Donnerstag, 18. April 2024

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CDU-Außenpolitiker Röttgen
Europas Syrien-Politik ist "beschämend"

CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen fordert die Etablierung einer deutschen und europäischen Syrien-Politik. Denn die USA hätten keine Strategie für den Umgang mit dem Konflikt, sagte er im Dlf. Trumps markanten Drohungen seien lediglich an seine innenpolitische Wählerschaft adressiert.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Stefan Heinlein | 12.04.2018
    Norbert Röttgen bei einer Rede im Deutschen Bundestag
    "Spätestens seit der Flüchtlingskrise müsste uns klar sein, dass wir unsere gesellschaftlichen Situationen nicht von den Konflikten im Mittleren und Nahen Osten trennen können", sagt CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen (imago)
    Stefan Heinlein: Alarmstufe Rot im Syrien-Konflikt. Ein Raketenangriff der USA auf die Regierungstruppen von Präsident Assad ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Zu klar die Drohungen von Donald Trump, zu deutlich seine Twitter-Botschaften aus dem Weißen Haus. Für große Sorgen international sorgt die Tatsache, dass der US-Präsident Russland direkt attackiert und die Mitschuld gibt an einer möglichen Eskalation des Konfliktes. - Darüber möchte ich jetzt reden mit dem CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Herr Röttgen.
    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Herr Heinlein.
    Militärschläge gegen Assad bisher nicht effektiv
    Heinlein: Sie haben es mitbekommen, Herr Röttgen. In den vergangenen Stunden ruderte man ja im Weißen Haus ein wenig zurück. Man prüfe auch andere Optionen, heißt es, nicht nur einen Raketeneinsatz. Was ist Ihre Erklärung, Herr Röttgen, für dieses Hin und Her, diesen Wankelmut in Washington?
    Röttgen: Dass man tatsächlich überlegt, was das Richtige zu tun ist. Um es positiv zu sagen, könnte man auch zu der Einschätzung kommen, trotz der Ankündigung im Tweet - das ist immerhin geschehen -, dass man sich auch klar darüber ist, dass das ein Eskalationspotenzial birgt, dass es Gefahren birgt. Und man muss ja sagen: Vor einem Jahr ist es ja zu einem Militärschlag gegen eine Luftwaffeneinrichtung Syriens gekommen, und das hat auch nicht viel geändert. Das heißt, hoffentlich kommt man auch zu der Überlegung, dass auch ein einmaliger Luftschlag Assad sowieso nicht stoppt und gar nichts verändert, sondern dass man zu einer Syrien-Politik kommen muss, die dauerhaft ist. Das ist das Entscheidende.
    Heinlein: Über die Syrien-Strategie, die Syrien-Politik insgesamt, Herr Röttgen, können wir gleich noch reden. Lassen Sie uns einen Moment noch über Trump reden. Sie haben es positiv formuliert. Kann es aber, wenn man es negativ formuliert, schlicht so sein, dass Trump nicht mehr berechenbar ist und jetzt mühsam eingefangen wird von seinen eigenen Leuten?
    Röttgen: Das ist ja das Verhaltensmuster, das wir kennen, dass viel in Tweets steht, dass das Handeln immer eine andere Sache ist, und dass man bislang jedenfalls auch um Trump herum gerade in der Sicherheits- und Außenpolitik ja dann auch immer mäßigende Stimmen hatte. Allerdings sind diese mäßigenden Stimmen in Person des früheren nationalen Sicherheitsberaters McMaster und des Außenministers Tillerson ja nicht mehr da. Es sind auch andere Beamte da; das ist auch richtig. Insofern ist das tatsächlich auch die Unberechenbarkeit amerikanischer Außenpolitik. Meine These ist ja die Nichtexistenz amerikanischer Außenpolitik der Hintergrund, weil alles innenpolitische Kalkulation ist, was sich dann als außenpolitisches Handeln auch äußert. Das drückt natürlich dann auch und das bewirkt diese Unberechenbarkeit.
    Trump interessiert sich nicht für Außenpolitik
    Heinlein: Wie bewerten Sie denn als erfahrener Außenpolitiker, Herr Röttgen, diese Twitter-Diplomatie von Trump? Eine gezwitscherte Kriegsdrohung, ist das moderne Außenpolitik, oder ist das nur unprofessionell aus Sicht von Diplomaten?
    Röttgen: Aus meiner Sicht ist es weder noch, sondern aus meiner Sicht ist der wahre Adressat auch aller außenpolitischen Reden selbst im Ausland und Tweets praktisch immer die innenpolitische Wählerschaft. Trump hat eine eindeutige klare innenpolitische Agenda. Ihm geht es um seine Wiederwahl, um seine Anerkennung und Popularität. Außenpolitik, die Folgen davon, ist für ihn im Grunde eine nachrangige Kategorie. Es interessiert ihn am Ende gar nicht. Das ist aus meiner Sicht ein Schlüssel oder der Schlüssel zum Verstehen des Verhaltens von Trump.
    Heinlein: Sind innenpolitische Gründe, Herr Röttgen, auch der Grund für diese direkte Drohung an die Adresse Russlands? "Get ready", mach Dich bereit, Russland, denn die Raketen werden kommen.
    Röttgen: Ja! Das drückt aus seine Erzählung, wir hatten vorher einen schwachen Präsidenten, der hat schlechte Abkommen gemacht, der hat Amerika zurückgeführt. "America first" heißt, dass wir wieder Respekt haben, wieder stark sind, und das drückt er rhetorisch permanent aus. Auffällig ist ja, dass sein effektives Handeln doch immerhin ganz weit von dieser rhetorischen Eskalation bislang immer noch entfernt geblieben ist.
    "Trump hat kein Interesse an längerem militärischen Konflikt"
    Heinlein: Wie groß ist dennoch die Gefahr, dass aus dieser rhetorischen Eskalation, aus diesem Bürgerkrieg in Syrien ein direkter militärischer Konflikt der Weltmächte USA und Russland wird?
    Röttgen: Nach meiner Einschätzung ist das von beiden Seiten überhaupt und unbedingt nicht gewollt. Es ist ja auffällig: Es ist, glaube ich, eine Woche her, nicht viel länger, dass Trump angekündigt hat, die amerikanischen wenigen, relativ wenigen verbliebenen Truppen aus Syrien komplett abzuziehen. Dann hat er das wiederum korrigiert. Aber dass Trump ein Interesse hat, sich hier in einem militärischen längeren Konflikt zu engagieren, davon kann überhaupt keine Rede sein. Es ist auch kein vernünftiges Interesse. Und das gleiche gilt natürlich für die russische Seite, die auch an dieser Konfrontation kein Interesse hat. Die größte Gefahr rührt daher, dass irgendetwas passiert, was nicht beabsichtigt war. Es ist so spannungsreich. Es ist ein so vielfältiger Konflikt mit ganz unterschiedlichen Akteuren. Da kann etwas passieren, was keiner will, und trotzdem kann es dann zu Eskalation und großen Schäden führen. Das ist das eigentlich, aus meiner Sicht Bedrohliche und Gefährliche.
    "Beschämend": Von den Europäern keine Spur
    Heinlein: Vor diesem Hintergrund kommt dann ins Spiel, was Sie in Ihrer ersten Antwort gesagt haben, Herr Röttgen: eine nachhaltige Syrien-Strategie. Was kann denn die Weltgemeinschaft, was können denn die Vereinten Nationen in diesem Zusammenhang unternehmen, um diese Eskalation durch Zufall dann vielleicht zu vermeiden? Zuletzt waren die UN ja eher hilflos.
    Röttgen: Ja, das sind sie - vor allen Dingen deshalb, weil die UN in ihrem entscheidenden Gremium, dem UN-Sicherheitsrat, durch Russland blockiert werden. Aber was die Weltgemeinschaft, die UN, die USA und nebenbei die Europäer angeht - wir sind ja geographisch am nächsten dran und auch von den politischen Konsequenzen am meisten betroffen -, wir müssen endlich mal eine dauerhafte Syrien-Politik und Syrien-Strategie ausführen, planen und dann auch anwenden. Das ist es ja, was fehlt. Es gibt keine wirkliche US-Syrien-Politik, sondern vor einem Jahr gab es einen Militärschlag, dann passierte wieder gar nichts. Obama hat vorher die rote Linie gezogen, es passierte am Ende gar nichts. Es sind sowohl Syrien, Assad wie auch Russland militärisch freie Hand gegeben worden. Von den Europäern - es ist ja schon beschämend zu sagen: Keine Spur, obwohl wie gesagt es ja unsere Nachbarschaft ist. Das heißt, es gibt eine Konsequenz: Syrien und, um es deutlicher zu sagen, der Krieg in Syrien mit hunderttausenden von Toten inzwischen, der jahrelange Krieg darf jetzt nicht mehr von der Tagesordnung der internationalen Politik. Das ist unsere eigentliche Verantwortung.
    Deutschlands und Europas strategische Interessen
    Heinlein: Beschämend für Europa, sagen Sie, Herr Röttgen. Ist das auch beschämend für die Bundesregierung, die sich ja außen vor hält?
    Röttgen: Deutschland ist ein Teil von Europa. Es gibt keine europäische, auch keine deutsche Syrien-Politik und auch keine Politik für den Mittleren und Nahen Osten. Aller-, allerspätestens seit der Flüchtlingskrise müsste uns klar sein, dass wir unsere Sicherheit, unsere auch gesellschaftlichen Situationen in unseren Ländern nicht von den Konflikten im Mittleren und Nahen Osten trennen können. Darum sind die Zeichen, ja der Zwang eigentlich, dass die Europäer anfangen, sich um ihre eigenen Interessen zu kümmern, indem sie auch im Mittleren Osten sich stärker und systematisch engagieren, unübersehbar, und trotzdem passiert es nicht. Ich finde, auch zur deutschen Verantwortung gehört, jetzt darauf zu drängen, dass es eine westliche und internationale Syrien-Politik gibt und sie nicht mehr aufgegeben wird.
    Heinlein: Die Kanzlerin war ja gestern in Meseberg recht zurückhaltend mit Blick auf Syrien. Halten Sie denn, Herr Röttgen, es für hinreichend erwiesen, dass die Assad-Truppen tatsächlich Giftgas gegen die Rebellen eingesetzt haben?
    Röttgen: Die Kanzlerin hat ja von einer starken Evidenz dafür gesprochen. Ich habe nicht die gleichen Informationsquellen, die die Kanzlerin hat, möglicherweise ja auch Geheimdienstinformationen. Die Bilder der Weißhelme und die Berichte von vor Ort sprechen tatsächlich ganz stark dafür. Das sind aber auch die wesentlichen, öffentlich zugänglichen Quellen. Der Zugang für andere wird ja versperrt weiterhin, sowohl von Assad wie auch von Russland. Darum ist es für mich nicht völlig eindeutig zu sagen, was ist wirklich geschehen. Andere mögen mehr wissen, aber ich kann jetzt von mir aus nicht mit eigener hinreichender Sicherheit sagen, davon kann ich ausgehen.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Herr Röttgen, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Röttgen: Ich danke Ihnen, Herr Heinlein. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.