte à son livre" nach Pierre de Ronsard, die Gouvy als Mittvierziger vertonte. - Yaron Windmüller wird begleitet von Thomas Hans. * Musikbeispiel: Théodore Gouvy - "A l'absente" / "Le poéte à son livre" Das war unsere Sendung Die Neue Platte - heute zum Thema Klavierlied und mit Werken von Henriette Bosmans und Théodore Gouvy.

    Am Mikrofon verabschiedet sich Frank Kämpfer.