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CDU-Außenpolitiker Kiesewetter
"Der Türkei steht das Wasser bis zum Hals"

80 deutsche Bürgerinnen und Bürger sind laut CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter derzeit in der Türkei inhaftiert oder werden an der Ausreise gehindert. Einen politischen "Neustart" mit der Türkei machte er davon abhängig, dass sich die rechtliche Situation für diese Menschen kläre.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Stefan Heinlein | 15.02.2018
    CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags Roderich Kiesewetter
    Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter: "Wir sollten darauf drängen, dass die Türkei-Problematik im NATO-Rat auf den Tisch kommt." (picture alliance / Stephanie Pilick)
    Stefan Heinlein: Entspannungssignale von beiden Seiten, Interviews, in denen der Ton hörbar verändert wurde. Im Vorfeld des heutigen Besuches von Ministerpräsident Yildirim bei Angela Merkel scheint es tatsächlich so etwas wie Bewegung zu geben im Verhältnis zwischen Berlin und Ankara. Allerdings gibt es auch Bedenken, vor allem von Seiten der Opposition. Linke und Grüne vermuten im Hintergrund schmutzige Rüstungsgeschäfte, um den deutschen Journalisten Deniz Yücel aus türkischer Haft freizubekommen.
    Mitgehört hat der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Guten Tag, Herr Kiesewetter.
    Roderich Kiesewetter: Ich grüße Sie, Herr Heinlein.
    Heinlein: Vergangenheit vergessen, in die Zukunft blicken – so die Devise von Ministerpräsident Yildirim. Das hat er im Interview gesagt. Ist das tatsächlich die richtige Marschroute für das heutige Treffen in Berlin?
    Kiesewetter: Es scheint ja ein Zeichen für Vertrauensaufbau und den Willen der Türkei zu sein, wieder auf Deutschland zuzugehen. Aber wir dürfen uns nicht blenden lassen. Es sind immer noch 60.000 Menschen in der Türkei inhaftiert in Folge des angeblichen Putschversuchs und neben Yücel sind noch weitere 47 Deutsche in Haft in der Türkei und 32 Deutschen wird die Ausreise verwehrt – sehr prominent Frau Tolu.
    "Das Vorgehen der Türkei in Nordsyrien ist ein Völkerrechtsverstoß"
    Heinlein: Also muss man tatsächlich die Samthandschuhe ausziehen, so wie es Grüne und Linke fordern mit Blick auf Ankara?
    Kiesewetter: Das hat ja die Bundesregierung bereits. Erstens ist die Rüstungskooperation gestoppt und zweitens hat die Bundesregierung zu Beginn dieses Jahres Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof eingereicht, nämlich dass bei Yücel Artikel fünf der Menschenrechtskonvention verletzt ist, nämlich das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Bundesrepublik ist hier sehr klar vorgegangen. Wir sollten aber nicht jetzt in eine öffentliche Rhetorik übergehen und die Türkei noch weiter isolieren, denn wir sehen ja, diese Politik der Bundesregierung hat Erfolg. Auch wir in der Fraktion der CDU/CSU haben eindeutig festgestellt, das Vorgehen der Türkei in Nordsyrien ist ein Völkerrechtsverstoß, und nun merken wir, dass die Türkei die Signale verstanden hat und offensichtlich versucht einzulenken.
    Heinlein: Das war ja so eine Art Mischmasch auf deutscher Seite: Druck und Diplomatie. Was ist denn jetzt notwendig, dass es tatsächlich zu einem Vertrauensverhältnis künftig wieder kommen wird zwischen Berlin und Ankara? Noch mehr Druck oder noch mehr Diplomatie?
    Kiesewetter: Beides. Wir dürfen das nicht ausschließen. In jedem Fall hat Yücel Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren und es geht nicht, dass er über ein Jahr in Haft ist, ohne dass eine Anklageschrift vorliegt. Offensichtlich kommt da Bewegung rein. Aber es zeigt eben auch, wir müssen uns unangenehmen Themen widmen. Die Bundesrepublik Deutschland muss innerhalb der Europäischen Union dafür werben, dass wir in der Region politisch und finanziell auch präsent sind, dass wir auch militärisch präsent sind, und wir müssen mit schwierigen Partnern verhandeln. Die Gefahr des Ganzen ist ja, dass die Türkei sich innerhalb der NATO isoliert und letztlich als NATO-Partner ausfällt. Der Kauf russischer Luftverteidigungssysteme zeigt das. Das Vorgehen in Nordsyrien – völkerrechtswidrig – zeigt das. Aber es kann nicht in unserem Interesse sein, dass die Türkei sich aus der NATO verabschiedet. Deswegen sollten wir auch darauf drängen, dass die Türkei-Problematik im NATO-Rat auf den Tisch kommt und natürlich bei den Vereinten Nationen.
    Heinlein: Reden wir, Herr Kiesewetter, noch einen Moment über den Fall Yücel. Da macht es sich die türkische Seite, da macht es sich Ministerpräsident Yildirim ja recht einfach. Er sagt, das geht uns gar nichts an als Politiker, als Regierung, unsere Gerichte sind genauso unabhängig wie in Deutschland. Bleibt er da bei der Wahrheit? Wie glaubhaft ist diese Aussage?
    "Erdogan ist in eine Sackgasse gelaufen"
    Kiesewetter: Ich denke, dass er da im Sinne von Erdogan handelt, denn Erdogan ist in eine Sackgasse gelaufen. Er hat ja in einer Schimpftirade sehr deutlich ihn als Agenten Deutschlands und noch Schlimmeres dargestellt. Da hat sich die Türkei verrannt und er versucht jetzt zu zeigen, dass in der Türkei die Gerichte das Wort haben. Das ist mir sehr zweifelhaft, weil immer noch 60.000 Menschen in Haft sind, über 140 Journalisten in Haft sind, zehn Abgeordnete in Haft sind, Ausreiseverhinderung stattfindet. Selbst in meinem Wahlkreis in Heidenheim ist jemand in Haft genommen worden, eine Gemeinderätin türkischen Ursprungs, die wir dann befreien mussten über diplomatische Mittel. Es zieht sich ja durch ganz Deutschland, dass wir mit solchen Problemen zu kämpfen haben, und es ist gut, dass Yildirim versucht, die Hand zu reichen. Aber wir sollten sehr prüfen, wie sauber diese Hand ist.
    Heinlein: Im Klartext, Herr Kiesewetter, die Türkei ist kein Rechtsstaat aus Ihrer Sicht? Die Gerichte sind politisch beeinflussbar?
    Kiesewetter: Das sehe ich so. Wir sollten aber auch anerkennen, dass die Hälfte der türkischen Bevölkerung nicht hinter Erdogan steht, dass Erdogan trotz Wahlfälschungen nur 52 Prozent Zustimmung für sein Referendum erzielt hat. Deshalb sollten wir alles tun, dass wir wenigstens mit der Zivilgesellschaft in Verbindung bleiben. Und da die Bundesregierung sich sehr klar positioniert hat, glaube ich, hilft das auch dem deutsch-türkischen Verhältnis unter der Zivilbevölkerung. Wir haben ja sehr viele Patenstädte, das antike Antiochia – Antakya – ist mit Aalen verbunden und vieles mehr. Und wir sollten auch sehr stark auf den Austausch von Wissenschaft und Wirtschaft setzen und dabei zeigen, wie sehr sich die türkische Regierung isoliert hat.
    Heinlein: Vor diesem Hintergrund, politische Justiz, den Sie gerade beschrieben haben, wie offen sollte die Kanzlerin heute den Fall Yücel ansprechen bei ihrem Treffen mit ihrem türkischen Amtskollegen, wenn er offenbar so direkten Einfluss hat auf den Fall Yücel?
    Kiesewetter: Sie kann ja das, was Yildirim öffentlich und gestern auch in der ARD angesprochen hat, aufgreifen. Wenn die Türkei bereit zur Entspannung ist, dann kann sie von Yildirim auch sehr rasch ein Signal fordern, dass die türkischen Gerichte, die ja unabhängig sind, auch unabhängig entscheiden können. Und vor allen Dingen sollten sie schnell entscheiden. Es ist doch für einen Rechtsstaat nicht nachvollziehbar, dass das Thema Freiheitsberaubung im Vordergrund steht und nicht die Anklage, und die Bundeskanzlerin kann sehr deutlich ansprechen, dass die Bundesregierung ja Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof wegen Yücel eingereicht hat. Ich denke, da Yildirim auch gesagt hat, frei von Zensur wolle er ganz offen reden, dass er auch bereit ist, Klartext zu akzeptieren, und das sollten wir nutzen. Das wird die Kanzlerin auch tun.
    Heinlein: Gehört zum Klartext auch, dass es im Hintergrund Bewegung auf wirtschaftlicher und politischer Seite gibt, wenn man nicht gar über schmutzige Deals redet, wie die Aufrüstung der Leopard-Panzer, dass das auch eine Rolle spielt bei dieser Bewegung im Fall Yücel?
    Kiesewetter: Deutschland ist auf keinen schmutzigen Deal angewiesen. Im Gegenteil! Wir haben ja sehr klar herausgestellt, dass die Rüstungszusammenarbeit zunächst auf Eis gelegt ist, und das trifft die Türkei an einer sehr empfindlichen Stelle. Ich denke, dass hier in der Türkei eine ganze Menge rechtsstaatlicher Verbesserungen eingeführt werden müssen, bevor die Bundesrepublik Deutschland die Rüstungskooperation wieder fortsetzt. Und ich denke, dass wir uns auf keinerlei Deals einlassen müssen. Selbst Yücel hat sich ja aus der Haft gemeldet und gesagt, dass er nicht bereit ist, Teil eines Deals zu werden, und das möchte auch die Bundesrepublik Deutschland nicht.
    Heinlein: Es geht ja nicht nur um Rüstungsgeschäfte; es gibt ja noch weitere Forderungen von türkischer Seite, beispielsweise mehr Druck auf die PKK in Deutschland oder die Auslieferung möglicher Putschisten. Könnte das Teil eines Yücel-Deals werden?
    "60 Prozent der Wirtschaftsleistung der Türkei werden mit der EU erzielt"
    Kiesewetter: Ich kann mir das nicht vorstellen. Natürlich ist die PKK eine Terrororganisation, die ihren Arm auch bis in die Partei Die Linke im Bundestag hat. Das sollten wir auch immer sehr klar ansprechen und aufdecken. Und, dass Terrororganisationen wie die PKK auch entsprechend strafrechtlich verfolgt gehören. Ich glaube, das ist selbstverständlich. Aber was die Rechtsstaatlichkeit oder irgendwelche Deals angeht, so merken wir ja, dass der Türkei das Wasser bis zum Hals steht. Das müssen wir nicht noch weiter anfüllen. Aber 60 Prozent der Wirtschaftsleistung der Türkei werden mit der Europäischen Union erzielt und da haben wir eigentlich ein Druckmittel, deutlich zu machen, Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit bedeutet auch wieder verbesserte Zusammenarbeit mit der EU und letztlich auch eine engere Kooperation mit der Türkei. Das ist ja auch in unserem Interesse. Wir wollen ja nicht, dass die Türkei der westlichen Wertegemeinschaft endgültig den Rücken kehrt, sondern sie muss zurückkehren. Erdogan spürt ja durch die wirtschaftlichen Verflechtungen, wie schlecht es seinem Land inzwischen geht, und deshalb haben wir hier das eigentliche Druckmittel. Wir müssen nicht einlenken, die Türkei muss es tun.
    Heinlein: Unter dem Strich, Herr Kiesewetter, Ihre Erwartungen heute. Gibt es tatsächlich die Chance auf einen Neuanfang, auf einen Neustart der deutsch-türkischen Beziehungen heute bei dem Besuch von Yildirim in Berlin?
    Kiesewetter: Dieser Neustart ist aus meiner Sicht nur möglich, wenn die 48 Deutschen, die in Haft sind, in einem rechtsstaatlichen Verfahren in der Türkei begleitet werden und so rasch wie möglich entlassen werden und, sollten tatsächlich Straftaten vorliegen, sie nach Deutschland überstellt werden, und dass den 32 Deutschen, denen die Ausreise verwehrt wird, die Ausreise endlich ermöglicht wird. Dann ist ein Neustart möglich, vorher nicht. Und ich denke, dass nicht nur unsere Fraktion, die CDU/CSU, sondern auch die Bundesregierung das sehr klar ansprechen wird.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.
    Kiesewetter: Viele Grüße! – Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.